Mit einer Lockerung der COVID-Verordnung hat der Bundesrat Demonstrationen mit bis zu 300 Personen per 6. Juni 2020 wieder erlaubt. Umgehend hat die KKJPD Empfehlungen herausgegeben, welche die vom Bundesrat gewährte Lockerung praktisch verunmöglichen. grundrechte.ch verlangt daher, dass alle Kantone das Demonstrationsrecht respektieren.
Die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) hat anlässlich der Lockerung der COVID-Verordnung des Bundesrates am 5. Juni 2020 eine Empfehlung zum Umgang mit Kundgebungen herausgeben. Da die Obergrenze von 300 Personen bei öffentlichen Versammlungen sowie die Durchsetzung eines Schutzkonzeptes «praxisfremd» sei, empfiehlt die KKJPD den Bewilligungsbehörden, keine Kundgebungen zu bewilligen, wenn nicht plausibel sei, dass die Beschränkung auf 300 Teilnehmenden eingehalten werden könne.1
Dies führt zum Paradox, dass je wichtiger ein Thema ist, d.h. je mehr Menschen an einer Versammlung teilnehmen wollen, desto geringer die Chancen auf eine Bewilligung sind. Zu Ende gedacht führt dies dazu, dass OrganisatorInnen von Kundgebungen sich zwei Mal überlegen werden, eine Bewilligung zu beantragen. Selbst wenn die Polizei unbewilligte Versammlungen aus Opportunitäts- und Verhältnismässigkeitsüberlegungen «toleriert», wie am Wochenende vom 13./14. Juni 2020 anlässlich der «Black Lives Matter-Proteste», ist dies zwar erfreulich, setzt die Teilnehmenden aber einer gewissen Willkür der Behörde aus und führt nicht zuletzt bei den verschiedenen Anspruchsgruppen des öffentlichen Raums zu Unverständnis und Ungleichbehandlung.
Demonstrationen und Kundgebungen auf öffentlichem Grund geniessen in der Schweiz den verfassungsrechtlichen Schutz sowohl der Meinungs- und Informationsfreiheit nach Artikel 16 BV als auch der Versammlungsfreiheit nach Artikel 22 BV. Auf europäischer und internationaler Ebene garantieren Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention EMRK (in Verbindung mit Art. 10 EMRK) und Artikel 21 UNO-Pakt II das Recht, sich frei und friedlich mit Anderen zu versammeln.
Dem Staat kommt diesbezüglich eine positive Leistungspflicht zu, will heissen: Anstatt sich nur zu überlegen, unter welchen Voraussetzungen eine Versammlung nicht stattfinden kann, müssen die Bewilligungsbehörden Demonstrationen und Versammlungen durch angemessene Massnahmen garantieren. Möglichkeiten sind die freie Abgabe von Schutzmasken, die Mithilfe bei der Organisation oder die Bewilligung von längeren Demorouten und -Zeiten, um den Abstand unter den Teilnehmenden zu ermöglichen.
Grundrechte sind Menschenrechte. Einschränkende Massnahmen sind in zeitlicher und sachlicher Hinsicht zu minimieren. Gerade Krisenzeiten sind der Lackmustest für die Wahrung von Menschenrechten. Der Bundesrat ist bis heute der Bevölkerung eine Antwort schuldig geblieben, ob das absolute Versammlungsverbot während der «ausserordentliche Lage» zulässig war oder nicht.2 Im Lichte, dass COVID-19 uns noch längere Zeit begleiten wird, stellt sich die Frage, was der Staat unternimmt, um die Menschenrechte zu garantieren und zu schützen.
Deshalb fordert grundrechte.ch vom Bundesrat und den Kantonen, dass das Recht auf freie Meinungsäusserung und Versammlungsfreiheit wieder hergestellt wird. Die Bewilligungspraxis muss in allen Kantonen willkürfrei und rechtsgleich sein. Der Bundesrat muss zusammen mit den Kantonen die Durchsetzung der Grundrechte garantieren. Er muss insbesondere dafür sorgen, dass die Bewilligungsbehörden geeignete Massnahmen treffen, damit weiterhin Kundgebungen durchgeführt werden können und die Teilnehmenden geschützt werden.
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