Der Bund will genauere Stauprognosen - mit Daten aus fahrenden Autos
Von Simon Widmer, Sonntagszeitung
Die Sommerferien haben fast überall begonnen - und damit kilometerlange Staus auf dem Autobahnnetz. Ein nächster Peak wird am kommenden Samstag erreicht werden. Peter Schirato vom Verkehrsmanagementzentrale Emmenbrücke LU sagt, dass Autofahrer dann am Gotthard morgens um sechs Uhr mit rund 10 bis 12 Kilometer Stau rechnen müssen. Das entspricht einer Wartezeit von ungefähr anderthalb bis zwei Stunden.
Neben dem Gotthard sind auch weitere Strassenabschnitte in der Ferienzeit besonders überlastet. Thomas Rohrbach, Sprecher des Bundesamtes für Strassen (Astra), sagt, dass die Autos insbesondere beim Grenzübergang Chiasso/Brogeda sowie auf der A 1 zwischen Härkingen SO und Wiggertal AG stehen werden.
Das Bundesamt für Strassen will jetzt neue Wege einschlagen, um die Blechlawinen zu bekämpfen - und das nicht nur in der Ferienzeit. Ab März 2014 wird das Astra Bewegungsdaten von Handys der Autofahrer auswerten. Im Gegensatz zu den Daten aus stationären Verkehrszählern werden sie aus dem fahrenden Auto gemessen, weswegen sie als «Floating Car Data» bezeichnet werden. Anders gesagt: Die Autofahrer werden selber zu Staumeldern. Die Daten liefern wird die Swisscom, die den Auftrag in einer öffentlichen Ausschreibung erhalten hat. Die Kosten des Pilotprojektes belaufen sich auf 1,75 Millionen Franken, der Zeithorizont beträgt drei Jahre.
«Nicht aus Versehen Daten von Zugpassagieren messen»
Rohrbach sagt: «Das Ziel ist, dass wir dank der Handydaten die Reisezeiten präziser und in Echtzeit ermitteln können.» Die Autofahrer profitieren gemäss Rohrbach, indem sie übers Radio und über Textanzeigen auf der Autobahn genauere Angaben über die jeweiligen Zeitverluste erhalten. «Die Autofahrer können so besser abschätzen, ob sie eine alternative Route wählen sollen», sagt Rohrbach.
Reisende sollen so frühzeitig wissen, wann es sich lohnt, anstatt über den Gotthard beispielsweise über die San-Bernardino-Route zu fahren. Solche Prognosen gibt das Astra bereits heute ab, sie basieren auf Erfahrungswerten sowie Verkehrszählern und Videokameras, die aber weniger präzis sind. Auch Verkehrssicherheitsexperten befürworten die Pläne.
Ausgewertet werden die Daten von der Verkehrsmanagementzentrale in Emmenbrücke, die dem Astra angegliedert ist. Gemäss Thomas Rohrbach reiche bereits ein Handy, um die Bewegungsdaten zu erheben. Je mehr Daten die Mitarbeiter in Emmenbrücke jedoch auswerten können, desto sicherer würden die Prognosen. Die technische Schwierigkeit liege darin, die Daten zu filtern. «Es dürfen nicht aus Versehen Handydaten von Zugpassagieren gemessen werden», gibt er zu bedenken.
Längerfristig möchte das Astra die Staustunden reduzieren. Im letzten Jahr standen die Autos auf den schweizerischen Nationalstrassen während insgesamt 830 Tagen. Das entspricht einem Anstieg von vier Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Bewegungsdaten landeten bei der Polizei
In Deutschland und den Niederlanden werden Handydaten bereits jetzt genutzt, um Blechlawinen zu verkleinern. Rohrbach räumt ein: «Im Bereich Verkehrsmanagement sind wir am Aufholen.» Das Autobahnnetz liegt erst seit 2008 in der Verantwortung des Astra, vorher waren die Kantone zuständig.
Immerhin kann die Schweiz Fehler vermeiden, die im Ausland begangen wurden. So hat der Navigationsgeräte-Hersteller Tomtom vor zwei Jahren Bewegungsdaten an die niederländische Regierung verkauft. Die Polizei erstand daraufhin die Daten, um Radarfallen gezielter aufzustellen - sehr zum Ärger der Tomtom-Nutzer.
Bei einem solchen Projekt stellen sich darum auch in der Schweiz Fragen des Datenschutzes. Für Bruno Baeriswyl, Präsident der schweizerischen Datenschutzbeauftragten, ist entscheidend, dass die Daten anonymisiert werden. «Es darf nicht möglich sein, dass mit den Handydaten Rückschlüsse auf einzelne Personen möglich sind», sagt Baeriswyl.
Das Astra ist sich der Problematik bewusst und verspricht, dass die Daten anonymisiert werden. Swisscom-Sprecher Christoph Neuhaus versichert, dass der Telecom-Anbieter zusätzlich «technische und organisatorische Massnahmen gegen unbefugtes, insbesondere auch zweckwidriges Bearbeiten» treffen wird.
Handydaten allein sind in der Staubekämpfung kein Allheilmittel. Im Juni informierte das Astra über weitere Massnahmen wie ein temporäres Lastwagen-Überholverbot auf gewissen Strecken und die vorübergehende Nutzung von Pannenstreifen als Fahrbahn.
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