Am 16. September 2012 berichtete die Basler Zeitung unter dem Titel «Die Mär von der Gewaltspirale», dass die vor allem von Seiten der Polizei regelmässig behauptete Zunahme der Gewalt an und um Sportveranstaltungen nicht nachweisbar sei. Erinnerungen an den WOZ-Artikel «Der Schaden ist angedichtet», welcher belegt, dass die von den SBB behaupteten Sachschäden an Zügen von jährlich 3 Millionen Franken eine reine Lüge sind, werden wach. Auch der kürzlich veröffentlichte Untersuchungsbericht zur Tragödie von Hillsborough vor 23 Jahren mit 96 Toten, welcher die Schuld der Polizei zuweist und die Polizei der Lüge überführt, kommt einem sofort in den Sinn.
Seit im Hinblick auf die Euro 08 in der Schweiz und in Österreich im Frühjahr 2006 unter Applaus der Verantwortlichen des SFV und der SFL das «Hooligan-Gesetz» beschlossen wurde, sind unter dem Hinweis auf die sich stetig weiterdrehende Gewaltspirale laufend neue gesetzliche Massnahmen gefordert und auch umgesetzt worden, ohne aber die zunehmende Gewalt aufzeigen zu können.
Innerhalb von wenigen Jahren gab es mit dem «Hooligan-Gesetz» ab 1. Januar 2008, dem «Hooligan-Konkordat» ab 1. Januar 2010, dem verschärften «Hooligan-Konkordat» ab 2013 und der aktuell geforderten Aufhebung der Transportpflicht von Bahn- und Busunternehmen für Besucher von Sportveranstaltungen nicht weniger als 4 Gesetzesänderungen, um ein angebliches Problem in den Griff zu bekommen. Allein diese Tatsache zeigt schon, dass etwas faul sein muss.
Nach der «Schande von Basel» am 13. Mai 2006 tagte am 29. Januar 2007 unter Leitung von Sportminister Sämi Schmid der erste «Runder Tisch gegen Gewalt im Umfeld von Sportveranstaltungen» mit Vertretern von Swiss Olympic, Sportverbänden und Ligen sowie Bund und Kantonen und verabschiedete die «Erklärung des Schweizer Sports zur Bekämpfung von Gewalt im und um den Sport». In regelmässigen Abständen wurden neue Massnahmen wie automatische Gesichtserkennung an Eingängen zu Stadien etc. angekündigt. Ausser warmer Luft ist aber bei den runden Tischen nichts herausgekommen, und im Jahre 2011 wurden sie beerdigt.
Eine Eigendynamik entwickelten die Polizeidirektoren. Da das «Hooligan-Gesetz» bis Ende 2009 befristet war, vor allem, weil der Bund keine Kompetenzen im sicherheitspolizeilichen Bereich hat, warben sie schon sehr früh für eine dauerhafte Anti-Ultra-Lösung.
Ein Konkordat wurde erarbeitet, welches ab dem 1. Januar 2010 alle Bestimmungen des «Hooligan-Gesetzes» auf kantonaler Stufe weiterführte. Dieses Konkordat ist in der Zwischenzeit in allen Kantonen in Kraft. Obwohl die Kosten für Polizeieinsätze mit dem «Hooligan-Gesetzes» trotz gegenteiliger Ankündigung stetig stiegen, wurde auch das Konkordat vor allem mit dem Argument Kostenersparnis verkauft.
Vom 6. bis 8. August 2009 führte eine Delegation der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD), u. a. mit Karin Keller-Sutter und Hanspi Gass, ein Auslandsreisli nach England, Belgien, Deutschland und Holland durch. Aus den Erkenntnissen wurde die «Policy gegen Gewalt im Sport» gebastelt, welche am 5. November 2009 präsentiert wurde. Diese Policy enthielt bahnbrechende Massnahmen wie reine Sitzplatzstadien, Alkoholverbote auch auf den Anreiserouten, Fancard etc., alles Dinge, welche von Schweizer Sportverbänden schon getestet wurden und kläglich gescheitert sind. Noch bevor das Konkordat, welches angeblich alle Probleme lösen sollte, in Kraft trat, wurden mit dieser Policy schon weiterführende Massnahmen postuliert.
Weil die Polizei, welche von den Verantwortlichen der Sportverbände gerufen wurde, eigentlich um Pyro auszurotten, plötzlich begann, für ihre Einsätze Rechnungen zu verschicken, obwohl in den Stadien nicht weniger gezündet wurde, verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Polizei und Vereinsvertretern zusehends. Die Zeit, als sie ein Herz und eine Seele waren, war vorbei. Die Clubverantwortlichen fanden sich in der Rolle des Zauberlehrlings, der die Geister, die er rief, nicht mehr loswurde, wieder. Sie müssen sich vorkommen, wie jemand, der den Klempner rief, um einen tropfenden Wasserhahn zu reparieren: Der Klempner erscheint sogleich mit einer ganzen Armee von Hilfsklempnern, aber nach drei Jagren tropft der Wasserhahn immer noch, dafür schneit es eine Rechnung über ein paar Millionen Franken ins Haus.
Im Oktober 2011, nachdem der «Runde Tisch gegen Gewalt im Umfeld von Sportveranstaltungen» ergebnislos gescheitert war, wurde von der KKJPD eine Änderung, d. h. Verschärfung, des Konkordats vorgestellt: Die Bagatelldelikte «Tätlichkeit» und «Hinderung einer Amtshandlung» sollten in den Katalog aufgenommen werden, ebenso sollte die anlasslose Durchsuchung von Personen durch Private erlaubt werden. Rayonverbote sollten neu schweizweit für 2 Jahre gelten, und Meldeauflagen sollten ohne vorhergehende Verletzung eines Rayonverbots möglich werden. Zudem ist eine Bewilligungspflicht für Sportveranstaltungen vorgesehen. Damit sollten alle Massnahmen der «Policy gegen Gewalt im Sport» durchgeboxt werden. Auch diese Änderung wurde damit verkauft, das «die Gewaltspirale durchbrochen werde» und Kosten gesenkt würden.
Die Forderung nach immer mehr Gesetzen und Auflagen war längst zu einem Selbstzweck geworden, und manche Polizeidirektoren nützen die Stimmungsmache, um sich günstig zu positionieren, sei dies für Ständerats- oder Bundesratswahlen, oder um ein höheres Budged für ihr Ressort durchzubekommen. Dass die Gewalt rund um Sportveranstaltungen zunehme, wurde immer nur behauptet, aber nie bewiesen. Im Gegenteil, seriöse Quellen sprechen gar von einem Rückgang der Gewalt.
Im Gegensatz zur Zeit vor der Euro 08, als alle Sportverbände und Vereine das «Hooligan-Gesetz» begrüssten, stemmten sie sich nun gegen einzelne Bestimmungen der Änderung des Konkordats, vor allem gegen die Bewilligungspflicht von Spielen. Auch realisierten einige Clubpräsidenten, dass es nicht gerade schlau ist, am Ast zu sägen, auf dem man sitzt, sprich die Zuschauer, welche das Geld bringen, zu schikanieren.
Das geänderte Konordat liegt zur Zeit bei den Kantonen zur Ratifizierung. Der Kanton St. Gallen hat schon vor den Sommerferien ben Beitritt beschlossen, der Kantonsrat Zürich in erster Lesung am 24. September 2012 ebenfalls.
Und wie schom im Jahre 2009, als mit der «Policy gegen Gewalt im Sport» ein Massnahmepaket vorgestellt wurde, bevor die vorgängig beschlossene Massnahme in Kraft gesetzt wurde, ist momentan eine Gesetzesänderung zur Aufhebung der Transportpflich in Vernehmlassung, noch bevor die Änderung des Konkordats, welche angeblich alle Probleme löst, von den Kantonen beschlossen worden ist:
Kurz vor den Sommerferien hat der Bundesrat eine Änderung des Personenbeförderungsgesetzes zur Aufhebung der Transportpflicht in Vernehmlassung geschickt. Bahn- und Busunternehmungen sollen davon befreit werden, Besucher von Sportveranstaltungen mit fahrplanmässigen Kursen transportieren zu müssen, selbst bei Vorhandensein eines gültigen Fahrausweises. Für die Benutzung von Extrazügen sollen rigorose Regeln, z. B. ein Verbot des Mitführens alkoholischer Getränke oder die Pflicht zu Kombi-Tickets oder gar Fan-Cards, erlaubt sein.
Der Gesetzesentwurf beruht auf Gerüchten, wonach die SBB jährlich Sachschäden in Millionenhöhe erleiden würden, insbesondere durch Fussballfans. Diese Vorwürfe wurden aber Anfang dieses Jahres von der WOZ widerlegt, die Sachschäden sind verglichen mit der Anzahl transportierter Passagiere marginal. Das finanzielle Argument kann daher hier nicht vorgebracht werden.
Diese Gesetzesänderung will auch nicht die Verhinderung von Sachschäden bezwecken. Vielmehr sollen damit durch die Vorgabe der Halteorte von Extrazügen in erster Linie Fan-Märsche von grossen Bahnhöfen zu Stadien und durch die Pflicht von Kombi-Tickets die Bewegungsfreiheit potentieller Besucher von Sportveranstaltungen unterbunden werden. Durch die Pflicht einer Fan-Card ist auch jeder Mitfahrer identifizierbar. Alkoholverbote, Kombi-Tickets und Fan-Card sind aber fragwürdige Errungenschaften der «Policy gegen Gewalt im Sport», welche die Polizeidirektorenkonferenz im November 2009 der Öffentlichkeit präsentiert hat. Das geplante Gesetz hat also nichts mit Personentransport zu tun, vielmehr läuft es auf eine sicherheitspolizeiliche Massnahme zur Fernhaltung unerwünschter Personen an Sportveranstaltungen hinaus. Im polizeilichen Bereich hat der Bund aber keine Kompetenzen, weshalb diese Neuregelung, vergleichbar mit dem Hooligan-Gesetz, verfassungswidrig sein dürfte. Es ist absehbar, dass diese neue Regelung bald auf andere Personengruppen ausgeweitet wird, wenn sie beschlossen wird.
Es kommt hinzu, dass Transportunternehmungen den Transport von Personen formlos verweigern können, ohne Verfügung und ohne die Möglichkeit einer Einsprache. Anders als Fenrhaltemassnahmen des Konkordats (Rayonverbote und Meldeauflagen) können die neuen Fenrhaltemassnahmen der Transportunternehmungen nicht angefochten werden.
Allerdings besteht ein direkter Zusammenhang zwischen der Änderung des Konkordats und der geplanten Aufhebung der Transportpflicht. Die Polizeidirektoren sind zwar schlau, denn sie haben herausgefunden, dass mit einer Bewilligungspflicht von Spielen auch Vorgaben an Vereine gemacht werden können. Sie sind aber nicht schlau genug, um zu realisieren, dass eben nur dem Bewilligungsnehmer, das heisst dem Heimclub, Auflagen gemacht werden können, dem Gastclub hingegen nicht. All die tollen Erfindungen der «Policy gegen Gewalt im Sport», wie Alkoholverbote auf der Anfahrt, Kombi-Ticket etc., lassen sich auch mit dem neuen Konkordat nicht durchsetzen, selbst wenn die Polizeidirektoren das Gegenteil behaupten. Es braucht noch ein zusätzliches Zwangsinstrument, um Gästefans drangsalieren zu können, und das ist eben die Aufhebung der Transportpflich: Entweder mit dem Extrazug fahren und alle Auflagen akzeptieren oder zu Hause bleiben.
Noch während der Vernehmlassungsfrist, welche bis zum 11. Oktober 2012 läuft, in der sich jedermann zum geplanten Gesetztesentwurf äussern kann, haben der Nationalrat und der Bundesrat am 24. September 2012 herumposaunt, dass sie diese Gesetzesänderung unbedingt wollen. Sämtliche Betroffenen (oder zumidest einige) werden also angefragt, was sie meinen, und bevor die Antwort da ist, wird beschlossen. Dieses inakzeptable und beleidigende Vorgehen passt aber zu allen Massnahmen der Repressionsspirale der letzten Jahre.
Polizeiverantwortliche streiten gegenwärtig, ob die Bahnpolizei oder die Kantonspolizeien dieses dümmliche Gesetz dursetzen sollen und damit auch bezahlen dürfen. Eine Kostenersparnis ist nicht auszumachen, da noch zusätzliche Aufgaben wie Zugangskontrollen zu Transportmitteln hinzukommen. Ein Marschhalt tut Not.
Ein Rezept zur Senkung der Kosten von Polizeieinsätzen rund um Sportveranstaltungen gäbe es, welches ab sofort ohne Gesetzesänderung umsetzbar wäre: Sollen 50 % der Kosten eingespart werden, einfach nur 50 % der Einsatzkräfte aufbieten, sollen gar 80 % eingespart werden, halt nur 20 % der Einsatzkräfte aufbieten. Auch mit einem Polizeiaufgebot von nur 20 % würde es nicht mehr Gewalt und Sachschäden an Sportveranstaltungen geben, und um nachträglich Videos auszuwerten, wie dies in Basel und Zürich üblich ist, braucht es keine Hundertschaften von Polizei vor den Stadien. Eine Analyse der bisherigen Massnahmen zeigt klar, dass einzig die Kosten gestiegen sind.
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