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Antennensuchläufe

9. Juni 2011

Mit einer Revision der VÜPF sollen Rasterfahndungen ohne Gesetzesgrundlage ermöglicht werden

Am 8. Juni 2011 schickte Justizministerin Sommaruga eine Revision der Verordnung über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (VÜPF) einem ausgewählten Personenkreis (Polizei- und Strafverfolgungsbehörden sowie Verbände von Kommunikationsanbietern) zur Anhörung.

Obwohl noch keine Erweiterungen der geplanten BÜPF-Revision enthalten sind, hat es der Verordnungsentwurf in sich.

Als neues Überwachungsmittel ist der Antennensuchlauf vorgesehen. Mittels Antennensuchlauf können rückwirkend die Verkehrsdaten der gesamten Mobiltelefon-Kommunikation, die innerhalb einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Zelle einer Antenne geführt wurde, erfasst werden. Die somit erfassten Daten können unter anderem bezüglich der rufenden und der angerufenen Nummer ausgewertet werden.

In der Vernehmlassung vom Mai 2010 zur BÜPF-Revision waren derartige Suchläufe nicht vorgesehen. Hingegen sollte die StPO neu den Einsatz von Ortungsgeräten ermöglichen, welche ebenfalls alle Mobiltelefonteilnehmer in einem bestimmten Gebiet erfassen.

Weder bei Antennensuchläufen noch bei Ortungsgeräten gibt es eine einer Straftat beschuldigten Person resp. eine Drittperson im Sinne von Art. 270 StPO. Diese Methoden müssen als Rasterfahndungen oder «fishing-expedition» bezeichnet werden, wie dies die Berner Beschwerdekammer in Strafsachen unlängst im Zusammenhang mit privat ermittelten IP-Adressen festgestellt hat:

Unabhängig davon fehlte es auch am Erfordernis des hinreichenden Tatverdachts, käme der Einsatz der hier von der Firma E angewendeten Ermittlungsmethode – selbst wenn sie von der Strafverfolgungsbehörde in Auftrag gegeben würde – einer sogenannten „fishing-expedition“ (verdachtsunabhängige Beweisausforschung) gleich. Eine solche ist bekanntlich verboten, weil sie den (konkreten) Verdacht erst begründen soll (vgl. hiezu Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21.12.2005, S. 1237; GLESS, a.a.O., Art. 141 N. 81; BGer 6B_757/2010 vom 7.2.2011, E. 2.4);

Antennensuchläufe müssten in der StPO auf Gesetzesstufe festgeschrieben werden, eine Legitimierung auf Verordnungsstufe ist nicht statthaft. Wegen der fehlenden verdächtigten Person ist aber eine Telefonüberwachung im Sinne der StPO gar nicht möglich.

Bereits im Jahre 2002 wurde von einem Genfer Untersuchungsrichter - ohne gesetzliche Grundlage - der erste Antennensuchlauf angeordnet, wie in alten Artikeln der WOZ und des Beobachters nachzulesen ist. Heute scheinen Antennensuchläufe bereits Standard zu sein, obwohl sich das Bundesgericht noch nicht materiell damit befasst hat..

Auch die «Digitale Gesellschaft» kritisierte die Anhörung zur Revision der VÜPF, worüber die NZZ am 16. Juni 2011 berichtete.

Am 21. Juni 2011 hat das Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit der Überwachung des Internetverkehrs über einen Breitbandanschluss erkannt, dass die «Technical Requirements for Telecommunication Surveillance TR TS» gar nicht hätten erlassen werden dürfen, weil sie sich weder auf ein Gesetz noch eine Verordnung stützen lassen. Am 23. Juni 2011 hat das Bundesverwaltungsgericht auch eine Verfügung zur Überwachung des Internetverkehrs über ein Mobiltelefon aufgehoben, weil die «Technical Requirements for Telecommunication Surveillance TR TS» keine gesetzliche Grundlage bilden. Überwachungstypen müssen entweder im BÜPF oder in der VÜPF explizit aufgeführt sein und können nicht durch die Strafverfolgungsbehörden nach Belieben definiert werden.

Durch ein Interview mit swissinfo am 10. Juli 2011 konnten die Ansichten von grundrechte.ch einem grösseren Publikum vorgestellt werden.

Am 3. November 2011 hat das Bundesgericht in einem skandalösen Urteil entschieden, dass Antennensuchläufe zulässig sind, obwohl es keine gesetzliche Grundlage dazu gibt.

   

   
   

zuletzt aktualisiert: 3. Januar 2012