von D. Pomper, 20 Minuten
Am Mittwoch spricht der Nationalrat über das elektronische Patientendossier. Kritiker warnen vor der staatlichen «Datensammelwut» und der Missbrauchsgefahr.
Sicherere, effizientere und qualitativ hochstehendere medizinische Behandlungen: Das verspricht das elektronische Patientendossier EPD, worüber der Nationalrat am Mittwoch berät und das er wohl annehmen wird, nachdem ihm bereits der Ständerat zugestimmt hat.
In Zukunft soll jede Person in der Schweiz die Möglichkeit erhalten, ihre medizinischen Daten über ein elektronisches Patientendossier medizinischen Fachpersonen zugänglich zu machen. Die Patienten sollen selber entscheiden dürfen, ob sie ein EPD wollen oder nicht. Der Bund unterstützt das Projekt mit 30 Millionen Franken.
«Seelenstriptease vor fremden Menschen»
Rechtsanwalt Viktor Györffy, Präsident der Organisation grundrechte.ch, warnt vor der «staatlichen Datensammelwut, die zu einem gläsernen Patienten» führe: «Sobald sich alle Akteure an elektronische Dossiers gewöhnt haben, werden sie früher oder später obligatorisch werden. Das ist die klassische Salamitaktik.» Der Eingriff in die Privatsphäre sei gross: «Stellen Sie sich vor, Sie gehen wegen eines Knochenbruchs ins Spital. Was geht es den dort behandelnden Arzt denn an, dass sie zuvor mal in einer psychiatrischen Behandlung waren? Man betreibt Seelenstriptease vor Leuten, die man nicht einmal kennt.» Die Gesundheitsgeschichte eines Menschen sei etwas vom persönlichsten. Werde sie breit bekannt, könne sie als Stigma haften bleiben.
Bei den Krankenkassen und Versicherungen wecke man den Appetit auf den automatischen Datenaustausch: «So könnten Krankenkassen beispielsweise überprüfen, ob sie bestimmte Leistungen bezahlen wollen oder nicht und Kosten sparen.» Schlussendlich werde es wohl darauf hinauslaufen, dass Versicherungen ihre Dienste nur anbieten, wenn die elektronischen Dossiers zur Verfügung gestellt würden.
Verweigert ein Versicherter den Zugriff, könnte die Versicherung seine Leistungen einstellen. «Die versprochene Wahlfreiheit ist reine Augenwischerei», sagt Györffy. Und schliesslich gebe es noch die Gefahr von Hackerangriffen: «Spätestens wenn man gezielt nach etwas sucht, ist das Risiko gross, dass man an die Daten kommt.» Das hätten Hackerangriffe in der Industrie ja schon mehrfach gezeigt.
«Fax birgt grössere Gefahren»
«Gläserne Patienten» hält Urs Stoffel von der Verbindung der Schweizer Ärzte FMH im Zusammenhang mit dem Patientendossier für ein übertriebenes Schreckgespenst. Grundsätzlich lauerten in der heutigen digitalen Welt überall Risiken. Ein Fax mit vertraulichen Patientendaten herumzuschicken, berge aber grössere Gefahren als das elektronische Patientendossier.
Dieses begrüsst die FMH grundsätzlich: «Risiken durch falsche Behandlungen werden minimiert, da der Arzt die Vorgeschichte der Patienten sofort abrufen kann, Befunde werden von verschiedenen Ärzten nicht doppelt gemacht. Laborwerte, der Impfstatus, Röntgenbilder werden gespeichert», sagt Stoffel. Sofern die Patienten ihre Zugriffsrechte gut verwalten, sei das System auch «relativ sicher». Patienten und Spitäler würden früh einen Nutzen erfahren. Für die Hausärzte dagegen sei mit dem EPD ein grosser administrativer Aufwand ohne raschen Nutzen verbunden.
Die FMH unterstützt das EPD allerdings nur, sofern nicht nur die Patienten, sondern auch die Ärzte sich freiwillig für oder gegen das elektronische Patientendossier entscheiden können. «Sonst schadet das Gesetz mehr, als es nützt. Die Dossiers würden nicht sauber geführt und die Qualität werde sich deutlich verschlechtern», warnt Stoffel. Dass der Nationalrat diesen Wunsch erfüllt, ist allerdings eher unwahrscheinlich.
«Ein neues Zeitalter»
Auch Patientenschützerin Margrit Kessler (GLP) unterstützt das EPD: «Es ist ein neues Zeitalter angebrochen. Die Jungen haben keine Lust, ihrem Arzt jedes Mal von neuem ihre Krankheitsgeschichte zu erzählen. Dank der Digitalisierung bleibt ihnen dies erspart.» Ausserdem würden unleserliche Ärztenotizen endlich leserlich, wodurch es weniger häufig zu falscher Medikamentenabgabe käme. Auch das Impfbüchlein und die mühselige Suche danach würden der Vergangenheit angehören. Der Patient erhalte endlich die Möglichkeit, Einsicht in seine ganze Krankheitsgeschichte zu erhalten: «Aufgrund dieser Kontrolle muss sich der Arzt Mühe geben, objektive Krankengeschichten zu formulieren.»
Die Bedenken bezüglich eines unzureichenden Datenschutzes seien unbegründet. Denn das neue Bundesgesetz sehe eine spezielle Identifikationsnummer vor statt der ursprünglich vorgesehenen Identifikation über die AHV-Nummer. Auch Guy Parmelin (SVP), Präsident der nationalrätlichen Gesundheitskommission, findet: «Der Patient verfügt noch immer über viel Macht. Er alleine entscheidet, ob er ein elektronisches Patientendossier will oder nicht. Niemand kann ihn dazu verpflichten.» Auch das Arztgeheimnis bleibe gewahrt: «Es kann nicht plötzlich der Arbeitgeber kommen und das Patientendossier seines Angestellten verlangen.» Auch würden die Daten nicht in einer zentralen Datenbank, sondern dezentral gespeichert. Diese würden nur im Bedarfsfall zu einem eigentlichen Dossier zusammengestellt.
«Warum nicht gleich Chips implantieren?»
Rechtsanwalt Györffy dagegen ist überzeugt, dass diese «Macht des Patienten» immer weiter geschwächt wird. Er verweist auf die parlamentarische Initiative von FDP-Nationalrat Ruedi Noser, über die am Donnerstag im Rat debattiert wird. In seinem Vorstoss schreibt Noser: «Als sinnvoller nächster Schritt auf dem Weg zum elektronischen Patientendossier soll nun jeder versicherten Person eine digitale Identität zugewiesen werden, die dem sicheren Zugang zu den entsprechenden E-Health-Systemen dient.»
Györffy beunruhigt diese Entwicklung: «Man kann die Entwicklung nun fortführen bis an den Punkt, wo intelligente Uhren und Telefone laufend unseren Gesundheitszustand aufzeichnen und ein automatischer Datenaustausch zwischen Ärzten, Krankenkassen, Versicherungen und vielleicht gar Behörden stattfindet. Das wäre vielleicht praktisch und effizient, aber dann können wir uns gleich Chips implantieren lassen und unsere Privatsphäre ganz abschaffen.»
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