Bern, den 28. Oktober 2010
Eidgenössische Alkoholverwaltung
Totalrevision
Länggassstrasse 35
3000 Bern 9
Totalrevision des Alkoholgesetzes: Entwurf eines Spirituosensteuergesetzes und eines Alkoholgesetzes, Vernehmlassungsfrist 31. 10. 2010
Sehr geehrter Bundesrat
Sehr geehrte Damen und Herren
Gerne nehmen wir Stellung zur Totalrevision des Alkoholgesetzes. In unserer Vernehmlassungsantwort beschränken wir uns auf Aspekte, welche grundrechtsrelevant sind.
Die Ermöglichung von Testkäufen (Art. 9 Alkoholgesetz) lehnen wir entschieden ab. Bei diesen Testkäufen handelt es sich um verdeckte Ermittlungen, wie es z. B. das Kantonsgericht Basel-Landschaft erkannt hat (Urteil vom 10. Februar 2009).
Das Bundesgesetz über die verdeckte Ermittlung (BVE) vom 20. Juni 2003 setzt für verdeckte Ermittlungen hohe Schranken. Einerseits muss ein Anfangsverdacht vorliegen (eine Vermutung genügt nicht), andere Untersuchungshandlungen müssen erfolglos geblieben und eine Straftat gemäss Katalog muss begangen worden sein. Für Bagatelldelikte kommt verdeckte Ermittlung nicht in Frage (Art. 4 BVE). Andererseits muss eine richterliche Genehmigung vorliegen (Art. 7 BVE). Verdeckte Ermittlungen stellen einen schweren Eingriff in Persönlichkeitsrechte dar. Die Hürden für verdeckte Ermittlungen sind vom Gesetzgeber deshalb vor sieben Jahren bewusst hoch angesetzt worden, um dem Prinzip von Treu und Glauben folgend das Vertrauen in den Staat nicht zu gefährden.
Es wäre nun fatal, wenn dieses Konzept für Testkäufe im Alkoholbereich durchbrochen würde. Eine völlige Verwässerung, wenn nicht gar totale Aushebelung des Bundesgesetzes über die verdeckte Ermittlung wäre innert kürzerster Frist die Folge, was klarerweise nicht erwünscht ist. Bekanntlich verlangen die Polizeibehörden diesbezüglich immer mehr Kompetenzen und Mittel, was zur Folge hätte, dass für alles und jedes eine spezialgesetzliche Regelung zur Aushebelung des BVE geschaffen würde, und dieses somit zur Makulatur verkommt. Aktuelle Beispiele dafür sind u. a. die Forderung nach Kokain-Testkäufen, welche das Bundesgericht aufgrund des BVE unterbunden hat, oder das präventive verdeckte Schnüffeln in Chatrooms, welches mit der neuen StPO rechtlich eingeschränkt wird.
Sehr bedenklich ist, dass für verdeckte Ermittlungen Drittpersonen – hier sind es Jugendliche unter 16 Jahren – eingesetzt werden sollen. Eine Delegation des Gewaltmonopols des Staates an private Organisationen (wie etwa das Blaue Kreuz) in einem derart sensiblen Bereich wie der verdeckten Ermittlung kann nicht hingenommen werden. Die vom Bundesrat vorgesehene „Instruktion und Begleitung“ der Jugendlichen bzw. ihrer BegleiterInnen vermag der Schwere des mit dieser Form von verdeckten Ermittlungen verbundenen Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte nicht zu genügen. Auch für die Jugendlichen selbst ist diese Aufgabe, die eigentlich eine klare polizeiliche Arbeit wäre, ungleich schwierig und belastend. Eine solche strafprozessuale Massnahme müsste u.E. – wenn überhaupt – in der StPO anstatt in einem Spezialgesetz, wie es hier vorliegt, geregelt werden.
Störend ist zudem, dass bei Testkäufen zunächst das Verkaufspersonal, welches schon unter einem enormen Arbeits- bzw. Verkaufsdruck steht, unverzüglich bestraft wird (hohe Busse bis 40’000 Franken (Art. 23 Alkoholgesetz), allenfalls verbunden mit einem Stellenverlust. Die Ladenbesitzer hingegen, welche von unerlaubten Verkäufen am meisten profitieren, können jedoch lediglich nach kantonalem (Gastwirtschafts-) Recht nur mit viel tieferen Bussen belangt werden. Das Verbot der Weitergabe von alkoholischen Getränken an Minderjährige gemäss Art. 8 Abs. 2 Alkoholgesetz mit der völlig unverhältnismässigen Strafandrohung von Busse bis 40’000 Franken ist absolut unnötig. Art. 136 StGB (Verabreichen gesundheitsgefährdender Stoffe an Kinder) reicht vollkommen.
Ebenfalls ablehnend stehen wir den Einschränkungen, wie sie in Art. 7 vorgeschlagen werden, gegenüber. Unter dem Deckmantel „Jugendschutz“ sollen Aktionen, welche sich gar nicht an Jugendliche richten, unterbunden werden. Mit Happy Hours resp. Fünfliberabenden motivieren Gastro-Betriebe in erster Linie ihre bestehende Kundschaft, die Lokalität auch während umsatzschwachen Zeiten zu frequentieren. Sogenanntes Kampftrinken resp. Botellónes finden mit im Supermarkt gekauften Getränken im öffentlichen Raum statt. Im Einzelhandel ist für das selbe Geld ein Mehrfaches an Alkoholika erhältlich, selbst unter Berücksichtigung der halben Preise von Happy Hour Angeboten.
Zusammenfassend bedeutet dies, dass grundrechte.ch nichts gegen den mit der Totalrevision des Alkoholgesetzes vorgesehenen Abbau des Alkoholmonopols einzuwenden hat. Hingegen lehnen wir verdeckte Ermittlungen resp. Testkäufe und übermässige Beschränkungen des Gastgewerbes sowie unverhältnismässig hohe Bussen entschieden ab.
Gerne erwarten wir, dass unsere Anregungen bei der Ausarbeitung der Botschaft berücksichtigt werden können.
Mit freundlichen Grüssen
Catherine Weber, Geschäftsführerin
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