NZZ
Der Bundesrat hat seinen Abstimmungskampf gegen die «Durchsetzungsinitiative» der SVP lanciert. Bundespräsidentin Sommaruga warnte vor den Folgen dieser «Verschärfungsinitiative», die viel weitreichender seien, als man annehmen könnte.
Die sogenannte Durchsetzungsinitiative, die am 28. Februar zur Abstimmung gelangt und einer sehr strikten Linie bei der Ausschaffung krimineller Ausländer zum Durchbruch verhelfen soll, bewegt die Gemüter. So sprachen sich beispielsweise zuletzt 40 Ständeräte in einer ungewöhnlichen Aktion gegen das Begehren aus, das für einen langen Katalog von Delikten die Ausschaffung fordert. Die Initiative verletze verfassungsmässige Grundsätze, die Europäische Menschenrechtskonvention und das Abkommen zur Personenfreizügigkeit, heisst es in der Erklärung der Standesvertreter.
«Bruch mit den Regeln unserer Demokratie»
Am Dienstag hat nun auch die Landesregierung ihren Kampf gegen die SVP-Initiative lanciert. Das Begehren breche mit den Grundlagen der direkten Demokratie, sagte Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga vor den Medien. Gelange nämlich mit einer Volksabstimmung ein neuer Artikel in die Bundesverfassung, so behielten die anderen rund 200 Artikel ihre Gültigkeit. Ergäben sich dann Widersprüche, so müssten die einzelnen Artikel aufeinander abgestimmt werden. Sommaruga strich heraus, dass das Parlament die Gesetze nach Annahme der Ausschaffungsinitiative deutlich verschärft habe. Die Umsetzung der Initiative sei letzten Dezember verabschiedet worden, acht Monate vor Auslaufen der gesetzten Frist.
Ausserdem verletze die Durchsetzungsinitiative die Gewaltenteilung, indem sie das Volk praktisch zum Parlament und auch zum Gericht mache. Ein Referendum gegen die Ausschaffungsinitiative sei nämlich nicht ergriffen worden. Stattdessen sei ein neue Initiative lanciert worden, noch bevor sich das Parlament mit der Umsetzung beschäftigen konnte. Damit hätten die Initianten das Parlament zwingen wollen, ihren Vorschlag umzusetzen. «Das Parlament hat sich richtigerweise nicht zwingen lassen», unterstrich Sommaruga.
Vielmehr Verschärfungs- statt Durchsetzungsinitiative
Sommaruga bezeichnete die Vorlage auch als «unmenschlich», gefährde sie doch die Einhaltung der Menschenrechte in der Schweiz und behandle Ausländer wie Menschen zweiter Klasse. Plötzlich solle der Grundsatz nicht mehr gelten, wonach die Gericht jeden Einzelfall prüfen soll. Auch Etikettenschwindel warf die Bundespräsidentin den Initianten vor: Es handle sich nicht um eine Durchsetzungs- sondern um eine Verschärfungsinitiative, da auch Bagatellfälle zu einer Ausschaffung führen würden.
Schliesslich belaste die Initiative auch die Beziehungen zur EU zusätzlich und würde die laufenden Verhandlungen zur Begrenzung der Zuwanderung erschweren. Die Landesregierung ist damit der Auffassung, dass die Initiative zwei der grössten Trümpfe der Schweiz gefährdet, wie Sommaruga sagte, nämlich die Rechtssicherheit und die Stabilität. «Das schadet unserem Land».
Kantone vor vollendete Tatsachen gestellt
Sekundiert wurde Sommaruga von einem Vertreter der Kantone, dem Berner Regierungspräsidenten Hans-Jürg Käser (fdp.), welcher der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) vorsteht. Für die Kantone würde die Durchsetzungsinitiative vor allem ein Chaos bei der Umsetzung bedeuten, erklärte Käser. «Die Initiative lässt zahlreiche Fragen offen.»
Für Käser liegt das Problem darin, dass die Verfassungsinitiative eigentlich Gesetzesbestimmungen enthalte. Anders als beim Gesetzgebungsverfahren vorgesehen, könnten die Kantone aber keine Stellung beziehen. Vielmehr würden sie vor vollendete Tatsachen gestellt, da die neuen Bestimmungen bei einem Ja noch am Tag der Abstimmung in Kraft treten würden. Es fehle die Zeit für die nötigen Ausführungsbestimmungen, Verordnungen und allenfalls die Zuweisung personeller Ressourcen.
Rund 10,000 Ausschaffungen pro Jahr erwartet
Offen ist, wie sich die Verschärfung der Regeln zahlenmässig auswirken wird. Es sei ausserordentlich schwierig, genau zu sagen, was bei einer Annahme der Initiative geschehen werde, sagte Martin Dumermuth, Direktor des Bundesamts für Justiz. Es gebe einige Variablen in dieser Rechnung, beispielsweise die Zahl der Härtefälle. Laut Dumermuth ist es aber klar, dass die Ausschaffungen verglichen mit den Verschärfungen im Zuge der Ausschaffungsinitiative deutlich zunehmen würden, von voraussichtlich knapp 4000 jährlich auf rund 10,000. Die Differenz ergebe sich dabei nicht wegen schwerer Delikte, sondern wegen leichter Massendelikte, sagte Dumermuth.
Sämtliche grösseren Parteien sind gegen die SVP-Initiative. Für eine umfangreiche Kampagne fehlt den Gegnern allerdings das Geld. Weder Wirtschaftsverbände noch Unternehmen wollen nämlich investieren, was ihnen schon einige Kritik eingebracht hat.
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