Parmelin eröffnet den Abstimmungskampf

13. Juni 2016

von Heidi Gmür, NZZ

Das Nachrichtendienstgesetz wahre die Balance zwischen individueller Freiheit und Sicherheit, sagt SVP-Bundesrat Parmelin. Die neuen Mittel für die präventive Überwachung seien adäquat und wichtig.

Die Schweiz verfüge heute nicht mehr über genügenden Schutz angesichts der sich ständig verändernden, auch komplexeren Bedrohungen, sagte Verteidigungsminister Guy Parmelin am Montag vor den Medien. Die Terroristen und ausländischen Spione nutzten Methoden, die dem neuesten Stand der Technik entsprächen, während die Instrumente, über die der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) heute verfüge, es diesem nicht mehr erlaube, seine Rolle wirksam zu erfüllen. Dieser brauche folglich zusätzliche Instrumente, sagte Parmelin. Es sei aber selbstverständlich, dass es Missbräuche zu verhindern gelte. Und angesichts der Befürchtungen der Gegner vor einem Schnüffelstaat betonte er, dass es mitnichten die Intention des neuen Nachrichtendienstgesetzes (NDG) sei, alle Bürger zu überwachen.

Rund zehn Fälle pro Jahr

Das Parlament hatte das neue Gesetz im September mit deutlichen Mehrheiten gutgeheissen. Im Nationalrat stimmten lediglich die Grünen geschlossen dagegen, die SP war gespalten. Im Ständerat passierte das Gesetz gegen fünf SP-Stimmen und drei Enthaltungen; die Anfänge der Revision gehen auf das Jahr 2009 zurück (vgl. auch Kasten). Da das Referendum von links zustande gekommen ist, werden die Schweizer Stimmbürger am 25. September an der Urne über das NDG abstimmen.

Konkret gibt das NDG dem NDB unter anderem die Möglichkeit, Telefone abzuhören, Räume zu verwanzen und in Computersysteme einzudringen. Heute darf der Nachrichtendienst lediglich an öffentlichen Orten Informationen sammeln. Diese neuen Instrumente seien modern, adäquat und äusserst wichtig, sagte Parmelin. Er unterstrich, dass es sich dabei lediglich um «gezielte Abhörungen» handeln werde und der NDB zudem vorgängig die Bewilligung des Bundesverwaltungsgerichts sowie des VBS-Chefs brauche, der wiederum die Vorsteher des Aussen- und des Justizdepartements konsultieren muss. Das VBS geht davon aus, dass diese neuen Massnahmen pro Jahr in rund zehn Fällen zur Anwendung gelangen würden. Parmelin sprach von der präventiven Überwachung lediglich «der gefährlichsten Individuen».

Neue Möglichkeiten für den NDB gibt es aber auch im Bereich der Cyber-Abwehr, wobei Parmelin implizit auf die im Mai publik gewordene Attacke auf das Rüstungsunternehmen Ruag verwies. Mit dem gegenwärtigem Gesetz verfüge der NDB nicht über die nötigen Mittel, um dieses Phänomen zu bekämpfen. Dank dem NDG wäre es laut NDB-Chef Markus Seiler künftig hingegen möglich, in Computersysteme im Ausland einzudringen, um Informationen zu beschaffen, oder auch - mit der Bewilligung des Gesamtbundesrats - einen solchen Angriff zu stören oder zu verlangsamen. Wolle man dies heute tun, sei dies nur mit Notrecht möglich.

Gleichgewicht gewahrt

Parmelin wurde nicht müde zu wiederholen, dass es mit diesem Gesetz gelungen sei, die individuelle Freiheit zu erhalten und zu garantieren, und zugleich die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Dieses delikate Gleichgewicht werde respektiert. Für den Abstimmungskampf kündigte er eine «erklärende, pädagogische» Kampagne an. Er gab sich zuversichtlich, ihn gewinnen zu können. Und auf die Frage eines Journalisten, was er denn vom Widerstand des - unter Beobachtung des Nachrichtendienstes stehenden - Islamischen Zentralrats Schweiz gegen das Gesetz halte, meinte Parmelin: «Es ist möglicherweise die beste Werbung für das Gesetz!»

Angst vor dem Schnüffelstaat

dgy. ⋅ Lange vor der Anschlägen von Paris und Brüssel sind 2009 die Arbeiten am neuen Nachrichtendienstgesetz (NDG) aufgenommen worden, welches das Bundesgesetz zur Wahrung der Inneren Sicherheit (BWIS) sowie das Bundesgesetz über die Zuständigkeiten im Bereich des zivilen Nachrichtendienstes (ZNDG) ersetzen soll. Während ein Ausbau der Kompetenzen der Nachrichtendienste früher auf Widerstand stiess, verabschiedeten die beiden Räte das neue Gesetz im letzten Herbst deutlich - mit 145 zu 41 Stimmen im Nationalrat und mit 35 zu drei Stimmen im Ständerat.

Das neue Nachrichtendienstgesetz erweitert die Befugnisse der präventivpolizeilichen Überwachungsmassnahmen erheblich: Neu ist das Verwanzen privater Räumen, das Eindringen in Computersysteme und -netzwerke oder das Durchsuchen von Räumlichkeiten oder das Abhören von Telefonen auch ausserhalb eines Strafverfahrens erlaubt. Voraussetzung ist, dass eine konkrete Bedrohung der inneren oder äusseren Sicherheit vorliegt, die von Terrorgruppen, ausländischen Nachrichtendiensten, durch die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder einen Angriff auf kritische Infrastrukturen ausgeht. Die Massnahmen müssen im Einzelfall durch das Bundesverwaltungsgericht genehmigt und durch den Vorsteher des Verteidigungsdepartements nach Konsultation mit EDA und EJPD freigegeben werden.

Ein Bündnis bestehend aus den Juso, den Grünen, der GSoA, der digitalen Gesellschaft und der Piratenpartei hat das Referendum gegen das Gesetz eingereicht. Die neuen Möglichkeiten öffneten dem Schnüffelstaat Tür und Tor, argumentieren sie. Künftig habe der Nachrichtendienst die Möglichkeit, ohne Verdacht auf eine Straftat in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger einzudringen und deren Leben zu überwachen. Nötig sei dies unter der neuen Bedrohungslage nicht: Bundesanwaltschaft und Polizeibehörden verfügten schon heute über die nötigen Mittel.

Abgestimmt wird am 25. September. Offiziell unterstützt wird das Referendum von der SP, wobei sich aber verschiedene Vertreter der Partei für das Gesetz aussprechen. Die bürgerlichen Parteien stehen praktisch geschlossen hinter der Vorlage. Nicht zu verwechseln ist das Gesetz mit dem Bundesgesetz zur Überwachung des Post- und Fernmeldegesetzes (Büpf), das die Überwachung der Kommunikation in Strafverfahren regelt. Auch gegen dieses Gesetz werden Unterschriften gesammelt, wobei die Frist bis Anfang Juli läuft.

 

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