Auch Schweizer Provider treten auf die Surf-Bremse

6. Mai 2013

Von Matthias Schüssler, Tages-Anzeiger

Wie die Deutsche Telekom drosseln auch Schweizer Internetanbieter Daten von Konkurrenzprodukten.

Die Deutsche Telekom hat Ende April einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Die neuen DSL-Verträge räumen den Kunden kein unbegrenztes Datenvolumen mehr ein. Wer sein Kontingent überschreitet, wird mit einer erheblichen Geschwindigkeitsdrosselung bestraft. Bei 75 Gigabyte pro Monat liegt die Grenze für den günstigsten Vertrag, die Obergrenze fürs schnellste Abo liegt bei 400 Gigabyte.

Gegenüber den alten, unbegrenzten Verträgen ist das ein klarer Leistungsabbau. Die Befürworter des freien Internets sehen aber noch ein viel gravierenderes Problem: Die Telekom behandelt nämlich nicht alle Daten gleich. Was der Kunde vom Telekom-eigenen TV-Dienst Entertain bezieht, wird ihm nicht angerechnet. Der Datenaustausch mit Konkurrenten wie Zattoo, Youtube, Apple oder Amazon zählt hingegen sehr wohl.

Vorfahrt für die eigenen Dienste

Damit verletze die Telekom die Netzneutralität, sagt Simon Schlauri. Er ist Anwalt für Internetrecht und hat sich 2010 zu diesem Thema habilitiert. Die Forderung der Netzneutralität besagt, dass die Internetprovider alle Dienste im Netz gleichbehandeln sollten. Dies tun sie aber nicht immer - unliebsame Konkurrenzprodukte werden gebremst oder sogar blockiert. Häufig sind Kommunikationsdienste wie Skype oder Whatsapp betroffen, die den Telecomanbietern Einnahmen bei der Telefonie und via SMS abgraben. Auch fremde Fernsehangebote werden oft benachteiligt, da die Provider den eigenen Diensten einen Startvorteil gewähren möchten.

Das widerspricht der Idee des freien Internets, da ist sich die Netzgemeinde einig. Denn nur ein neutrales Netz gewährleistet, dass auch Neulinge mit ihren Angeboten eine Chance haben. «Dieser einfache Marktzugang für Start-ups ist sehr wesentlich für die Bewahrung der grossen Innovationskraft des Internets», sagt Simon Schlauri: Jeder, der eine gute Idee habe, könne diese mit wenig Geld umsetzen und um Kunden werben. «Entsprechend gibt es eine grosse Zahl von Innovatoren, und damit geht auch der Fortschritt schnell voran.»

Der Vorstandsvorsitzende der Telekom, René Obermann, sieht die Netzneutralität nicht gefährdet, wie er in einem Brief an den deutschen Wirtschaftsminister Philipp Rösler schreibt: In der Debatte würden Begriffe wie Neutralität missbraucht, um einen Flatrate-Anspruch auf unbegrenztes Datenvolumen zu zementieren. Obermann weist darauf hin, es seien nur drei Prozent der Kunden betroffen, die zehn- bis zwanzigmal so viel Daten verbrauchten wie der Durchschnittskunde mit 15 bis 20 Gigabyte im Monat. Die neue Regelung solle die Preise stabil halten. Entertain sei kein «typischer Internetdienst», sondern eine von den Landesmedienanstalten regulierte Medienplattform, für die ein Zusatzentgelt bezahlt werden müsse.Allerdings können auch normale Internetdienste über Kooperationen eine Vorzugsbehandlung erwirken. Der Musikdienst Spotify kooperiert seit August 2012 mit der Deutschen Telekom. Das Spotify-Streaming am Smartphone oder Tablet wird nicht auf das im Mobilfunk-Abo enthaltene Datenvolumen angerechnet. «Das Perfide dabei ist, dass es für die Kunden zuerst nach einem Vorteil aussieht, weil sie die Daten der privilegierten Dienste gratis bekommen. Langfristig haben sie aber einen Nachteil, weil die Vielfalt des Internets durch solche Praktiken leidet», sagt Simon Schlauri, der das als eine neue Art der Diskriminierung einstuft: «Man könnte schon von einer neuen Eskalationsstufe sprechen.»

Holland schreibt Neutralität vor

Auch in der Schweiz gibt es einzelne Dienste, die die Netzneutralität verletzen. So wird Swisscom-TV Air den Mobilfunkkunden der Swisscom nicht auf das Datenvolumen angerechnet, anders als etwa Zattoo oder Wilmaa. Orange hat mit Orange Young ein Abo im Angebot, das ebenfalls unbegrenztes Musik-Streaming via Spotify erlaubt. Dennoch sieht Schlauri in der Schweiz auch positive Zeichen. Swisscom-Chef Carsten Schloter hat sich an einem Open Hearing im Bundeshaus explizit gegen die Blockaden von Anwendungen wie Whatsapp ausgesprochen. In Holland gibt es seit gut zwei Jahren ein Gesetz, das zur Netzneutralität verpflichtet, nachdem einzelne Telecomanbieter Extragebühren für Skype und Whatsapp verlangt oder diese Dienste sogar blockiert hatten.

Simon Schlauri ist der Auffassung, die Schweizer Provider sollten die Kunden über Neutralitätsverletzungen informieren müssen. Erst wenn sich trotz Transparenz der Wettbewerbsdruck als nicht ausreichend erweisen sollte, müsste die Neutralität direkt vorgeschrieben werden. Ausserdem sollten die Schweizer Telekombehörden die Kompetenz erhalten, bei Verletzungen der Netzneutralität einzugreifen.

Schlauri ist zufrieden, dass die deutsche Öffentlichkeit aufbegehrt: «In Deutschland braut sich ein wahrer Shitstorm zusammen über der Telekom. Es ist fraglich, ob die Telekom die Sache einfach aussitzen kann.»

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