Seit 1990 organisieren die Fan-Projekte in Deutschland, finanziert hauptsächlich durch den Deutschen Fussball Bund (DFB), Fanbetreuungsmassnahmen bei internationalen Turnieren. Kernforderung an die Organisatoren dieser Turniere war und ist, dass Fussballfans als Gäste willkommen geheissen werden und nicht als Sicherheitsrisiko abgestempelt werden dürfen. Dementsprechend müssen die Bedürfnisse jener BesucherInnen eine massgeblich Rolle in der Organisation dieser Events spielen. Preisgünstige Übernachtungsmöglichkeiten, ein vielfältiges (jugend)kulturelles Rahmenprogramm sowie die durch das Public Viewing geschaffene Möglichkeit, gemeinsam Fussball schauen zu können, auch wenn man keine Karten hat, sind zentrale Signale der Gastfreundschaft an die Besucher aus dem Ausland, die diese Gastfreundschaft durch Wohlverhalten zurückzahlen. In Bezug auf die Effekte unterschiedlicher polizeilicher Konzepte auf des Verhalten der Fans versuchen wir unsere Erfahrungen aus den vergangenen Turnieren in die Organisation einzuspeisen. Überall dort (Portugal 2004, Deutschland 2006), wo die Polizei zurückhaltend und kommunikativ (low-key policing) aufgetreten ist, war die Atmosphäre entsprechend entspannt und es gab kaum sicherheitsrelevante Vorfälle, überall dort, wo die Polizei meinte, Stärke demonstrieren zu müssen (high-profile policing), wie bei der Euro 2000 insbesondere in Belgien, war die Atmosphäre entsprechend aufgeheizt und gab es vermehrt sicherheitsrelevante Vorfälle und hohe Verhaftungszahlen.
Die deutsche Fussballnationalmannschaft spielte je zweimal in Klagenfurt, Wien und Basel. Generell ist zu sagen, dass die Polizei in Österreich und der Schweiz sich an den positiven Erfahrungen aus Portugal und Deutschland orientierte und überwiegend zurückhaltend und kommunikativ aufgetreten ist. Dennoch sei hier festgestellt, dass es für viele deutsche Fans aus historischer Perspektive schon merkwürdig war, 70 Jahre nach dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland, deutsche Polizei mit vollen Befugnissen in Österreich arbeiten zu sehen. Insbesondere in Klagenfurt fiel dies überdeutlich ins Auge, wo deutsche Polizei teilweise das Strassenbild dominierte. Aus Perspektive der Sicherheit ist aber festzustellen, dass sich die hohe Präsenz erfahrener deutscher Polizeieinheiten bei den beiden Spielen in Klagenfurt gegen Polen und Kroatien positiv bemerkbar gemacht hat, gerade in Anbetracht der Tatsache, dass beim Polen-Spiel eine entsprechende Anzahl gewaltorientierter Fans auf beiden Seiten anwesend war.
Am Tag vor dem Spiel nahm die Polizei, ausgeführt von der Wiener Sondereinheit WEGA, ca. 140 deutsche gewaltorientierte Fans präventiv zur Feststellung der Personalien in Gewahrsam. Diese Aktion verlief ruhig und ohne Beanstandungen. Nach Feststellung der Personalien wurden die Fans am frühen Morgen wieder entlassen. Vier jener Fans müssen jedoch noch mit Anzeigen aus unterschiedlichen Gründen rechnen. Zwar stellten auch wir im Rahmen des Polen-Spiels eine Reihe rechtsorientierter Fans aus Deutschland fest, jedoch war diese Gruppe der Festgenommenen im Gegensatz zur Berichterstattung in der Presse, von einer Nazi-Gruppe dominiert, sondern gewaltorientiert.
Die Spiele in Wien gegen Österreich und Spanien verliefen insgesamt äusserst entspannt und ohne nennenswerte Vorfälle. Hier war die österreichische Polizei im Verhältnis zur deutschen deutlich präsenter als in Klagenfurt.
Nur in Klagenfurt, einem innerhalb des Turniermodus im Voraus intensiv planbaren Spielort mit zwei brisanten Partien, gab es für die Fanbetreuung eine verabredete Kommunikationsebene mit der örtlichen Polizei. In Wien und Basel bestand derlei nicht.
Diese Kommunikation wurde im Rahmen eines Vorbereitungsbesuches unter Achtung der jeweils
unterschiedlichen Arbeitsaufträge vereinbart und von beiden Seiten respektiert. Für die Fanbetreuung war die Bedingung grundlegend, dass von unserer Seite ausschliesslich atmosphärische Einschätzungen zur Stimmung in der Fanszene gegeben würden aber auch, dass wir im Falle von Rückfragen der Polizei als Experten zur Verfügung stünden.
Praktisch wurde dies von unserer Seite einmal aktiv genutzt, als wir auf die unseres Erachtens zu starke Präsenz der Polizei in der Stadt rund um das erste Spiel hinwiesen, die die Gefahr in sich barg, die grundsätzlich positive Atmosphäre unter den BesucherInnen negativ zu beeinflussen. Wir hatten anschliessend den Eindruck, dass sich diese Intervention in einer zurückhaltenderen Präsenz polizeilicher Einsatzkräfte während der nächsten Tage auch positiv bemerkbar gemacht hatte.
In Basel waren die Rückmeldungen aus der deutschen Fanszene zum generellen Auftreten der Polizei vergleichbar positiv. Insgesamt schien es den deutschen Fans in Basel aber am Besten gefallen zu haben, weil die Bevölkerung, auch wenn sie die Euro nicht durchgängig mit offenen Armen begrüsste, wenigstens ihren normalen Tätigkeiten nachging. Ganz im Gegensatz zu Klagenfurt, der fussballunerfahrensten Stadt der acht Euro-Austragungsorte, wo die durch die Medien angesichts der Auslosung gestartete Sicherheitshysterie sowohl beim lokalen Organisationskomitee als auch der Politik auf fruchtbaren Boden fiel. Völlig abstruse Gerüchte, wie jenes, dass sich englische Hooligans schon Wochen vor der Euro in heimischen Baumärkten Knüppel zurechtschneiden haben lassen, wurden in den Zeitungen und der Politik für bare Münze genommen und doch tatsächlich von der Polizei überprüft. Frauen wurde offiziell geraten, während der Euro die Innenstadt nur in Gruppen zu betreten, auf Grund angeblicher negativer Erfahrungen mit einem Anstieg sexueller Übergriffe im Rahmen der WM 2006, die es aber gar nicht gegeben hatte. An die Ladenbesitzer wurde durch die Stadt kostenlos Pfefferspray verteilt, damit diese sich gegen brotkaufende Hooligans wehren könnten. Im Endeffekt blieben nur noch irritierte Fans aus Deutschland und Polen in der Stadt, die Kärntner Bevölkerung zog sich verschreckt in die Berge zurück.
Die präventiven polizeilichen Massnahmen gegen Fans in Deutschland wurden aus unserer Sicht zurückhaltender angewendet, als noch bei den beiden Turnieren zuvor. Bis auf ein, zwei lokale Ausnahmen wurden durch die kommunalen Behörden recht wenige Meldeauflagen und Ausreiseverbote ausgesprochen. In Bezug auf die Anzahl der getätigten Gefährderansprachen konnten wir uns auf Grund der uneinheitlichen Rückmeldungen aus der Fanszene und der Fan-Projekte kein übergeordnetes Bild machen.
Auch an den Grenzen schienen uns die Kontrollen nach den Rückmeldungen, die wir aus der Fanszene bekommen haben, nicht allzu streng gewesen zu sein. Eine Reihe von Fans haben nicht mal welche wahrgenommen.
In den Fällen von Kontrollen, bei denen wir von betroffenen deutschen Fans angerufen wurden, weil sie von Bundespolizisten an der Grenze zurück gehalten wurden, gelang es in der Regel durch die Einschaltung der lokalen szenekundigen Polizeibeamten, den Fans doch noch die Fahrt zum Spiel zu ermöglichen.
Ausgesprochen negativ waren die Erfahrungen mit den privaten Sicherheitsdiensten, von denen viele aus Deutschland kamen. Nicht nur, dass viele Mitarbeiter und MitarbeiterInnen nicht sehr vertrauenserweckend aussahen, ihr oftmals herrisch-unfreundliches Auftreten an vielen öffentlichen Orten gab wiederholt Anlass zur Kritik. Dieser erste Eindruck wurde schliesslich bestätigt, nachdem sich, nach Überprüfungen durch die deutsche Polizei, die ähnlich irritiert zu sein schien, herausgestellt hatte, dass mindestens 18 Mitarbeiter von privaten Sicherheitsdiensten in der deutschen Datei Gewalttäter Sport geführt wurden. So wurde ein Sicherheitsproblem, das uns in Deutschland seit Jahren begleitet, dass unprofessionelle private Sicherheitsdienste oftmals Teil des Problems sind, zur Euro nach Österreich und in die Schweiz importiert.
Michael Gabriel
Koordinationsstelle Fan-Projekte bei der dsj
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