Wenn beim WEF Westschweizer Polizisten auf Bündner Globalisierungskritiker treffen, kommt ein Schaffhauser NZZ-Journalist wirklich ungelegen. Ein Erlebnisbericht.
Boas Ruh, Nzz
«Tut mir leid, aber das muss jetzt sein», sagt der Polizist. «Klack», die Handschellen schliessen sich hinter meinem Rücken. Mein Vergehen: Ich hatte die Polizei bei ihrer Arbeit fotografiert.
Ich werde also festgenommen, vorläufig in Gewahrsam genommen von der Kantonspolizei Graubünden. Und das, während ich gerade mit der Medienstelle eben jener Kantonspolizei telefoniere. Gekommen ist das so:
Wer spricht meine Sprache?
Das Kongresszentrum in Davos. Drinnen debattiert die Elite über, «das Schaffen einer gemeinsamen Zukunft in einer zersplitterten Welt». Draussen zieht rund ein Dutzend Personen durch die Strassen. Sie sind laut, fröhlich, einzelne skandieren globalisierungskritische Sprüche. Ich stehe auf der gegenüberliegenden Strassenseite. Mit meinem Smartphone mache ich Aufnahmen von der Szenerie.
Die herbeigeeilten Polizisten sprechen abwechselnd auf Französisch und Englisch auf mich ein. Ich solle meine Bilder löschen. Ich weigere mich, sehe mich in meiner Arbeit eingeschränkt. Ein Beamter drückt mir auf das Display, beendet das Gespräch, das ich wegen des Vorfalls gerade mit der Medienstelle der Kantonspolizei führe.
Die Lage ist angespannt, die Beteiligten sind nervös und die sprachbedingten Kommunikationsprobleme zwischen den Beamten verschärfen die Situation. «Parles-tu français?», fragt ein Westschweizer Polizist seinen einheimischen Kollegen. «No.» - «English?» - «No.» Verzweifelt wendet er sich einem sprachversierteren Bündner Polizisten zu.
15 Minuten in der Einzelzelle
Da stehen wir nun, die Vertreter der zersplitterten Welt. Die Bündner Globalisierungskritiker, angetreten, der transkontinentalen Elite die Meinung zu geigen. Der Schaffhauser Journalist der die Fotos auf seinem chinesischen Handy nicht löschen will. Der welsche Polizist, der die Deutschschweizer NZZ nicht kennt - kurzum: ein heilloses Gesplitter.
Zusammen mit mir ist ein WEF-Chauffeur in die Polizeikontrolle geraten. Er sitzt in Handschellen vor mir im Einsatzfahrzeug der Polizei. Er müsse in einer halben Stunde Gäste im Hotel Intercontinental abholen und sie ins Hilton Garden Inn fahren. Seine Verzweiflung wirkt echt.
Zwei Stunden dauert es, bis ich wieder auf freiem Fuss bin. Dazwischen: viele Verständigungsprobleme, eine gründliche Leibesvisitation, 15 Minuten in einer Einzelzelle. Nur meine Smartwatch haben die Polizisten nicht bemerkt und so habe ich aufgrund der eingegangenen Nachrichten und verpassten Anrufen gemerkt, dass ich beim vereinbarten Abendessen vermisst werde.
Wer bin ich schon
Die Polizei sagt am Tag danach, der Einsatz sei aufgrund einer «Störaktion» durchgeführt worden. Von den kontrollierten Personen habe sich keine Etwas zuschulden lassen kommen.
Davos gleiche in diesen Tagen einer Festung, lautet die gängige Erzählung. Und klar: Es ist gut, dass Polizisten aus sämtlichen Regionen der Schweiz und die Armee während des World Economic Forum für Sicherheit sorgen. Schliesslich ist die Schweiz auch völkerrechtlich verpflichtet, den Schutz für Staatschefs und politische VIPs zu gewährleisten. Dass dabei vielleicht auch mal die Verhältnismässigkeit verloren geht, kann vorkommen. Allerdings ist der Lack vom schönen Motto für mich persönlich damit doch ein wenig abgesplittert. Aber wer bin ich schon - so ganz global gesehen.
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