In Genf leben die Patienten der Zukunft

11. Juni 2014

Christof Forster, NZZ

Der Ständerat diskutiert am Mittwoch über schweizweit einheitliche Standards für das elektronische Patientendossier. In Genf sammeln 600 Ärzte und 2500 Patienten damit Erfahrungen, die für andere Kantone wertvoll sein könnten.

Es ist eigentlich eine verrückte Idee, in einer stark Papierlastigen Branche wie dem Gesundheitswesen auf elektronische Kommunikation zu setzen. Die grösste Bremse befinde sich in den Köpfen der Leute, sagt Adrien Bron, Direktor der Genfer Gesundheitsdirektion. Handgeschriebene Notizen und der Einsatz von Faxmitteilungen sind in Arztpraxen noch weit verbreitet.

Im Kanton Genf befasst man sich schon seit Jahren mit dem elektronischen Patientendossier. Nach einer zweijährigen Pilotphase steht das Instrument seit Mai 2013 allen Patienten und Leistungserbringern offen. Mittlerweile machen 600 Ärzte, 11 Organisationen, darunter das Genfer Universitätsspital und die Spitex, sowie rund 2500 Patienten beim Projekt mit, das in Genf «Mon dossier médical» heisst. Das sind in einem Kanton mit 470 000 Einwohnern und rund 2000 Ärzten noch bescheidene Zahlen. Ziel ist es, bis Ende 2017 eine breite Verankerung des elektronischen Patientendossiers in der Bevölkerung zu erreichen.

Nicht erstaunlich, dass die Verantwortlichen häufig von «Change Management» sprechen, was frei übersetzt so viel heisst wie «die Gewohnheiten verändern». «Wir wollen die Leistungserbringer vom Nutzen des Instruments überzeugen», sagt Bron. Die technischen Aspekte seien lösbar. Die Skepsis der Patienten zu Beginn - auch punkto Datenschutz - sei verflogen. Mit dem elektronischen Patientendossier werde das Gesundheitswesen effizienter, sagt Renato Gunc, der den Geschäftsbereich E-Health bei der Post leitet. Doch dafür brauche es Zeit. Die Post ist für die technische Umsetzung in Genf zuständig.

Erste Anmeldung als Hürde

Eine weitere Hürde ist die erstmalige Anmeldung des Patienten, die inklusive Information rund 15 Minuten Zeit in Anspruch nimmt und bei einem Arzt erfolgt. Weil dafür keine Tarmed-Position existiert, muss der Arzt selber dafür aufkommen. Dies sei bei den Ärzten mit eigener Praxis, die stark auf ihre Kosten achten müssten, ein wichtiger Faktor, sagt ein Genfer Arzt. Kommt hinzu, dass für den einzelnen Arzt bei der derzeit geringen Beteiligung der Nutzen beschränkt ist. Für die Entschädigung wird nun eine Lösung gesucht. Hingegen vergütet der Kanton Genf den Ärzten die technischen Installationen.

Wie das elektronische Patientendossier in Genf konkret funktioniert, zeigt dieses fiktive Beispiel. Ein Patient meldet sich bei seinem Hausarzt wegen Herzbeschwerden. Nach einer ersten Untersuchung entscheidet der Hausarzt, den Patienten für weitere Abklärungen an das Universitätsspital zu überweisen. Über die Überweisungsplattform von «Mon dossier médical» meldet der Hausarzt seinen Patienten und die aus seiner Sicht benötigten Untersuchungen im Spital an. Deren Ergebnisse und Labordaten wiederum kann der Hausarzt im Patientendossier abrufen. Ebenso hat er bei einer allfälligen Operation Zugang zu Operations- und Austrittsbericht des Spitals. Auch die Überweisung an eine Reha-Klinik läuft elektronisch. Im Dossier enthalten ist auch die gesamte Medikation des Patienten. Dies erleichtert es Ärzten und Apothekern, Unverträglichkeiten zwischen Medikamenten zu erkennen.

Die Dokumente sind jeweils lokal gespeichert. Zugang erhalten Leistungserbringer und Patienten über «Mon dossier médical». Dabei entscheidet der Patient, wer in welcher Tiefe Zugriff zu seinem Dossier hat. Ziel des elektronischen Patientendossiers ist es, die Qualität der Behandlung zu erhöhen und Fehler zu vermeiden.

Lehren für den Bund

Der Kanton Genf begrüsst die Gesetzesarbeiten in Bundesbern für einheitliche Rahmenbedingungen. Bei einzelnen Punkten ortet Bron Verbesserungsbedarf. Die Erfahrungen in Genf hätten gezeigt, dass eine klare Führung wichtig sei. Die Vorlage des Bundesrats stütze sich zu stark auf den Konsens zwischen Bund und Kantonen. Die manchenorts kritisierte doppelte Freiwilligkeit - nur Spitäler und Pflegeheime, aber weder Patienten noch Ärzte werden zur Teilnahme verpflichtet - erachtet Bron als wichtig für die Akzeptanz - zumindest in einer ersten Phase. Auch für die Ärzte ist die Freiwilligkeit ein entscheidender Punkt, wie Gilles Mérier von der Genfer Ärztevereinigung AMG sagt. Das elektronische Patientendossier sollte die Ärzteschaft durch die einfache Handhabung überzeugen. Trotz einer gewissen Skepsis vor allem bei älteren Ärzten ist den Medizinern laut Mérier aber bewusst, dass die Umstellung auf E-Health unausweichlich ist.

E-Patientendossier

Neben Genf treiben weitere Kantone ihre Aktivitäten zur Einführung von E-Patientendossiers voran. Bund und kantonale Gesundheitsdirektoren begrüssen den dezentralen Ansatz, weil damit die Informationen bei den Behandelnden blieben und nur bei einer Abfrage zusammengeführt würden. Damit würden die Sorgen um Datenschutz reduziert. Um jedoch zu verhindern, dass Insellösungen entstehen, die nationale Abfragen verunmöglichen, steckt der Bundesrat mit dem Gesetz über das elektronische Patientendossier schweizweit den Rahmen ab. Heute sind die Datenstandards nicht einheitlich. Auf Wunsch der Ärzteschaft soll zur Identifikation der Patienten nicht die AHV-Nummer verwendet, sondern eine neue Nummer geschaffen werden.

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