Flächendeckende Handyüberwachung

28. November 2015

Polizei setzt rechtlich heikle Überwachungsgeräte ein

Von Jonas Hoskyn, BaZ

Basel. Der Imsi-Catcher sieht aus wie aus einem Agentenfilm der 1960er- Jahre. Ein Aktenkoffer mit einem Laptop und zwei Antennen links und rechts. Die technischen Möglichkeiten des Geräts allerdings sind enorm: Der Imsi-Catcher simuliert eine Handy-Antenne und klinkt sich zwischen alle Mobiltelefone in einem Umkreis von mehreren Hundert Metern und dem nächsten Sendemast ein. So können die Handydaten von allen Personen im betreffenden Radius abgegriffen werden. Man erhält praktisch die totale Kontrolle über die Mobiltelefone: Alle Handyträger - egal ob Verdächtige oder unbescholtene Passanten - können identifiziert und verfolgt werden, Telefonate können abgehört, SMS abgefangen, der mobile Datenverkehr nachvollzogen werden.

Doch die Möglichkeiten gehen noch weiter. Mit einem Imsi-Catcher ist es möglich, die Kommunikation von Handys zu blockieren. Bei den Demonstrationen in der Ukraine ist dies offenbar bereits geschehen. Auch in Dresden wurde bereits einmal ein Imsi-Catcher verwendet, um Teilnehmer einer illegalen Demonstration zu identifizieren. Weiter kann man Daten auf die betroffenen Handys einschleusen, etwa eine umfassende Überwachungssoftware - sogenannte Trojaner.

Die technischen Möglichkeiten stehen im krassen Gegensatz zum öffentlichen Bewusstsein. Was ein Imsi-Catcher ist und kann, ist nur wenigen bekannt. Eine Recherche der NZZ zeigt nun, dass die Technik in der Schweiz bereits sehr breit zum Einsatz kommt. Praktisch sämtliche angefragten Kantonspolizeien bestätigten auf Anfrage den Einsatz des Geräts. Auch in den beiden Basel haben die Strafverfolgungsbehörden bereits auf den Imsi-Catcher zurückgegriffen. Beide Korps besitzen allerdings kein eigenes Gerät, sondern müssen eines von der Bundeskriminalpolizei oder von der Zürcher Kantonspolizei ausleihen. «Der Einsatz eines Imsi-Catchers geschieht äusserst selten bis nie und nur in Fällen von Schwerstkriminalität», sagt Peter Gill von der Basler Staatsanwaltschaft. Der Einsatz müsse analog einer Telefonüberwachung durch das Zwangsmassnahmengericht bewilligt werden. Bisher wurde der Imsi-Catcher offenbar nur sehr zurückhaltend eingesetzt, etwa zur Identifizierung und Lokalisierung von Verdächtigen.

Ein solches Beispiel thematisiert auch ein publiziertes Urteil des Baselbieter Zwangsmassnahmengerichts. Die Staatsanwaltschaft hatte beantragt, einen Imsi-Catcher einsetzen zu dürfen, um einem Drogendealer auf die Spur zu kommen. Dieser nutzte mehrere Handys, die nicht auf ihn registriert waren. Um an diese Nummern zu kommen, wollte die Staatsanwaltschaft den Imsi-Catcher nutzen. Das Zwangsmassnahmengericht erlaubte in diesem Fall den Einsatz des Geräts.

«Rechtsgrundlage genügt nicht»

Allerdings ist es fragwürdig, ob es für die IMSI-Catcher überhaupt eine rechtliche Grundlage gibt. Das bisherige Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf) enthält keine ausdrückliche Gesetzesgrundlage, dafür ist es zu alt. Mit der momentan laufenden Revision soll diese Lücke geschlossen werden. «Das zeigt bereits, dass zum jetzigen Zeitpunkt ein Einsatz nicht zulässig ist». sagt der Zürcher Anwalt Martin Steiger, Spezialist für Recht im digitalen Raum.

«Ich bin der Meinung, dass die jetzige Rechtsgrundlage für den Einsatz eines Imsi-Catchers nicht genügt», sagt auch der Basler Datenschutzbeauftragte Beat Rudin. Und selbst wenn die Technik künftig im Gesetz vorgesehen sein sollte, müsse diese sehr zurückhaltend angewendet werden. «Der Kollateralschaden ist sehr gross, weil zwangsläufig auch Unverdächtige und Unschuldige erfasst werden», sagt Rudin. Er werde das Thema beim nächsten Treffen mit den Strafverfolgungsbehörden ansprechen.

«Mit dem Imsi-Catcher kann man tief in die digitale Intimsphäre eindringen», sagt Steiger. Auch ist der Anwalt skeptisch, ob die Technik wirklich derart zurückhaltend eingesetzt wird, wie angegeben: «Der Zweck heiligt bei den Strafverfolgungsbehörden leider oft die Mittel.» Es brauche für die Zukunft eine klare Rechtsgrundlage und Kontrolle, fordert Steiger.

Dieser Meinung ist auch der grüne Grossrat Thomas Grossenbacher, der kürzlich einen Vorstoss zu Staatstrojanern lanciert hatte. «Mit den Anschlägen von Paris wird der Ruf nach Sicherheit noch grösser. Gleichzeitig ist die Gefahr eines Überwachungsstaats real.» Es sei nicht einfach, da eine Balance zu finden. Auch FDP-Grossrat Luca Urgese sagt: «Der Einsatz ist grundsätzlich in Ordnung, wenn klare Regeln bestehen.» Diese seien bisher noch nicht gegeben: «Es ist stossend, dass man diese Technik trotzdem stillschweigend anwendet.» Und auch Christan von Wartburg, SP-Grossrat und Strafverteidiger sagt: «Der Einsatz eines Imsi-Catchers ist unverhältnismässig, weil diese technischen Möglichkeiten gar nicht notwendig sind, um die zulässigen Überwachungsmassnahmen vorzunehmen.» Stattdessen würden Unmengen an Daten erhoben, die in einem Strafverfahren grundsätzlich unverwertbar sind. «Dadurch wird eine unnötige Gefahr von Datenmissbrauch geschaffen.»

Weniger dramatisch beurteilt SVP-Grossrat Joël Thüring den Einsatz von Imsi-Catchern: «Die Aussagen, wofür das Gerät verwendet wird, sind für mich schlüssig.» Die Gefahr von Missbrauch sei im Verhältnis zum Nutzen vernachlässigbar, so Thüring.

 

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