von Sarah Schmalz, WOZ
Die Schweizer Fussballliga filmt auch ausserhalb der Stadien Fans. Dabei hatte der Datenschutzbeauftragte sie bereits im Vorfeld darauf aufmerksam gemacht, dass das «Focus One» genannte Projekt «nicht zulässig» sei. Dies zeigt ein bisher unveröffentlichtes Dokument.
AL-Polizeivorsteher Richard Wolff hat schliesslich eingelenkt: Die Swiss Football League (SFL) darf ihr Fanüberwachungsprojekt «Focus One» nun auch in Zürich testen. Gross war davor der Rummel um das Pilotprojekt gewesen. Gross auch die Kritik, die auf Skeptiker Wolff eingeprasselt war: Man müsse die Liga, die seit Mitte März Auswärtsfans auch ausserhalb der Stadien von einer ungenannten Privatfirma filmen lässt, ihre Arbeit machen lassen, fand selbst der Zürcher SP-Sicherheitsvorsteher Mario Fehr.
Verletztes Transparenzprinzip
Wie heikel das Projekt ist, wird in den meisten Medienberichten in einem lapidaren Nebensatz abgehandelt: Die Liga gehe das Risiko ein, dass die Aufnahmen vor Gericht nicht als Beweismittel anerkannt würden. Was heisst das genau?
Für Private ist das Filmen im öffentlichen Raum zwar nicht bewilligungspflichtig, doch der Schutz der Persönlichkeit verlangt strenge Auflagen. Das weiss auch die SFL, die sich deshalb vom Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) beraten liess. In dem der WOZ vorliegenden Papier weist der EDÖB die SFL deutlich darauf hin, dass «Focus One» grundsätzlich widerrechtlich sei. «Die geplante Massnahme, Fangruppen durch Privatpersonen begleiten zu lassen, die verdeckte Aufnahmen machen, (…) verstösst insbesondere gegen das Verhältnismässigkeits- und das Transparenzprinzip und ist daher nicht zulässig.» Der EDÖB empfiehlt der Liga deshalb, «die Kamera nur im Ereignisfall einzuschalten und dabei nur das Ereignis zu filmen». Zudem müssten die zuständigen Behörden die Einsätze bewilligen.
Viktor Györffy, Rechtsanwalt und Präsident des Vereins grundrechte.ch, verspricht sich nicht viel von der Ankündigung der SFL, sich an diese Vorgaben zu halten. «Focus One» halte eine ganze Reihe von Problemen bereit, sagt er – angefangen bei einem grundlegenden Widerspruch: «Das Projekt verfolgt einen panoptischen Ansatz. Es geht um die Überwachung eines Raums mit vielen Leuten.» Wenn nun also behauptet werde, man filme bloss mutmassliche StraftäterInnen, so sei dies grob irreführend. «Auf jeder Aufnahme werden unbeteiligte Fans zu sehen sein.» Zudem sei nicht überprüfbar, wann tatsächlich auf den Startknopf gedrückt und wie mit den Aufnahmen umgegangen werde: «Die SFL kann bei einem Prozess einfach behaupten, es gebe nicht mehr Material als das präsentierte. Und wer kann das schon widerlegen?» Györffy erinnert an den Fall eines St. Galler Fans, bei dessen Prozess vor zwei Jahren entlastendes Bildmaterial der Polizei nur auf anwaltlichen Druck zum Vorschein kam. «Solche Fälle könnten sich mit ‹Focus One› häufen», befürchtet er. «Ganz nach dem Prinzip: Lass dich einfach nicht erwischen.»
Die erfahrene Fananwältin Manuela Schiller weist auf eine weitere Problematik hin. Bei «Focus One» arbeiten die FilmerInnen der privaten Firma mit sogenannten Spottern zusammen: FahnderInnen in Zivil, die mit der Fanszene vertraut sind und brenzlige Situationen rechtzeitig erkennen sollen. Für Schiller liegt hier der eigentliche rechtliche Skandal an den Massnahmen der Liga: «Es ist absolut nicht vertretbar, dass Polizeiarbeit und private Überwachung vermischt werden», sagt sie. Für die Wahrung der öffentlichen Ruhe und den Schutz von Personen und Eigentum ist auf öffentlichem Grund die Polizei zuständig. «Diese ist mit öffentlichen Geldern finanziert und muss deshalb auch voll und ganz der demokratischen Kontrolle unterliegen», sagt Schiller. Die Polizei sei in den vergangenen Jahren stark aufgerüstet worden. «Da ergibt es doch keinen Sinn, wenn nun Private ihre Arbeit übernehmen.»
Damit ist Manuela Schiller bei ihrer grundsätzlichen Kritik an «Focus One» angelangt, die jenseits der Rechtsfragen ansetzt. Beim ganzen Brimborium um das Projekt habe sie sich vor allem gefragt: «Was bringt das nun Neues für die Strafverfolgung von randalierenden Fans?» Aus ihrer Arbeit als Strafverteidigerin weiss sie: «An Bildmaterial fehlt es bei Prozessen gegen Fussballanhänger nun wirklich nicht.» Die Stadien werden von den Klubs längst bis in die letzten Winkel ausgeleuchtet. Ausserhalb der Spielstätten tragen PolizistInnen vielerorts Helmkameras. Auch Filmaufnahmen von Fans oder PassantInnen werden als Beweismittel herbeigezogen. Wenn nun also die Liga selbst Jagd auf Hooligans mache, sei das bloss eine Beruhigungspille für die empörte Bevölkerung.
Situation hat sich entschärft
Schützenhilfe erhält Schiller von unerwarteter Seite: Thomas Hansjakob, Erster Staatsanwalt des Kantons St. Gallen und Hardliner in Sachen Fanüberwachung, bezeichnet «Focus One» als «alten Wein in neuen Schläuchen». Im Studio des Regionalsenders TVO führte er aus, die Liga handle wohl unter dem Druck der neusten «‹Blick›-Kampagne». Dabei habe sich «die Situation um die Stadien leicht entschärft. Und die Polizeiarbeit funktioniert gut.»
100,000 Franken lässt sich die SFL ihren Aktionismus kosten. «Focus One» kam bislang bei mindestens sieben Spielen zum Einsatz. Allein nach den Krawallen beim Spiel des FC Basel gegen Zürich vom 12. April hat die Liga 26 Personendossiers der Polizei übergeben. Nach der Saison will sie Bilanz ziehen. «Wir müssen schauen, wie viel das Projekt taugt und ob die Strafverfolgungsbehörden die Aufnahmen zulassen», sagt SFL-Mediensprecher Philippe Guggisberg. Grundrechtsexperte Viktor Györffy rechnet nicht mit grossen Widerständen. «Das Beweismittelverbot wird in der Schweiz viel zu lasch umgesetzt», sagt er. Das gelte insbesondere für das Experimentierfeld Fussballfans.
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