Patrick Walder, Alex Sutter und Viktor Györffy, NZZ Gastkommentar
Die Voraussetzung für präventive Massnahmen ist nicht mehr wie im Strafrecht der Verdacht gegen bestimmte Individuen, sondern der Generalverdacht gegen ganze Gruppen, in denen Gefährder vermutet werden.
Wir haben uns daran gewöhnt, dass die Terrorbedrohung immer weiter gehende Repressionsmassnahmen rechtfertigt nach dem Motto: Der Zweck heiligt die Mittel. Kürzlich hat der Bundesrat das neue Gesetz über polizeiliche Massnahmen gegen den Terrorismus in die Vernehmlassung geschickt. Das Gesetz richtet sich gegen sogenannte Gefährder: Personen, die sich weder einer Straftat schuldig gemacht haben noch einer solchen verdächtigt werden. Wenn man bei der Lektüre nicht ständig die «Jihadisten» als implizite Zielgruppe mitdenkt, liest sich das Gesetz wie eine Vorlage für ein totalitäres System, das Gefahren immer tiefer im präventiven Bereich abzuwehren versucht.
Laut der Vorlage soll die Polizei eigenmächtig Massnahmen wie Kontaktverbote oder den Einsatz von elektronischen Fussfesseln anordnen können, wenn ihr eine Person als gefährlich erscheint. Sie braucht dafür nicht einmal eine richterliche Zustimmung. Das Gesetz definiert «Gefährder» als «potenziell gefährliche Personen». Eine unsinnige und problematische Definition, denn potenziell gefährlich sind alle Menschen. Der Begriff dient dazu, die präventive Gefahrenabwehr auf Kosten der Grundrechte nochmals erheblich zu erweitern.
Denn die Strafbarkeit von terroristischen Delikten ist bereits tief in den präventiven Bereich vorgelagert. Die ebenfalls laufende Revision der Anti-Terror-Strafgesetze führt neue Delikte ein, wie die Vorbereitung einer Reise für terroristische Zwecke, die vom eigentlichen Delikt (zum Beispiel einem Anschlag durch den IS in Syrien) mehrere Schritte entfernt sind. Das klingt vernünftig, wird in der Praxis aber schnell spekulativ.
Die nun vorgeschlagenen polizeilichen Massnahmen gehen noch einen Schritt weiter und hantieren auf der Grundlage von reinen Vermutungen über Absichten und mögliche Taten. Gestützt werden sollen die Spekulationen durch Informationen, die zum Beispiel durch die Überwachung von Kommentaren in sozialen Netzwerken gewonnen werden. Aussagen über die potenzielle Gefährlichkeit einer Person sind immer spekulativ, und sie kommen nicht ohne Bezug auf Wertauffassungen und politische Haltungen aus. Damit geraten die Behörden in die Nähe der Gesinnungsschnüffelei.
Die Voraussetzung für präventive Massnahmen ist nicht mehr wie im Strafrecht der Verdacht gegen bestimmte Individuen, sondern der Generalverdacht gegen ganze Gruppen, in denen Gefährder vermutet werden. Diese Gruppen werden mit Stereotypen eingegrenzt; Merkmale wie religiös, männlich, jung, eingewandert werden zu einem Risikofaktor. Damit droht die Gefahr einer diskriminierenden Anwendung der Massnahmen. Doch einmal im Gesetz verankert, kann dieses Instrumentarium auch gegen andere Gruppen eingesetzt werden, die als politisch radikal oder als gesellschaftlich randständig gelten.
Das neue Gesetz stellt zudem Rechtsprinzipien wie die Unschuldsvermutung infrage. Denn einmal mit einer einschneidenden Massnahme belegt, müssen Gefährder durch ihr Verhalten zeigen, dass sie nicht «potenziell gefährlich» sind, was nicht nur der Umkehr der Beweislast gleichkommt, sondern auch eine kafkaeske Unmöglichkeit ist.
Grundsätzlich ist fragwürdig, ob eine weitere gesetzliche Aufrüstung zur Terrorbekämpfung überhaupt erforderlich ist. Die Schweiz hat in jüngster Zeit mehrere scharfe Instrumente geschaffen: das Nachrichtendienstgesetz, das Anti-Terror-Strafgesetz und den nationalen Aktionsplan gegen Radikalisierung. Bevor deren Wirksamkeit geprüft werden kann, macht der Bund einen weiteren Schritt in Richtung einer präventiven und umfassenden Kontrolle. Der Anspruch auf garantierte Sicherheit wird zunehmend allgewaltig und führt zu polizeistaatlichen Methoden, die eines demokratischen Rechtsstaats unwürdig sind.
Patrick Walder ist Campaign Coordinator bei Amnesty International, Alex Sutter ist Co-Geschäftsleiter des Vereins humanrights.ch und Viktor Györffy ist Rechtsanwalt sowie Präsident des Vereins grundrechte.ch
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