«Es war kein böser Wille»

8. Februar 2013

Die St. Galler Stadtpolizei verneinte zunächst mehrfach die Existenz von Videoaufnahmen, die einen Fussballfan vor Gericht schliesslich entlasteten. Kommandant Pius Valier nimmt Stellung.

Daniel Walt, St. Galler Tagblatt;

Herr Valier, die Stadtpolizei teilte der St. Galler Staatsanwaltschaft mit, es gebe keine Videobilder zum angeblichen Übergriff eines Basler Fans auf einen Securitas-Mann. Schliesslich wurde klar: Es gibt die Aufnahmen sehr wohl - und sie entlasten den 18-Jährigen. Was ist schiefgelaufen?

Pius Valier: An jenem Match hatte es teils massive Ausschreitungen im Gästesektor der AFG Arena gegeben. Mehrere Personen waren verhaftet worden. Darunter befand sich auch der 18-Jährige, und zwar aufgrund von Aussagen, er habe einen Securitas-Mann angegriffen. Bei der Sichtung der Überwachungsvideos entging es unseren Auswertern dann, dass die entsprechende Sequenz, die den Mann entlastet, auf den Bändern zu sehen war.

Wie konnte das passieren?

Valier: Die Szene wurde übersehen, weil sie sich im Hintergrund abspielte. Im Vordergrund war ein Geschehen mit einem anderen Anhänger zu sehen - darauf hat sich der Auswerter wohl konzentriert. Zudem sind auf dem Videoausschnitt viele Leute zu sehen. Und der 18jährige Basler Fan hatte eine Kapuze an, während wir für die Recherche ein Foto zur Verfügung hatten, das nach seiner Verhaftung gemacht worden war - ohne Kapuze.

Die Staatsanwaltschaft fragte wiederholt bei der Polizei nach den Bildern. Dann übersah die Stadtpolizei die Szene gleich mehrfach?

Valier: Die Sequenz wurde bei uns mehrere Male angeschaut. Ob von einem oder mehreren Auswertern, entzieht sich meiner Kenntnis. Fakt ist: Die Szene wurde nicht erkannt.

Wie werten Sie den Fehler der Polizei?

Valier: Von einem Fehler würde ich nicht sprechen - das Ganze passierte nicht absichtlich. Ich kann meinen Leuten keinen Vorwurf machen, sie arbeiten seriös und kompetent. Aber: Es ist natürlich ärgerlich, dass die fragliche Szene unterging.

Die Anwältin des Mannes sieht sich nun bestätigt, dass nicht mit der gleichen Sorgfalt nach entlastenden wie nach belastenden Beweisen gesucht werde.

Valier: Wir machen diese Unterscheidung nicht. Gibt es eine auffällige Person, ist unsere Aufgabe die Recherche. Erkennen wir die Person auf einer Videosequenz, stellen wir das Material der Staatsanwaltschaft zur Verfügung. Erkennt man jemanden aber nicht, kann man das Videomaterial auch nicht verfügbar machen.

Der Mann wäre ohne diese Videosequenz sowie Aufnahmen, die der Anwältin von anderen Basler Fans zur Verfügung gestellt worden sind, ziemlich sicher verurteilt worden. Inwieweit ist sich die Polizei bewusst, welche Tragweite die sorgfältige Sichtung der Videos hat?

Valier: Wir sind uns der Folgen unserer Arbeit sehr bewusst.

Trotzdem: Solche Pannen nähren Verschwörungstheorien. Fussballfans kolportieren immer wieder, dass Polizei und Justiz entlastendes Material unterdrücken beziehungsweise Unschuldige verurteilen.

Valier: Der Vorfall könnte dazu benutzt werden, an der Rechtmässigkeit von Ermittlungen zu zweifeln. Den Vorwurf, dass wir entlastende Beweise unterdrücken, weise ich aber in aller Entschiedenheit zurück. Auch in diesem Fall wurde nie versucht, Material zu verheimlichen - wir haben die entsprechende Videosequenz schlicht übersehen.

Was würden Sie dem 18-Jährigen sagen, sässe er Ihnen gegenüber?

Valier: Dass es ärgerlich ist, dass die Sache so gelaufen ist. Die Stadtpolizei macht sich aber keinen Vorwurf. Wie gesagt: Es steckte kein böser Wille dahinter.

Welche Lehren zieht die Polizei?

Valier: Unabhängig von diesem Einzelfall sind wir seit einiger Zeit daran, den Prozess der Videoauswertungen genauer anzuschauen, um ihn zu verbessern. Diese Arbeit ist zeitintensiv - beim fraglichen Basel-Match beispielsweise gab es 400 Minuten Videomaterial zu sichten. Deshalb wollen wir das Kernteam von drei Leuten vergrössern, welches für diese Aufgabe zuständig ist.

Kommentar: Die Fronten haben sich weiter verhärtet

Die St.Galler Stadtpolizei ist wegen des Verfahrens gegen einen Basler Fussballfan unter Druck. Bei der Sichtung von Überwachungsvideos hat sie jene Szene übersehen, welche die Unschuld des Mannes beweist. Dass der Fan wegen seines angeblichen Angriffs auf einen Securitas-Mann nicht verurteilt wurde, ist vor allem seiner Anwältin zu verdanken. Sie pochte darauf, dass es entlastendes Material geben müsse. Schliesslich tauchten die Bilder auf.

Die Polizei hat sich zumindest einen fahrlässigen Fehler geleistet, weil die Staatsanwaltschaft mehrfach nach Videos der Szene nachgefragt und stets eine abschlägige Antwort erhalten hatte. Im Einzelfall mag es erklärbar sein, dass das Geschehen im Hintergrund übersehen wurde. Trotzdem dürfte die Affäre Folgen haben. Viele Fans werden sich im Pauschalurteil bestätigt sehen, wonach Polizei und Justiz entlastende Momente gerne unter den Teppich kehren. Verschärfend kommt hinzu, dass die Behauptung des Securitas-Angestellten, der Fan habe ihn getreten, höchst unglaubwürdig wirkt: Laut Urteil zeigen die Bilder, dass der Mann entgegen seinen Aussagen zu dem Zeitpunkt gar nicht in der Nähe des Fans war.

Aufgrund dieses Einzelfalls ist generelles Misstrauen gegenüber Polizei, Justiz und privaten Sicherheitsdiensten zwar fehl am Platz. Alle Beteiligten stehen vorläufig aber unter verschärfter Beobachtung - und die Fronten haben sich unnötigerweise weiter verhärtet.

 

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