Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt
als Verwaltungsgericht
VD.2014.212
URTEIL vom 16. März 2015
Mitwirkende
Dr. Stephan Wullschleger, Dr. Heiner Wohlfart, lic. iur. Christian Hoenen, Dr. Claudius Gelzer, Dr. Jeremy Stephenson und Gerichtsschreiber Dr. Alexander Zürcher
Beteiligte
A., Rekurrent
[...]
gegen
Justiz- und Sicherheitsdepartement Basel-Stadt, Spiegelgasse 6, 4001 Basel, Rekursgegner
Gegenstand
Rekurs gegen einen Entscheid des Justiz- und Sicherheitsdepartements vom 4. September 2014 betreffend Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (Rayonverbot)
Sachverhalt
Mit am 11. Juli 2014 mündlich und am 15. Juli 2014 schriftlich eröffneter Verfügung auferlegte die Kantonspolizei A. aufgrund eines Vorfalls im Bahnhof SBB anlässlich des Würth Schweizer Cup Halbfinals FC Basel vs. FC Luzern vom 26. März 2014 für den Zeitraum vom 11. Juli 2014 bis 10. Juli 2015 ein Rayonverbot für das Areal St. Jakob. Damit wurde ihm untersagt, im erwähnten Zeitraum während Sportveranstaltungen (namentlich an sämtlichen Fussball- und Eishockeyspielen), respektive 6 Stunden vor und nach dem Anlass sich im Rayon gemäss einem beigelegten Plan aufzuhalten. Des Weiteren kündigte die Kantonspolizei an, beim Schweizerischen Fussballverband ein Stadionverbot zu beantragen.
Gegen dieses Rayonverbot erhob A. am 25. Juli 2014 Rekurs beim Justiz- und Sicherheitsdepartement (JSD) mit den Begehren um Aufhebung des Rayonverbots und Rückzug des Antrags auf ein Stadionverbot. Zudem verlangte er, dass seinem Rekurs aufschiebende Wirkung zukomme und demzufolge das Rayonverbot bis zum Entscheid auszusetzen sei. Mit Zwischenentscheid vom 4. September 2014 wies das JSD das Gesuch um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ab.
Hiergegen hat A. am 12. September 2014 beim Regierungsrat Rekurs erhoben mit dem Antrag, seinem Rekurs gegen das Rayonverbot aufschiebende Wirkung zu erteilen unter Mitteilung des Entscheids an den FC Basel und die Swiss Football League (SFL). Das Präsidialdepartement hat den Rekurs mit Post vom 16. Oktober 2014 dem Appellationsgericht zum direkten Entscheid überwiesen. Das JSD beantragt mit Vernehmlassung vom 4. Dezember 2014 die kostenfällige Abweisung des Rekurses. Mit Replik vom 16. Dezember 2014 hält der Rekurrent an seinem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Rekurses fest und verlangt ergänzend eventualiter die Aufhebung des Rayonverbots. Das JSD hält mit Duplik vom 9. Januar 2015 an seinen Anträgen gemäss Vernehmlassung vom 4. Dezember 2014 fest. Die Tatsachen und Vorbringen der Parteien ergeben sich, soweit sie für das vorliegende Urteil von Bedeutung sind, aus dem angefochtenen Entscheid und den nachfolgenden Erwägungen. Das vorliegende Urteil ist unter Beizug der Vorakten auf dem Zirkulationsweg ergangen.
Erwägungen
1.
1.1 Angefochten ist ein Zwischenentscheid des JSD, womit das Gesuch des Rekurrenten um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Rekurses gegen das Rayonverbot abgewiesen worden ist. Gemäss § 10 Abs. 2 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes (VRPG; SG 270.100) sind Zwischenverfügungen nur dann selbständig anfechtbar, wenn sie für den Rekurrenten einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können. Einen solchen Nachteil begründet nach der Praxis des Verwaltungsgerichts unter anderem der Entzug der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels (Wullschleger/Schröder, Praktische Fragen des Verwaltungsprozesses im Kantons Basel-Stadt, in: BJM 2005, S. 277 ff., 281 f.; Stamm, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Buser [Hrsg.], Neues Handbuch des Staats- und Verwaltungsrechts des Kantons Basel-Stadt, Basel 2008, S. 477 ff., 484). Dem entspricht die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Art. 93 Abs. 1 des Bundesgerichtsgesetzes (BGG; SR 173.110; BGer 2C_11/2007 vom 21. Juni 2007 E. 1.2). Gleiches gilt für die Verweigerung der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (VGE VD.2014.124 vom 7. Juli 2014 E. 1.1 mit weiteren Hinweisen).
1.2 Die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts zur Beurteilung des Rekurses ergibt sich aus dem Überweisungsbeschluss des Präsidialdepartements vom 16. Oktober 2014 sowie den §§ 10 ff. VRPG und § 42 des Organisationsgesetzes (OG; SG 153.100). Der Rekurrent ist vom angefochtenen Entscheid unmittelbar berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung. Er ist daher gemäss § 13 Abs. 1 VRPG zum Rekurs legitimiert. Auf den Rekurs ist deshalb einzutreten.
1.3 Die Kognition des Verwaltungsgerichts richtet sich mangels ausdrücklicher spezialgesetzlicher Regelung nach der allgemeinen Vorschrift von § 8 VRPG. Demnach prüft das Gericht, ob die Vorinstanz den Sachverhalt unrichtig festgestellt, wesentliche Form- oder Verfahrensvorschriften verletzt, das öffentliche Recht nicht oder nicht richtig angewendet oder von dem ihr zustehenden Ermessen einen unzulässigen Gebrauch gemacht hat (statt vieler VGE VD.2010.189 vom 9. Februar 2011 E. 1.1 mit Hinweisen).
2.
2.1 Nach Art. 12 des Konkordats über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen (SG 123.400 [nachfolgend: Konkordat]) kommt der Beschwerde gegen eine Verfügung über eine Konkordatsmassnahme wie dem Rayonverbot (Art. 4 f. Konkordat) aufschiebende Wirkung zu, wenn dadurch der Zweck der Massnahme nicht gefährdet wird und wenn die Beschwerdeinstanz diese in einem Zwischenentscheid ausdrücklich gewährt. Die Erteilung der aufschiebenden Wirkung ist demzufolge bloss im Einzelfall und in Anbetracht der gesamten Umstände möglich (BGer 1C_50/2010 vom 16. November 2010 E. 9). Dabei sind die auf dem Spiel stehenden privaten und öffentlichen Interessen gegeneinander abzuwägen. Zu entscheiden ist, ob die Gründe, die die sofortige Umsetzung der angeordneten Massnahme nahelegen, jene überwiegen, die für einen Aufschub sprechen. Der Natur der Sache entsprechend steht der zuständigen Behörde dabei ein erheblicher, in jedem Fall aber verfassungskonform (und damit auch verhältnismässig; vgl. Art. 5 Abs. 2 BV) zu handhabender Beurteilungsspielraum zu. Sie ist nicht gehalten, für ihren rein vorsorglichen Entscheid zeitraubende Abklärungen zu treffen, sondern kann sich grundsätzlich mit einer summarischen Beurteilung der Situation aufgrund der ihr zur Verfügung stehenden Akten begnügen. Der vermutliche Ausgang des Verfahrens darf bloss, aber immerhin dann mit in Betracht gezogen werden, wenn die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels (positiv oder negativ) eindeutig sind (BGE 130 II 149 E. 2.2 S. 155 und 139 I 37 E. 2.2 S. 40; BGer 2C_11/2007 vom 21. Juni 2007 E. 2.3.2; VGE VD.2014.16 vom 2. Mai 2014 E. 2.2 und VD.2014.124 vom 7. Juli 2014 E. 1.3 mit weiteren Hinweisen).
2.2 Die Vorinstanz hat die Verweigerung der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung damit begründet, dass am 29. März 2014 gegen den Rekurrenten von der Kantonspolizei Solothurn begründet Strafanzeige wegen Tätlichkeiten, Diebstahl, Beschimpfung und Drohung erhoben worden sei. Gemäss Polizeirapport werde ihm vorgeworfen, am 26. März 2014 nach dem Schweizer Cup Halbfinalspiel zwischen dem FC Basel und dem FC Luzern in einer Gruppe mit zwei weiteren Personen im Bahnhof Basel SBB um 21.45 Uhr zwei FC Luzern-Fans tätlich angegriffen, unter Drohung die Herausgabe ihrer FC Luzern-Fanschals verlangt und schliesslich einen Fanschal entwendet zu haben. Damit sei der Nachweis für gewalttätiges Verhalten gemäss Art. 3 des Konkordats erbracht. Damit stehe auch fest, dass eine Gewährung der aufschiebenden Wirkung dem Zweck der Massnahme als Schutz der friedlichen Besucherinnen und Besucher von Sportveranstaltungen entgegenstehe. Im Nachfolgenden ist zu prüfen, ob diese Beurteilung rechtmässig ist.
2.3 Gemäss der Bestimmung von Art. 1 bezweckt das Konkordat, Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen frühzeitig zu erkennen und zu bekämpfen. Im Vordergrund steht die Prävention, die Verhinderung von Gewaltausbrüchen im Umfeld von Sportveranstaltungen. Die Massnahmen sind auf Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit durch Gewalttätigkeiten unterschiedlichster Art ausgerichtet. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung weist deshalb den Fernhaltemassnahmen nach Art. 4 ff. Konkordat (Rayonverbot, Meldeauflage, Polizeigewahrsam) verwaltungsrechtlichen Charakter zu. Sie verneint indessen einen pönalen, repressiven Charakter, weil diese Massnahmen nicht wegen Erfüllung von Straftatbeständen ausgesprochen werden und auch nicht die Besserung der betroffenen Personen bezwecken (BGE 137 I 31 E. 4.3 S. 42, bestätigt in BGE 140 I 2 E. 6 S. 16 ff.). Fernhaltemassnahmen wie das Rayonverbot schränken unbestrittenermassen die Bewegungsfreiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) der betroffenen Personen je nach ihrer Ausgestaltung erheblich ein (BGE 137 I 31 E. 6.2 S. 45; VGE VD.2010.36 vom 28. Januar 2011 E. 2.3; statt vieler Schweizer, in: Ehrenzeller et al. [Hrsg.], Die schweizerische Bundesverfassung. St. Galler Kommentar, 3. Auflage, Zürich et al. 2014; Art. 10 N 35; Müller, Das revidierte Konkordat über Massnahmen zur Bekämpfung der Gewalt an Sportveranstaltungen vom 2. Februar 2012 [“Hooligan-Konkordat“], in: Recht 2013 S. 109 ff., 120). Die Bewegungsfreiheit verschafft dem Einzelnen das Recht, sich nach seinem Willen und ohne staatliche Einschränkungen zu bewegen (Schweizer, a.a.O., Art. 10 N 33 mit weiteren Hinweisen). Sie schützt vor staatlichen Massnahmen, welche auf einzelne Personen oder Personengruppen zielen und diese daran hindern, einen ansonsten rechtlich und faktisch frei zugänglichen Ort aufzusuchen oder in diesem zu verweilen (Moeckli/Keller, Wegweisungen und Rayonverbote – ein Überblick, in: Sicherheit & Recht 3/2012 S. 231 ff., 240). Die mit einem Rayonverbot belegten Besucher von Sportveranstaltungen haben demnach ein verfassungsrechtlich geschütztes Interesse daran, weiterhin den umstrittenen Rayon aufsuchen und dort verweilen zu können, solange nicht rechtskräftig über die von ihnen angefochtene Massnahme entschieden ist. Diesem privaten Interesse steht das öffentliche Interesse gegenüber, Personen, welche in der Vergangenheit nachweislich gewalttätig aufgetreten sind, präventiv zugunsten der friedliebenden Besucher von Sportveranstaltungen fernzuhalten.
Der Gesetzgeber hat mit der Bestimmung von Art. 12 Konkordat, Rechtsmitteln die aufschiebende Wirkung von Gesetzes wegen zu entziehen, im Sinne eines grundsätzlichen Vorrangs des öffentlichen Interesses an gewaltfreien Sportveranstaltungen und des Schutzes der friedliebenden Besucher entschieden. Zwar kann nach dieser Konkordatsvorschrift im Einzelfall die aufschiebende Wirkung der Beschwerde wieder hergestellt werden. Dies setzt jedoch voraus, dass der Zweck der Massnahme damit nicht gefährdet wird. So kann die aufschiebende Wirkung dann erteilt werden, wenn sich zeigt, dass von dem ursprünglich als gewaltbereit erkannten Rekurrenten keine Gefährdung (mehr) ausgeht, oder wenn eine summarische Hauptsachenprognose ergibt, dass das Rayonverbot sich mit grösserer Wahrscheinlichkeit als unrechtmässig erweist und damit aufgehoben werden muss.
2.4
2.4.1 Nach Art. 4 Konkordat kann gegen Personen, die sich anlässlich von Sportveranstaltungen nachweislich an Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen beteiligt haben, der Aufenthalt in einem genau umschriebenen Gebiet im Umfeld von Sportveranstaltungen (Rayon) zu bestimmten Zeiten verboten werden (Abs. 1). Das Verbot kann längstens für die Dauer eines Jahres verfügt werden (Abs. 2). Art. 2 Abs. 1 Konkordat enthält eine nicht abschliessende Aufzählung von Straftaten wie strafbare Handlungen gegen Leib und Leben, Sachbeschädigungen, Nötigung, Brandstiftung, Verursachung einer Explosion, öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder zur Gewalttätigkeit, Landfriedensbruch sowie Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, welche zur Anordnung von Fernhaltemassnahmen führen können. Abs. 2 dieser Bestimmung führt weiteres gewalttätiges Verhalten an (z.B. Mitführen oder Verwenden von Waffen oder pyrotechnischen Gegenständen). Als Nachweis gewalttätigen Verhaltens gelten gemäss Art. 3 Abs. 1 Konkordat entsprechende Gerichtsurteile oder polizeiliche Strafanzeigen (lit. a), glaubwürdige Aussagen oder Bildaufnahmen der Polizei, Zollverwaltung, des Sicherheitspersonals oder der Sportverbände und –vereine (lit. b), Stadionverbote der Sportverbände oder –vereine (lit. c) sowie Meldungen einer zuständigen ausländischen Behörde (lit. d).
2.4.2 Umstritten ist im vorliegenden Verfahren, ob ein genügender Nachweis der dem Rekurrenten vorgeworfenen Gewalttätigkeiten besteht. Die Kantonspolizei hat nach ihren Angaben das Rayonverbot alleine gestützt auf eine mündliche Mitteilung der Kriminalpolizei der Staatsanwaltschaft ausgesprochen, dass diese ein Strafverfahren gegen den Rekurrenten wegen Nötigung, Tätlichkeiten, Drohung und Diebstahls eröffnet habe. Dieses Strafverfahren sei gestützt auf eine Strafanzeige der Kantonspolizei Solothurn vom 29. März 2014, der die Strafanzeige von zwei im Kanton Solothurn wohnhaften FC Luzern-Fans zugrunde liegen würden, sowie auf einen Rapport der Luzerner Polizei vom 21. April 2014 eingeleitet worden. Der zuständige Mitarbeiter beim Fahndungsdienst der Kantonspolizei, DK Steiger, habe sich aufgrund des Bestreitens des Rekurrenten, zum fraglichen Zeitpunkt am Bahnhof SBB gewesen zu sein, telephonisch nochmals bei der Staatsanwaltschaft erkundigt, ob diese am Vorhalt festhalte. Dabei habe er erfahren, dass die Akten an das Strafbefehlsdezernat überwiesen worden seien mit dem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls wegen der genannten Delikte. Diese Verfahrensüberweisung habe gezeigt, dass die polizeiliche Anzeige und der Polizeirapport nicht aus der Luft gegriffen gewesen seien (Stellungnahme der Kantonspolizei an das JSD in der Hauptsache vom 10. Oktober 2014, S. 3 ff.; ferner auch Stellungnahme der Kantonspolizei an das JSD vom 27. November 2014, S. 1 [Beilage zur Stellungnahme des JSD vom 4. Dezember 2014]). Der Rekurrent bestreitet, dass eine polizeiliche Anzeige im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. a Konkordat vorliegt. Es würden lediglich belastende Aussagen von drei Privatpersonen bzw. deren Strafanträge vorliegen. Polizisten aus dem Kanton Solothurn, die Augenzeugen des fraglichen Zwischenfalls hätten sein und polizeiliche Anzeige hätten erstatten können, seien im Bahnhof Basel SBB nicht zugegen gewesen (Rekurs und Replik [jeweils ohne Seitenangabe]).
2.4.3 Wie im Polizeirecht allgemein werden auch im Anwendungsbereich des Konkordats die aufgeführten Massnahmen zur Gefahrenabwehr wie das Rayonverbot auf entsprechende Anzeichen hin getroffen. In diesen Fällen kommt lediglich ein Verdacht zum Ausdruck, dem im Verfahren auf Ergreifung von polizeilichen Massnahmen nachgegangen werden muss (BGE 137 I 31 E. 5.2 S. 43 f.) Als Anzeichen kommt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts grundsätzlich jede Art der Informationsbeschaffung in Betracht. Die Behörden sind gehalten, die Voraussetzungen im Einzelnen nachzuweisen (BGer 1C_50/2010 vom 16. November 2010 E. 5.2). Hierfür kann nach der Aufzählung von Art. 3 Abs. 1 Konkordat neben entsprechenden strafrechtlichen Verurteilungen auf polizeiliche Anzeigen sowie auf glaubwürdige Aussagen oder Bildaufnahmen von Polizei und Zollorganen abgestellt werden. Ob die bei den Akten befindliche Strafanzeige der Kantonspolizei Solothurn vom 29. März 2014 unter den Begriff der polizeilichen Anzeige fällt, kann offen bleiben. Denn das Bundesgericht hat unmissverständlich deutlich gemacht, dass die genannten Anzeigen und schriftlichen oder photographischen Aufzeichnungen nur mögliche Erkenntnisquellen darstellen, die für sich allein nicht Grundlage der konkret anzuordnenden Massnahmen bilden. Der in einem solchen Nachweis zum Ausdruck kommende Verdacht von Gewalttätigkeiten muss vielmehr im Einzelfall durch die zuständige Behörde auf seine Begründetheit hin überprüft werden (BGer 1C_50/2010 vom 16. November 2010 E. 5.2). Ein förmlicher Beweis im strafprozessualen Sinne ist hingegen nicht erforderlich (BGer 1C_88/2011 vom 15. Juni 2011 E. 3.5; in allgemeiner Weise zum herabgesetzten Beweismass auch Moeckli/Müller, a.a.O., S. 239 f.; vgl. ferner auch VGE SG B 2009 vom 22. September 2009 E. 3.2.2). Es genügt, wenn sich der Verdacht auf Gewalttätigkeiten aufgrund einer näheren Prüfung der konkreten Umstände erhärtet. Dabei ist namentlich darauf abzustellen, ob die in den Anzeigen oder Protokollen enthaltenen Aussagen als glaubwürdig erscheinen (VGE ZH VB.2008.00237 vom 19. Juni 2008 E. 5.2).
2.4.4 Im vorliegenden Fall hat die Kantonspolizei das Rayonverbot wie ausgeführt alleine aufgrund einer mündlichen Mitteilung der Kriminalpolizei der Staatsanwaltschaft ausgesprochen, dass gestützt auf eine Anzeige der Kantonspolizei Solothurn gegen den Rekurrenten ein Strafverfahren eingeleitet und dieses an das Strafbefehlsdezernat überwiesen worden sei mit dem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls. Alleine dieser Umstand bot der Kantonspolizei Verdacht genug, um dem Rekurrenten ein Rayonverbot aufzuerlegen. Obschon der Rekurrent am 11. Juli 2014, als ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zum vorgesehenen Verbot eingeräumt wurde, bestritt, sich zum fraglichen Zeitpunkt im Bahnhof Basel SBB aufgehalten zu haben (so auch der entsprechende handschriftliche Vermerk des Rekurrenten auf der Verfügung selbst), beschränkte sich der zuständige Mitarbeiter der Kantonspolizei darauf, sich bei der Staatsanwaltschaft danach zu erkundigen, ob diese am Vorhalt festhalte. Von weiteren Ermittlungen wurde jedoch abgesehen. Aktenkundig wurden die schriftlichen Protokolle der Einvernahmen der beiden im Kanton Solothurn wohnhaften FC Luzern-Fans, welche 3 Tage nach dem Vorfall im Bahnhof Basel SBB bei der Kantonspolizei Solothurn Anzeige gegen den Rekurrenten und zwei weitere Beschuldigte erstattet hatten und auf welche Anzeige hin letztlich gestützt das Strafverfahren gegen ihn eingeleitet wurde, erst im Rahmen des vorliegenden Rekursverfahrens (vgl. Beilage 2 zur Stellungnahme der Kantonspolizei vom 27. November 2014 zu Handen des JSD [Beilage zur Stellungnahme des JSD vom 4. Dezember 2014]).
Das Verwaltungsgericht hat im Urteil VGE VD.2010.36 vom 28. Juni 2011 E. 2.3 entschieden, dass im Falle eines Rayonverbots, wo der Nachweis für gewalttätiges Verhalten durch eine polizeilichen Anzeige erbracht werden sollte und diese Anzeige auf einen Polizeibeamten als Zeugen verwies, es angezeigt gewesen wäre, diesen Zeugen vor der Verhängung des Rayonverbots zu befragen, nachdem dessen Darstellung vom Betroffenen bestritten worden war. Dieser Grundsatz muss erst recht gelten, wenn die Aussagen nicht von Angehörigen der Polizei oder unbeteiligten Dritten wie Sicherheitspersonal (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. b Konkordat), sondern wie vorliegend von Privatpersonen stammen, namentlich wenn diese Opfer der Gewalttätigkeiten sind. Ohne nähere Kenntnis von deren Aussagen hätte die Kantonspolizei nicht alleine auf die Einschätzung der Kriminalpolizei der Staatsanwaltschaft, welche entsprechende Ermittlungen aufgenommen und dem Vernehmen nach schlussendlich Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gestellt hatte, abstellen dürfen. Gerade weil der Rekurrent seine Teilnahme am Angriff auf die beiden Anzeigesteller abgestritten hatte, hätte die Kantonspolizei vor der Anordnung des Rayonverbots die beiden Anzeigensteller selber zum Geschehen befragen und die Umstände abklären müssen, unter welchen die Anzeigensteller den Rekurrenten identifiziert hatten. B. hatte nach seinen Angaben (Antwort zu Frage 13, S. 3 der Einvernahme vom 29. März 2014 [Beilage zur Vernehmlassung vom 4. Dezember 2014]) die Angreifer im Facebook wieder erkannt, nachdem ihm eine Drittperson die Namen von zwei Beteiligten genannt gehabt habe. Diese Umstände erscheinen insofern als etwas rätselhaft, als B. die protokollierte Aussage, dass er im Zug von jemandem angesprochen worden sei, der den Vorfall mitbekommen habe, handschriftlich mit dem Vermerk “Angesprochen wurde ich erst am Donnerstag Morgen zum Vorfall“ korrigiert hat. Gerade bei Identifizierung von Personen aufgrund von ins Internet gestellten Bildern können Verwechslungen nicht ausgeschlossen werden. Die Identifizierung von Tatverdächtigten muss in solchen Fällen durch die zuständigen Behörden verifiziert werden. Die Kantonspolizei hätte dies etwa durch eine Konfrontation des Rekurrenten mit den Anzeigenstellern nachholen können. Dies gilt umso mehr, als hier gar kein den Rekurrenten belastendes Bildmaterial vorliegt, welches die Glaubwürdigkeit der Aussagen der beiden Anzeigensteller stützen könnte (anders die Ausgangslage etwa in VGE ZH VB.2008.00237 vom 19. Juni 2008 E. 5). Ebensowenig wurden allfällige Zeugen des Geschehens gesucht und befragt. Aufgrund der bestehenden Aktenlage kann dem Rekurrenten daher nicht rechtsgenüglich ein gewalttätiges Verhalten im Sinne von Art. 3 Konkordat nachgewiesen werden. Der gegen den Rekurrenten erhobene Verdacht konnte bis anhin jedenfalls nicht erhärtet werden. Unter diesen Umständen erscheint die Aufrechterhaltung der aufschiebenden Wirkung des Rekurses nicht länger gerechtfertigt, zumal durch den Entzug der aufschiebenden Wirkung das Rayonverbot schon über acht Monate seine Wirkung hat entfalten können.
2.5
2.5.1 Selbst wenn man einen rechtsgenüglichen Nachweis von gewalttätigem Verhalten des Rekurrenten bejahen könnte, würde eine summarische Hauptsachenprognose ergeben, dass der Rekurs gutgeheissen werden müsste, weil sich das Rayonverbot in der vorliegenden Ausgestaltung als unverhältnismässig erweist. Als grundrechtseinschränkende Massnahme (s. oben E. 2.3) muss das Rayonverbot verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 3 BV). Das Gebot der Verhältnismässigkeit verlangt, dass eine behördliche Massnahme für das Erreichen des im öffentlichen Interesse liegenden Ziels geeignet und erforderlich ist und sich für die Betroffenen in Anbetracht der Schwere des Grundrechtseingriffs als zumutbar erweist. Unter mehreren möglichen Massnahmen ist die mildeste zu wählen. Sie darf in sachlicher, räumlicher, zeitlicher und personeller Hinsicht nicht über das Notwendige hinausgehen (zum Grundsatz der Verhältnismässigkeit etwa Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Auflage, Zürich/St. Gallen 2010, Rz. 581 ff.). Diese Grundsätze gelten auch für die Auferlegung von Rayonverboten (Moeckli/Keller, a.a.O., S. 242 ff.; vgl. hierzu auch BGer 1C_50/2010 vom 16. November 2010 E. 6 mit Bezug auf die Meldeauflage [Art. 6 Konkordat]).
2.5.2 Das vorliegend ausgesprochene Rayonverbot ist insbesondere in sachlicher Hinsicht zu weitgehend. Nach ihrem Wortlaut untersagt die angefochtene Verfügung dem Rekurrenten, im Zeitraum vom 11. Juli 2014 bis 10. Juli 2015 “während Sportveranstaltungen (namentlich an sämtlichen Fussball- und Eishockeyspielen), resp. 6 Stunden vor und nach dem Anlass, sich innerhalb des nachstehenden Rayon gemäss beigelegten Plänen aufzuhalten“. Damit ist es ihm verboten, während sämtlichen Spielen und Wettkämpfen, ungeachtet der Sportart, des Geschlechts und Alters der Teilnehmer (Herren/Frauen; Aktive, JuniorInnen, SeniorInnen), des Vereins und der Liga, in welcher das betreffende Spiel bzw. der Wettkampf stattfindet, den weitgezogenen Rayon St. Jakob aufzusuchen bzw. sich dort aufzuhalten. Neben dem Fussballstadion St. Jakob, in dem die Heimspiele des FC Basel in der Super League sowie im Schweizer Cup, gegebenenfalls auch der Nationalmannschaft stattfinden, gibt es zahlreiche Fussballfelder, auf denen nicht nur am Wochenende, sondern auch unter der Woche regelmässig Meisterschaftsspiele des NLA-Frauenteams des FC Basel, der unteren Ligen und aller Alterklassen abgehalten werden. Die St. Jakob-Arena ist als Eissporthalle die Heimstätte des EHC Basel. Die St. Jakobs-halle ist regelmässig Durchführungsort von Sportanlässen, nicht nur regionaler, sondern auch nationaler und internationaler Ausrichtung wie die Swiss Indoors, Badminton Swiss Open, CSI Basel oder Women’s Top Volley International. Nicht nur wäre es dem Rekurrenten untersagt, diesen Anlässen ungeachtet des damit verbundenen Risikos von gewalttätigen Auseinandersetzungen selber beizuwohnen, sondern es wäre ihm auch verboten, 6 Stunden zuvor und danach etwa Freizeitstätten wie das Gartenbad St. Jakob aufzusuchen, im Shopping Center St. Jakob-Park einzukaufen, im Bethesda-Spital Kranke oder im Freidorf/Muttenz Freunde zu besuchen. Aufgrund des sehr weit gefassten Rayonsverbots wäre der Rekurrent mit Ausnahme von nur wenigen Tagen das ganze Jahr über faktisch aus dem Rayon St. Jakob verbannt. Eine derart weitgehender Eingriff in seine Bewegungsfreiheit liesse sich auch dann nicht vertreten, wenn der Verdacht sich erhärten würde, an besagtem Vorfall vom 26. März 2014 im Bahnhof Basel SBB, der eine erschreckende Gewaltbereitschaft erkennen lässt, beteiligt gewesen zu sein. Ohnehin könnte der Rekurrent wenn überhaupt nur mit einem grösseren Aufwand zweifelsfrei ermitteln, wann und wo Sportveranstaltungen im Rayon stattfinden und somit das Verbot gilt. Diesbezüglich muss für ihn jedoch Klarheit herrschen, wird ihm doch bei Zuwiderhandlung gestützt auf Art. 292 StGB eine Busse angedroht (vgl. auch Entscheid des Aargauischen Rekursgerichts im Ausländerrecht vom 14. Oktober 2010 E. 2.4, in: AGVE 2010, S. 371 ff. [abrufbar unter www.swisslex. ch]). Vorliegend stehen einzig Gewalttätigkeiten im Anschluss an ein Spiel des FC Basel zur Diskussion. Ein Rayonverbot liesse sich unter Verhältnismässigkeitsaspekten deshalb nur hinsichtlich von Heimspielen der ersten Herrenmannschaft des FC Basel (und gegebenenfalls von Länderspielen, die ebenfalls gewaltträchtig sind) rechtfertigen, nicht jedoch bezüglich von Fussballspielen von anderen Mannschaften des FC Basel oder gar von weiteren Vereinen (VGE ZH VB.2008.00237 vom 19. Juni 2008 E. 6.2; Moeckli/Keller, a.a.O., S. 243 f.). Erst recht erscheint eine Ausdehnung des Rayonverbots in sachlicher Hinsicht auf sämtliche Sportveranstaltungen ungeachtet des Risikos von gewalttätigen Ausschreitungen nicht erforderlich, zumindest solange der Rekurrent nicht eine Gewaltbereitschaft auch hinsichtlich anderer Sportanlässe manifestiert bzw. bekundet, diese besuchen zu wollen. Im Lichte dieser Ausführungen erscheint das vorliegende Rayonverbot insgesamt als unverhältnismässig, weshalb es auch unter diesem Aspekt in Gutheissung des dagegen erhobenen Rekurses aufgehoben (oder zumindest erheblich eingeschränkt) werden müsste.
3.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Entzug der aufschiebenden Wirkung des Rekurses gegen das Rayonverbot sich nicht länger rechtfertigen lässt, weil nach der gegenwärtigen Aktenlage dem Rekurrenten Gewalttätigkeiten nicht rechtsgenüglich im Sinne von Art. 3 Konkordat nachgewiesen werden können und somit im gegenwärtigen Zeitpunkt der Rekurs gutgeheissen werden müsste. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung erscheint auch deshalb angezeigt, weil sich das Rayonverbot in der vorliegenden Fassung als unverhältnismässig erweist und dem Rekurs auch unter diesem Gesichtspunkt stattgegeben werden müsste. Mit seinem Rekurs hat der Rekurrent auch beantragt, den Entscheid dem FC Basel und der SFL mitzuteilen. Diesen Antrag begründet er indessen mit seinem Rekurs nicht weiter. Soweit die Replik hierzu Ausführungen enthält, haben sie als verspätet zu gelten, so dass hierauf auch nicht einzutreten ist.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens gehen die Kosten des Verfahrens zu Lasten des Staates. Eine Parteientschädigung kann nicht zugesprochen werden, da der Rekurrent sie erst mit der Replik und damit verspätet beantragt hat. Abgesehen davon können Parteientschädigungen nur Parteien zugesprochen werden, die anwaltlich vertreten sind, was für den Rekurrenten jedoch nicht zutrifft.
Demgemäss erkennt das Verwaltungsgericht:
://: Der Rekurs gegen des Zwischenentscheid des Justiz- und Sicherheitsdepartements vom 4. September 2014 wird gutgeheissen und dem Rekurs vom 25. Juli 2014 gegen das Rayonverbot die aufschiebende Wirkung erteilt.
Es werden keine Kosten erhoben.
APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT
Der Gerichtsschreiber
Dr. Alexander Zürcher
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