Auf den 1. Januar 2007 ist der neue Abschnitt 5a BWIS (Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit), das sogenannte Hooligangesetz, in Kraft getreten.
Neu wurden im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen Rayonverbote, Meldeauflagen, Polizeigewahrsam und Ausreisebeschränkungen ermöglicht. Ebenso wurde eine zentrale Datenbank geschaffen, in welcher alle Massnahmen verzeichnet werden.
„verhältnismässiges“ Gesetz
Oberflächlich betrachtet ist dieses neue Gesetz milde ausgestaltet, zumindest wurde es in der Botschaft des Bundesrats so präsentiert. Mit einem Kaskadenprinzip soll garantiert werden, dass immer die mildeste der möglichen Massnahmen angeordnet wird. So wird erst dann eine einschneidendere Massnahme, wie eine Meldeauflage, ergriffen, wenn mildere Massnahmen, etwa ein Rayonverbot, missachtet worden sind. Zudem muss Polizeigewahrsam von maximal 24 Stunden auf Antrag zwingend von einem Richter überprüft werden, während bei vergleichbarer Präventivhaft aufgrund kantonaler Gesetze in der Regel kein Anspruch auf richterliche Überprüfung besteht. Weiter sollte die Dauer der ausgesprochenen Massnahmen nach Schwere der Gewalttätigkeiten gestaffelt sein. Rayons schliesslich sollten nur so gross sein, dass die Bewegungsfreiheit von Betroffenen nicht übermässig beschränkt wird.
Unschuldsvermutung ade
Bei näherem Betrachten erweist sich das neue Gesetz aber als unzumutbar. Es ermöglicht die Einschränkung von Grundrechten wie der Bewegungsfreiheit. Obwohl die Massnahmen von Betroffenen als Strafen empfunden werden, sind es lediglich Verwaltungsverfügungen. Somit kommen die wenigen Rechte, welche Angeschuldigten aufgrund der kantonalen Strafprozessordnungen zustehen, nicht zum Tragen. Vor allem gibt es keine Unschuldsvermutung mehr und auch keine aufschiebende Wirkung bei Einsprachen. In der Verfassung garantierte Grundrechte können für lange Zeit ohne Beweis und ohne Richter eingeschränkt werden, was in der Schweiz neu ist. Dieses grösste Problem des Hooligangesetzes ist aber auch die grösste Chance, es wieder loszuwerden.
Pyro nachträglich zu Gewalt gemacht
Noch vor Ablauf der Referendumsfrist hat der Bundesrat gesündigt. In der Verordnung VWIS bestimmte er in Art. 21 a Abs. 2, dass auch das Mitführen von pyrotechnischem Material in Sportstätten als gewaltbereites Verhalten gelte. Weder in der Botschaft noch im Gesetz kommen aber die Wörter Feuer, Feuerwerk, Pyro oder pyrotechnisch vor. Vielmehr ist in der Botschaft über die Zielpersonen zu lesen, dass sich das Gesetz gegen bekannte Gewalttäterinnen und Gewalttäter an Sportanlässen im In- und Ausland richte.
Kantone haben geschlafen
Die Vorlage war unseriös vorbereitet. Die Kantone, welche die Vorlage umsetzen müssen, hätten zu diesem Zweck ihre Gesetze anpassen sollen, insbesondere war die richterliche Überprüfung des Polizeigewahrsams verfassungskonform sicherzustellen. Einige wenige Kantone, z. B. Solothurn, haben das Polizeigesetz angepasst und diese neue Haftüberprüfung auf Gesetzesstufe akzeptabel geregelt. In den meisten Kantonen wurden lediglich Verordnungen erlassen, deren Qualität stark schwankt. Im Kanton Basel-Landschaft etwa wurde die vorgeschriebene richterliche Überprüfung durch ein Anhörungsverfahren vor dem Statthalteramt ersetzt. Viele Kantone, darunter Basel-Stadt und Zürich, setzten auf Verordnungsstufe den Haftrichter zur Überprüfung des Polizeigewahrsams ein, was nicht verfassungskonform ist. Andere Kantone, darunter St. Gallen und Aargau, fanden es gar nicht nötig, kantonale Ausführungsbestimmungen zu erlassen. Der Regierungsrat des Kantons Aargau hat immerhin nach einer gutgeheissenen Beschwerde gegen eine verfügte Wegweisung auf den 1. Januar 2008, also ein Jahr verspätet, eine Verordnung in Kraft gesetzt.
Zwei Verordnungen, diejenigen von Basel-Landschaft und Zürich, wurden angefochten. Das Kantonsgericht Basel-Landschaft hat erkannt, dass die Haftüberprüfung durch die Statthalterämter verfassungswidrig ist. Das Bundesgericht hat die Einführungsverordnung das Kantons Zürich zu BWIS ebenfalls wegen der mangelhaften Haftüberprüfung teilweise aufgehoben.
In Baselland soll die Haftüberprüfung per Dekret des Landrats an das Kantonsgericht delegiert werden, obwohl dieses keine Überprüfung innert 24 Stunden garantieren kann. Zudem entspricht das Dekret lediglich einer Verordnung. In Zürich soll Ende Mai 2008 eine Änderung des Verfassungsgerichtsgesetzes vom Kantonsrat per sofort in Kraft gesetzt werden.
HOOGAN „write-protected“
Die Unschuldsvermutung ist ausgehebelt, und ohne Beweis ist man schnell in der Hooligandatenbank „HOOGAN“ registriert. Selbst die Aufhebung eines irrtümlich erteilten Stadionverbots reicht nicht, um aus HOOGAN gelöscht zu werden. Ein Fall aus Basel wurde bis vors Bundesverwaltungsgericht gebracht. Adrian Lobsiger, Stabschef FEDPOL, schrieb in seiner Stellungnahme zuhanden des Bundesverwaltungsgerichts frech, dass Art. 32 BV und Art. 6 Abs. 2 EMRK (Unschuldsvermutung) nicht berührt sei, weil HOOGAN eine verwaltungs- und nicht strafrechtliche Datensammlung darstelle.
Ein parallel laufendes Strafverfahren führte zu einem Freispruch, der Steward, welcher die betroffene Person falsch angeschuldigt hatte, erschien nicht einmal zur Verhandlung und kassierte eine Ordnungsbusse. Im Anschluss an den Freispruch wurde der HOOGAN-Eintrag gelöscht. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Verfahren in der Folge abgeschrieben, immerhin wurde aber eine Parteientschädigung zugesprochen.
Auch in St. Gallen reicht ein eingestelltes Strafverfahren nicht, um aus HOOGAN gelöscht zu werden. Ein Verfahren vor dem Stadtrat ist hängig.
Wie weiter im Jahr 2010 ?
Die Gültigkeit des Hooligangestzes ist wegen verfassungsrechtlicher Bedenken bis zum 31. 12. 2009 befristet. Verfassungsrechtliche Bedenken nicht etwa wegen der fehlenden Unschuldsvermutung, sondern weil der Bund keine Kompetenzen im polizeilichen Bereich hat. Momentan ist eine Vorlage bei den eidgenössischen Räten, welche entweder einen Verfassungsartikel schaffen und somit BWIS I bis zum St. Nimmerleinstag weiterführen oder eine „Konkordatslösung“ ermöglichen soll.
Die vorgeschlagene „Konkordatslösung“ ist allerdings eine Hybridlösung, die Datenbank bleibt beim Bund, und die gesetzlichen Grundlagen für Massnahmen werden von den Kantonen erlassen; ein Konkordat wäre gar nicht nötig, weil ein von den Kantonen gemeinsam getragener Gegenstand (wie zum Beispiel die Polizeischule im Konkordat von Hitzkirch) fehlt, die gesetzlichen Grundlagen könnte jeder Kanton allein erlassen.
Neu soll im geplanten Konkordat auch das Mitführen von gefährlichen Gegenständen (= Pyro) auf dem Weg zu Sportanlässen als gewaltbereites Verhalten gelten. Zudem soll die Polizei Stadionverbote beantragen können.
Beschwerde gegen Konkordat in St. Gallen im Sommer 2008
Der Kantonsrat St. Gallen hat als erstes Parlament in erster Lesung dem Beitritt zum Hooligan-Konkordat zugestimmt, der definitive Beschluss im Juni ist reine Formsache. Eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vor dem Bundesgericht gegen diesen ersten Beitritt eines Kantons ist nach der Erwahrung im Amtsblatt möglich, voraussichtlich ab Ende Juli 2008.
Hauptansatzpunkt in der Beschwerde wird die fehlende Unschuldsvermutung (Art. 6 EMRK) sein. Obwohl von amtlicher Seite immer und überall von präventiven Massnahmen, welche ausgesprochen werden könnten, bevor etwas passiert sei, die Rede ist, trifft genau dies nicht zu. In den allermeisten Fällen ist eine Massnahme gemäss Hooligangesetz / Hooligankonkordat untrennbar mit der Anschuldigung, ein Vergehen begangen zu haben, und einem entsprechenden Strafverfahren verbunden.
Ein weiterer Punkt wird die Verletzung des Rechts auf wirksame Beschwerde (Art. 13 EMRK) sein: Die Polizei soll neu Stadionverbote beantragen können; gegen ein Stadionverbot, welches doppelt so lange dauert wie ein Rayonverbot, ist keine Beschwerde möglich.
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