Von Sarah Schmalz, WOZ
Ein Videoüberwachungsprojekt der Schweizer Fussballliga hat kürzlich hohe Wellen geworfen. Nun zeigt sich: Der FC St. Gallen setzt längst auf illegales Filmen.
November 2014: Eine Gruppe St. Galler Fussballfans versammelt sich am Zürcher Bahnhof Altstetten. Zuvor war die Stimmung angespannt, einige von ihnen haben die Kapuzen über den Kopf und ihre Schals hochgezogen. Nun stehen die Zeichen jedoch nicht mehr auf Gewalt, die Fans warten ruhig auf den Zug. So steht es in einer Einstellungsverfügung der Zürcher Justiz. Dennoch wird einer der Fans wegen Vermummung auf öffentlichem Grund vom FC St. Gallen angezeigt.
Der Klub stützte sich in seiner Anklage auf ein Video, das er beim Bahnhof Altstetten aufgenommen hatte - und mit Bildern aus dem Letzigrund-Stadion abgeglichen hatte, wo sich der Fan unvermummt aufgehalten hatte. Auch das ist der Verfügung zu entnehmen, mit der die Justiz das Verfahren eingestellt hat. Die Information ist brisant: Sie zeigt, dass in St. Gallen längst Realität ist, was die Schweizer Fussballliga (SFL) erst diesen Frühling als Pilotprojekt gestartet hat. Und wofür sie vom Datenschützer harsch kritisiert wird.
«Focus One» nennt sich das Projekt. Neu sollen Auswärtsfans nicht mehr bloss im Stadion, sondern auch auf ihrem Weg dorthin flächendeckend von privaten Sicherheitsfirmen gefilmt werden. Der eidgenössische Datenschützer hat in einem Gutachten die Liga unmissverständlich darauf hingewiesen, dass dies illegal ist: «Das Vorgehen verstösst insbesondere gegen das Verhältnismässigkeits- und das Transparenzprinzip», heisst es darin. Die Sicherheitsleute filmen verdeckt, und im Gegensatz zur Polizei unterliegen sie keiner staatlichen Kontrolle. Es lässt sich also kaum überprüfen, wann auf den Auslöser gedrückt wird und was mit den Aufnahmen geschieht.
FC St. Gallen als Vorreiter
Der FC St. Gallen gilt in Sachen Fanrepression seit langem als Hardliner. Wie ein Anruf bei Benni Burkart, dem Sicherheitsverantwortlichen des Klubs, zeigt, übernahm der FC St. Gallen auch hier eine Vorreiterrolle. Burkart gibt offen zu, dass der Klub seine Fans an Auswärtsspielen von verdeckten Kamerateams begleiten lässt. «Wir haben verschiedenste Varianten ausprobiert und die Aufgabe schliesslich an eine private Sicherheitsfirma delegiert», sagt er. Das Projekt laufe bereits seit Jahren.
Burkart rechtfertigt das Vorgehen mit Verweis auf das alte Sicherheitsreglement der Liga von 2003. Dieses verlangt von den Klubs, dass sie bei Auswärtsspielen im Stadion präsent sind: mit dem Sicherheitsverantwortlichen, dem Fanverantwortlichen, einem Fanbegleiter - sowie mit einer zivilen Person mit Kamera. Von Überwachung im öffentlichen Raum ist nirgends die Rede. Doch legt auch die SFL das Reglement grosszügig aus. Mediensprecher Philippe Guggisberg verweist auf den entscheidenden Artikel, in dem von «besonderen Vorkehrungen des Gastklubs» die Rede sei. Massnahmen ausserhalb des Stadions seien durchaus erwünscht gewesen.
Kaum ein anderer Klub hat die Regeln jedoch so weit ausgereizt wie der FC St. Gallen. Die drei grössten Schweizer Klubs sind weit zurückhaltender: Weder der FC Basel, YB noch der FC Zürich lassen bei Auswärtsspielen eigene oder externe Sicherheitsleute ausserhalb der Stadien filmen. «Wir begleiten unsere Fans zwar zu den Spielen», sagt YB-Mediensprecher Albert Staudenmann, «aber ohne Kamera.» Vor den Partien beraten die YB-Sicherheitsexperten die Lage jeweils mit der Polizei. «Und diese entscheidet dann, ob sie Kameras in ihr Dispositiv aufnimmt.»
Das Filmen geht weiter
Obwohl diese Absprachen gut funktioniert hätten, wie Staudenmann sagt, unterstützt auch er die repressive Strategie der Liga. Nach den Ausschreitungen im Aarauer Brügglifeld vom Mai 2014 scheint die Stimmung in den Klubs gekippt zu sein. Benni Burkart vom FC St. Gallen sagt, die Liga habe auf den öffentlichen Druck reagiert und eine Expertenkommission zusammengestellt. Es war diese Kommission, die unter anderem zu «Focus One» geraten habe.
Seit Herbst 2014 hat die Liga ein neues Sicherheitsreglement. Angesichts ihres neuen Pilotprojekts hat sie den Passus mit der Kamera gestrichen. Der FC St. Gallen filmt dennoch weiter. Man wolle abwarten, welche Resultate die Videoüberwachung durch die Liga bringe, sagt Burkart. Das Verfahren gegen den vermummten St.-Gallen-Fan wurde am Ende aus zwei Gründen eingestellt: Erstens befand sich der Angeklagte bei seiner Videoüberführung nicht mehr auf öffentlichem Grund, sondern bereits auf dem Bahnhofgelände, wo das Vermummungsverbot nicht gilt. Zweitens stufte die Zürcher Justiz die Anklage angesichts der Gewaltlosigkeit der Fans als unverhältnismässig ein. Dennoch erhielt der Fan vom FC St. Gallen ein Stadionverbot.
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