Christoph Lenz, Tages Anzeiger
Mit seinen Hinterzimmergremien verspielt der Bundesrat bei der Digitalisierung viel Vertrauen.
Privatsphäre sei ein Luxus der Gesunden. Doch auch sie müsse man dazu bringen, ihre Daten herzugeben. Dies sagte Calvin Grieder, der Präsident des Duftstoffkonzerns Givaudan, an einer Sitzung in Bern im Oktober 2018. Er erntete keinen Widerspruch. Auch nicht von den zwei Bundesräten, die zum Treffen eingeladen hatten. Dies geht aus dem Sitzungsprotokoll hervor, das diese Zeitung gestern veröffentlicht hat.
Die disruptive Kraft der Digitalisierung wurde schon oft besungen. Selten aber offenbarte sie sich in der Schweiz so drastisch: In der Bundesverfassung erscheint das Grundrecht auf Privatsphäre ganz weit vorne, im Artikel 13, noch vor der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Unter zukunftseuphorischen Beratern der Landesregierung sieht man darin offenbar nur noch ein verzichtbares Accessoire.
Der Beirat «Digitale Transformation» steht exemplarisch für die Fehler des Bundesrats im weiten Themenfeld der Digitalisierung. Als sie das Gremium 2017 ins Leben riefen, erklärten Doris Leuthard und Johann Schneider-Ammann, sie wollten damit den Digitaldialog mit Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft ankurbeln. Nach fünf Sitzungen zeigt sich: Datenschützer, Patientenrechtler, Arbeitnehmer und andere Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen durften ihre Bedenken gegenüber bestimmten Effekten der Digitalisierung nie persönlich vorbringen. Die Konzernchefs, Professoren und Verwaltungsvertreter, handverlesen von Leuthard und Schneider-Ammann, sollten nicht gestört werden, wenn sie sich gegenseitig über die einzigartigen Chancen der Jetztzeit aufklärten.
Überhaupt nimmt man den Bundesrat in Bezug auf die Digitalisierung hauptsächlich dann wahr, wenn im Herbst anlässlich des sogenannten Digitaltags mehrere seiner Mitglieder ins Land ausschwärmen und mit autosalonmässiger Begeisterung ein paar Neuheiten ausprobieren. Oh, ein Drohnenballett, eine Virtual-Reality-Brille, ein Roboter! Seltsam phlegmatisch reagiert die Regierung derweil, wenn es um die Lösung von technologiegetriebenen Problemen wie illegalem Download oder Uberisierung der Arbeitsbedingungen geht. Wer die Digitalisierung so oberflächlich behandelt, muss sich nicht wundern, wenn die Bürger den Behörden die sichere Einführung von E-Voting nicht zutrauen oder dem elektronischen Patientendossier mit Skepsis begegnen.
Der Doppelrücktritt von Doris Leuthard und Johann Schneider-Ammann bietet dem Bundesrat nun immerhin die Chance, eine offenere und ehrlichere Digitalpolitik durchzusetzen. Beratergremien, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit Pläne aushecken, um besser an die Daten der Bürger zu kommen, haben darin keinen Platz.
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