Auf Posten abgeführt

23. Februar 2013

In St. Gallen sind zwei Mitglieder der Juso von Beamten in Zivil abgeführt worden, als sie Unterschriften für eine Initiative sammelten - obwohl das Bundesgericht die Sicht der Jungsozialisten stützt.

von Manuel Jakob, 20 Minuten

Am 23. Februar sind zwei Juso-Mitglieder in St. Gallen von der Polizei daran gehindert worden, Unterschriften für eine Petition zu sammeln. Einer der beiden Unterschriftensammler, die von den Beamten in Zivil auf den Posten abgeführt wurden, war Moritz Hofstetter, Mitarbeiter des Kampagnenteams Campa der Jungsozialisten. In der St. Galler Innenstadt hatten sie Unterschriften gesammelt.

Samstagmittag, kurz vor ein Uhr: Moritz Hofstetter, Mitarbeiter des Kampagnenteams Campa der Jungsozialisten, steht zusammen mit einer erst 15-jährigen Gleichgesinnten auf der Marktgasse in St. Gallen. Sie haben ein Sammelschild aufgestellt, welches auf ihr Anliegen hinweist: Sie sammeln Unterschriften für die Spekulationsstopp-Initiative, wie sie das in Luzern und anderen Schweizer Städten bereits seit einem halben Jahr tun. Doch diesmal wird alles anders kommen.

Einmal mehr spricht Hofstetter einen Passanten an, der soeben ein Geschäft verlassen hat, und will dazu ansetzen, ihm die Initiative zu erläutern. Doch bevor er dazu kommt, hält ihm der Mann einen Ausweis unter die Nase: Der 24-Jährige ist an einen Polizisten in Zivil geraten. Der Mitarbeiter der Stadtpolizei St. Gallen fragt die beiden, ob sie eine Bewilligung hätten. Den Hinweis von Hofstetter, dass für eine Unterschriftensammlung ohne Stand keine Bewilligung nötig sei, ignorieren der Beamte und sein Kollege geflissentlich. Mehr noch: «Der Zivilpolizist war ziemlich giftig und hat meine Argumente gar nicht anhören wollen», erzählt Hofstetter gegenüber 20 Minuten Online. «Er hat uns mit einer Anzeige gedroht und gesagt: ‹Das klären wir jetzt auf dem Posten.›»

Erst eine halbe Stunde später seien sie von drei Polizisten in einem Kastenwagen abgeholt worden. «Diese Aktion war unter aller Sau und eine massive Verschwendung von Steuergeldern», empört sich Hofstetter. Und der Ärger des Studenten der Agrarwissenschaften geht noch weiter: «Die Polizei hat uns bis Montag ein Sammelverbot erteilt und gedroht, dass wir uns strafbar machen, wenn wir dennoch sammeln.» Offenbar will die Polizei erst die rechtliche Situation abklären.

Bundesgerichtsentscheid stützt Sicht der Juso

Diese scheint jedoch klar zu sein. Bettina Surber, Rechtsanwältin und SP-Präsidentin der Stadt St. Gallen: «Es gibt einen Bundesgerichtsentscheid aus dem Jahr 2009, der festhält, dass das blosse Unterschriftensammeln durch bis zu drei Personen nicht bewilligungspflichtig ist.» Damals ging es um einen Fall aus dem Vorjahr, als das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen ein Urteil gegen die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) verhängt hatte. Das Bundesgericht hiess eine Beschwerde der Stadt dagegen gut. Seitdem ist klar: Das Sammeln von Unterschriften durch höchstens drei Personen auf öffentlichem Grund stellt keinen «gesteigerten Gemeingebrauch» dar, ergo ist es nicht bewilligungspflichtig. «Gesteigerter Gemeingebrauch» würde beispielsweise dann vorliegen, wenn für eine Aktion ein Stand aufgestellt wird.

«Wir von der SP haben seither auch nie Probleme mit der Polizei gehabt», so Surber weiter, «und wir haben nie eine Bewilligung eingeholt, wenn wir nur zu zweit oder dritt Unterschriften gesammelt haben, ohne einen Stand aufzustellen.» Zum verhängten zweitägigen Sammelverbot, das laut der Juso für die gesamte Partei gelten soll, meint Surber: «Es gibt diesen Bundesgerichtsentscheid, und insofern ist ein solches Verbot nicht zulässig.» Die Jungsozialisten haben in einer Mitteilung angekündigt, rechtliche Schritte prüfen zu wollen. Sie fühlen sich in ihrer persönlichen Freiheit und der Meinungsäusserungsfreiheit eingeschränkt. «Das Ganze riecht nach Polizeischikane», lässt sich Angelo Zehr, Präsident und Stadtparlamentarier der Juso St.Gallen in der Mitteilung zitieren.

Zwar heisst es in dem Bundesgerichtsentscheid: «Sollten im Einzelfall namhafte Störungen auftreten, so können allgemeine polizeiliche Massnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ergriffen werden.» Dass im konkreten Fall allerdings eine solche «namhafte Störung» vorliegt, ist fraglich. Das meint auch Bettina Surber: «Wenn das Ganze am Rande eines Stadtfestes stattgefunden hätte, würde die Sache allenfalls anders beurteilt werden. Aber heute war ja ein ganz gewöhnlicher Samstag.»

Polizei widerspricht

Bei der Stadtpolizei St. Gallen widerspricht man der Darstellung der Juso in gewissen Punkten. Dass bei den beiden Unterschriftensammlern eine Personenkontrolle durchgeführt wurde, bestätigt die Polizei. Man habe auf die Anrufe von Bürgern reagiert, die sich durch die Unterschriftensammlung gestört fühlten, und wollte die Juso-Aktivisten kontrollieren, sowie abklären, ob sie eine Bewilligung hätten einholen müssen. Die Stadtpolizei verweist auf das Polizeireglement, welches gewisse Zonen in der Innenstadt als bewilligungspflichtig ausweist.

Ausserdem, hält die Polizei fest, läge das Versäumnis bei der Juso. Wenn diese, so die Argumentation, sich vorab erkundigt hätten, ob ihre Unterschriftensammlung bewilligungspflichtig ist, hätte man bei der Stadt davon gewusst - unabhängig davon, ob eine Bewilligung notwendig gewesen wäre. Als die Zivilbeamten mit den beiden Aktivisten auf den Kastenwagen gewartet hatten, kam es laut Hofstetter zu einer witzigen Situation. Hofstetter: «Wäre die Aktion nicht dermassen haarsträubend gewesen, ich hätte in diesem Moment gerne laut herausgelacht.» Drei Passanten sprachen die Polizisten an - die die Unterschriftenbögen hielten - und fragten, ob sie noch ihre Unterschrift ergänzen dürften. Sie durften nicht.

 

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