Eisenbahn und Datenschutz

Vorwärts vom 14. September 2012

Christian Thommen. Die SBB will die geplante Einschränkung der Transportpflicht dazu nutzen, Fahrgäste zu überwachen und die Repression zu intensivieren. Das elektronische Ticket, das dazu geplant ist, wurde bereits einmal als verfassungswidrig beurteilt.

Kurz vor den Sommerferien hat der Bundesrat eine Änderung des Personenbeförderungsgesetzes zur Aufhebung der Transportpflicht in Vernehmlassung geschickt. Bahn- und Busunternehmungen sollen davon befreit werden, Besucher von Sportveranstaltungen mit fahrplanmässigen Kursen transportieren zu müssen. selbst bei Vorhandensein eines gültigen Fahrausweises. Für die Benutzung von Extrazügen sollen rigorose Regeln erlaubt sein, zum Beispiel ein Verbot des Mitführens alkoholischer Getränke oder die Pflicht zu Kombi-Tickets oder gar Fan-Cards. Transportunternehmungen sollen den Transport von Personen formlos verweigern können, ohne Verfügung und ohne die Möglichkeit einer Einsprache.

Es geht in Wahrheit nicht um finanzielle Gründe

Der Gesetzesentwurf beruht auf Gerüchten, wonach. die SBB jährlich Sachschäden in Millionenhöhe erleiden würde, insbesondere durch Fussballfans. Diese Vorwürfe wurden aber Anfang dieses Jahres von der WOZ widerlegt. Die Sachschäden sind verglichen mit der Anzahl transportierter Passagiere marginal. Das finanzielle Argument kann hier daher nicht vorgebracht werden. Die Vorgabe der Halteorte von Extrazügen sowie die Kombi-Tickets sollen vielmehr Fan-Märsche unterbinden und die Bewegungsfreiheit der Fans einschränken. Mit der Pflicht einer Fan-Card wäre jedeR identifizierbar. Alkoholverbote, Kombi-Tickets und Fan-Card sind fragwürdige Errungenschaften der «PoIicy gegen Gewalt im Sport», welche die Polizeidirektorenkonferenz im November 2009 der Öffentlichkeit präsentiert hat. Das geplante Gesetz hat also nichts mit Personentransport zu tun, vielmehr läuft es auf eine nicht beschwerdefähige sicherheitspolizeiliche Massnahme zur Fernhaltung unerwünschter Personen an Sportveranstaltungen hinaus. Im polizeilichen Bereich hat der Bund aber keine Kompetenzen, weshalb diese Neuregelung, vergleichbar mit dem Hooligan-Gesetz, verfassungswidrig sein dürfte.

Elektronische Tickets sind für die Zukunft geplant

Ganz ohne Gesetzesänderung durchlöchert der Verband öffentlicher Verkehr den Datenschutz: Am 6. und 7. September 2012 stimmten seine Mitglieder hinter verschlossenen Türen über das Konzept einer ÖV-Karte ab. Ab Ende 2013 soll diese ÖV-Karte mit einem RFID-Chip die heutigen General-, Halbtax- und regionale Tarifverbund-Abonnemente ablösen. Später soll die neue Karte auch herkömmliche Papiertickets ersetzen. Mit Lesegeräten an allen Türen öffentlicher Verkehrsmittel können die Daten der ÖV-Karten beim Ein- und Aussteigen eingelesen werden. In einer zentralen Datenbank werden alle Bewegungen mit Tram, Bus, Bahn und Sportbahnen mit Datum und exakter Zeitangabe gespeichert. Vor über zehn Jahren wollte die SBB unter dem Namen «EasyRide» etwas Ähnliches einführen. In seinem Tätigkeitsbericht 1999/2000 hat der damalige Eidgenössische Datenschutzbeauftragte (EDSB, heute EDÖB) das Projekt «EasyRide» analysiert. Er stellte fest, dass die verfassungsmässig garantierte Bewegungsfreiheit nicht nur das Recht beinhalte, sich frei bewegen zu können, sondern auch das Recht, dabei nicht systematisch beobachtet zu werden. Ebenso seien Bewegungsprofile vom Datenschutzgesetz speziell geschützt. Der EDSB forderte auch, dass weiterhin ohne Preisnachteil Fahrausweise ohne RFID-Chip erhältlich sein müssten.

Den Verband öffentlicher Verkehr scheint dies wenig zu kümmern. Er schreit zwar ewig nach mehr Geld und mehr Kompetenzen, zum Beispiel bei der Revision des Bahnpolizeigesetzes oder aktuell bei der Aufhebung der Transportpflicht bei bestimmten Personengruppen, hintergeht aber die Interessen seiner Kundinnen systematisch und erlässt verbindliche Bestimmungen wie zum Beispiel die Billettpflicht in allen Zügen seit Dezember 2011 oder jetzt die OV-Card.

 

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