Bund fordert umstrittene Lohndaten ein - Firmen wehren sich

24. Juni 2015

Antonio Fumagalli, Nordwestschweiz

Das Bundesamt für Statistik fordert für eine Lohnerhebung umstrittene Daten ein. Firmen und Datenschützer wehren sich - mit Erfolg: Eine Busse wird ihnen erspart und das Gesetz angepasst.

Seit Januar läuft sie wieder, die sogenannte Lohnstrukturerhebung des Bundes (LSE). Seit 1994 verschickt das Bundesamt für Statistik (BFS) alle zwei Jahre einen Fragebogen an zufällig ausgewählte Unternehmen. Ziel: Aus der Befragung soll sich ein möglichst präzises Bild über die Struktur und die Höhe der Schweizer Löhne ergeben, woraus die Sozialpartner wiederum wichtige Erkenntnisse und Forderungen ableiten. Insgesamt zielt das BFS auf die Daten von rund 35’000 Unternehmen und Verwaltung mit 1.7 Millionen Arbeitnehmern.

Die angeschriebenen Firmen mussten bis Ende März verschiedene Merkmale angeben, zum Beispiel die Anzahl der Mitarbeiter, die Art der Lohnvereinbarung oder das Eintrittsdatum der Angestellten. Die Namen der einzelnen Arbeitnehmer bleiben geheim, nur ihre Funktion - etwa Hochbauzeichnerin oder Plattenleger - wird ins freie Feld geschrieben. Zusätzlich gibt der Arbeitgeber den durchschnittlichen Monatslohn des entsprechenden Mitarbeiters an. Das BFS validiert derzeit die Daten, publiziert werden sie im November.

Gefahr: Der gläserne Bürger

Wie anonym die einzelnen Personen am Ende wirklich bleiben, das fragen sich allerdings nicht wenige Firmenchefs. Denn neben Funktion und Lohn müssen sie seit der Erhebung 2012 die AHV-Nummern ihrer Angestellten preisgeben. Für Bruno Baeriswyl, Präsident der Vereinigung der kantonalen Datenschützer, eine höchst problematische Entwicklung: «Theoretisch weiss der Bund damit mit Namen, welche Person wie viel verdient», so der Datenschutzbeauftragte des Kantons Zürich.

Doch was ist daran so schlimm? Schliesslich hat der Bund via Steuerrechnung ohnehin die Übersicht zu den Einkommensverhältnissen der Bürger. Baeriswyl geht es ums Grundsätzliche: Die Verwendung der AHV-Nummer sei auf den Bereich der Sozialversicherung beschränkt. Wenn die Nummer in immer mehr Bereichen als Personenidentifikator Verwendung finde, könnten die Behörden unzulässige Verknüpfungen erstellen. Mit anderen Worten: In einem Extremszenario weiss der Staat dann, dass Person X mit Monatslohn Y an Krankheit Z leidet. «Damit wird der gläserne Bürger geschaffen. Die Gefahr besteht, dass die Daten in falsche Hände geraten», so Datenschützer Baeriswyl.

Das BFS hat die Rechnung jedoch ohne den Wirt gemacht - denn nun gibt es Widerstand von der Basis. «Wir raten unseren Mitgliedfirmen, die AHV-Nummern nicht anzugeben. Den Unternehmen fehlt das Vertrauen, diese Daten faktisch mit dem Namen jeder Person weiterzugeben», sagt Peter Dietrich, Direktor des einflussreichen Verbands der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (Swissmem). Der schweizerische Arbeitgeberverband gibt seinerseits zwar keine Empfehlung an die Mitglieder ab, aber auch er stösst sich an der Praxis des BFS. «Die AHV-Nummer ist ganz klar ein Instrument der Sozialversicherung. Dass dieses Prinzip nun immer mehr aufgeweicht wird, ist inakzeptabel», sagt Geschäftsleitungsmitglied Martin Kaiser, der früher stellvertretender Direktor des Bundesamts für Sozialversicherungen war.

Ein Fall für die Juristen

Grund für den Unmut: Das rechtliche Gerüst für die Praxis des Bundesamts für Statistik ist wacklig. Das Amt verweist auf Anfrage auf verschiedene Artikel im sogenannten Registerharmonisierungsgesetz und schliesst: «Folglich hat das BFS die notwendige gesetzliche Grundlage, die AHV-Versichertennummer systematisch für seine statistischen Erhebungen und Analysen zu verwenden.»

Das sehen freilich längst nicht alle so: «Das Registerharmonisierungsgesetz kann dafür nicht als gesetzliche Grundlage dienen», sagt Baeriswyl. Es sei klar, dass eine solche «geschaffen werden muss, sofern das BFS allgemein die AHV-Nummer verwenden will», so der Zürcher Datenschutzbeauftragte. Der Arbeitgeberverband und Swissmem stossen ins gleiche Horn: «Wir haben dem BFS schon mehrfach mitgeteilt, dass die gesetzliche Grundlage aus unserer Sicht mangelhaft ist - und dass wir es begrüssen würden, wenn der Gesetzgeber hier Klarheit schaffen würde», sagt Kaiser. Denn der Weg sei klar vorgegeben: jeder erweiterte Gebrauch der AHV-Nummer erfordere eine demokratisch legitimierte explizite gesetzliche Grundlage.

Das BFS krebst zurück

Ganz offensichtlich bleibt der Protest nicht ohne Wirkung. Denn obwohl das Bundesamt für Statistik beteuert, rechtlich auf der sicheren Seite zu stehen, ist derzeit «aus Gründen der Transparenz und Klarheit eine explizite formell-juristische Gesetzesgrundlage in Erarbeitung», wie das BFS schreibt. Über das Datum des Inkrafttretens stünden «zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Details fest».

Für Swissmem und den Arbeitgeberverband ist diese Ankündigung ein Eingeständnis, dass das BFS bislang juristisch schlicht nicht sauber vorgegangen ist. «Es ist unschön, dass die Bundesbehörden zuerst Fakten schaffen und erst danach die rechtliche Legitimation erstellen», so Kaiser. Und Swissmem-Direktor Dietrich: «Das Beispiel zeigt, dass die Verwaltung nachträglich zu ihren Zielen kommt. So nimmt die Bürokratie zu - was uns nachdenklich stimmen muss.»

Thomas Landolt, Inhaber einer Beratungsfirma, hat bereits bei der Lohnstrukturerhebung vor zwei Jahren den Aufstand gewagt. Er weigerte sich, die AHV-Nummern seiner Angestellten anzugeben. «Die Gefahr, dass diese Daten missbräuchlich verwendet werden, ist viel zu gross. Dafür nehme ich gerne allfällige Konsequenzen in Kauf», sagt Landolt. In der Tat könnte das BFS, gestützt auf das Bundesstatistikgesetz, säumige Firmen büssen. Landolt liess es darauf ankommen. Passiert ist: Nichts.

 

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