Genf weitet die Videoüberwachung aus

4. August 2013

Maria T. Delgado Luchner und Julian Schmidli, SonntagsZeitung

Der Kanton setzt auf hochauflösende Kameras und interessiert sich für Software zur Gesichtserkennung

Der Kanton Genf will ein Quartier der Rhonestadt ab Herbst rund um die Uhr von der Polizei überwachen lassen. Im Stadtviertel Pâquis sollen dazu 21 neue Überwachungskameras installiert werden. So will die Polizei Taschendiebe und Drogendealer bekämpfen. Nach der Zustimmung durch die Regierung im April bekommt das Kantonsparlament das Projekt im Herbst vorgelegt. Wird die Vorlage - wie erwartet - angenommen, bricht in der Schweiz ein neues Zeitalter an: Erstmals würde in der Schweiz ein Quartier flächendeckend videoüberwacht. «Im Quartier Pâquis wie auch im Kanton Genf sind die Reaktionen bisher äusserst positiv», sagt Staatsrat Pierre Maudet.

Dabei sind die Erfahrungen mit der Videoüberwachung in der Schweiz sehr unterschiedlich. Nicht einmal eine einheitliche Technik wird verwendet. Das zeigt eine Umfrage der SonntagsZeitung bei den acht grössten Schweizer Städten.

In Luzern und Lausanne ist die Bilanz negativ: Mit der Einführung der Videoüberwachung sank die Anzahl Delikte nicht. Der Luzerner Sicherheitsdirektor Maurice Illi erklärt: «Die Bilder sind zu schlecht und können meist gar nicht ausgewertet werden, um vor Gericht als Beweis zu dienen.» Der Kanton Genf setzt jetzt auf hochauflösende 10-Megapixel-Kameras. Diese kosten 2 Millionen Franken und sind schweizweit die ersten ihrer Art. Auch grossflächig liefern die Kameras gute Resultate, da sie von weitem klare Details erkennen lassen. Ihre Aufnahmen sind um ein Vielfaches schärfer als HD-Kameras und etwa 30-mal besser aufgelöst als herkömmliche Video-Überwachungskameras.

Dank der detaillierten Bilder könnte auch eine Gesichtserkennungssoftware verwendet werden, um gezielt nach Personen zu fahnden. Wie Cédric Alber, Generalsekretär von Maudets Departement erklärt, beobachtet die Kantonspolizei Genf den technischen Fortschritt in diesem Bereich aufmerksam. «Wir stehen in engem Kontakt mit einem Gesichtserkennungsspezialisten», bestätigt Bernard Taschini vom Sicherheitsdepartement. Auch FDP-Staatsrat Maudet scheint nicht abgeneigt (vgl. Interview): «Das Pilotprojekt setzt ein klares politisches Zeichen: Wir wollen alle verfügbaren Mittel nutzen, vor allem die neusten Technologien, um die Sicherheit in Genf zu verbessern.»

Andernorts ist die Gesichtserkennung schon Realität: Im Mai konnte so in Chicago ein bewaffneter Raubüberfall aufgeklärt und der Täter verhaftet werden. In London wurde die Software an den Olympischen Spielen 2012 genutzt. Dazu wurde das Olympische Dorf mit 1850 Kameras versehen. England ist mit über 4,2 Millionen Video-Überwachungskameras weltweit das Land mit der höchsten Kameradichte.

In der Deutschschweiz gibt es Beifall für das Genfer Projekt. So vom Zuger Sicherheitsdirektor Beat Villiger (CVP): «Wann immer Videoüberwachung nötig und der Allgemeinheit dienlich ist, muss ich es als Individuum erwarten, gefilmt zu werden.»

Berner Polizeidirektor will keinen Überwachungsstaat

Der Berner Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (FDP) beurteilt die in Genf geplante flächendeckende Videoüberwachung kritisch: «Es ist in einem freiheitlichen Land nicht wünschenswert, alle Strassen, Plätze und Unterführungen mit Videokameras zu bestücken.» In Bern wolle man keinen Überwachungsstaat. Das sei 2012 bei den Beratungen im Grossen Rat anlässlich der Teilrevision des Polizeigesetzes spürbar gewesen. Die Kantonspolizei Bern sieht im Genfer Projekt allerdings Potenzial, die Sicherheit zu erhöhen: «Wir sind froh um alle möglichen Anhaltspunkte, die dazu beitragen, eine Straftat zu klären und Täter zu ermitteln», sagt Sprecherin Alice Born.

Besonders bei der Suche nach Vermissten können Videobilder entscheidende Hinweise geben. Der Fall der im April nach langer Suche tot geborgenen Zuger Studentin Olivia O. warf die Frage auf, ob Bilder von Überwachungskameras in Bahnhöfen länger als 72 Stunden gespeichert werden sollten. In Genf will man Videomaterial nun sieben Tage speichern und durch speziell geschultes Personal auswerten lassen. «Dank Echtzeit-Überwachung könnte die Polizei bei Bedarf direkt intervenieren», so Alber.

Bis zur Verwendung einer Gesichtserkennungssoftware müssten laut Alber noch einige technische Hürden überwunden werden: «Bei der Videoüberwachung im öffentlichen Raum bräuchte es eine extrem effektive Gesichtserkennungssoftware, um Videobilder mit Referenzbildern vergleichen zu können.» Noch seien die Bewegungen der Passanten zu unberechenbar und die Kamerawinkel zu variiert. London und Chicago zeigen, dass sich mit genug Kameras auch dieses Hindernis überwinden lässt.

 

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