Das Protokoll einer missratenen Spionageaktion

11. Mai 2017

Tho­mas Knell­wolf und Ma­rio Stäu­b­le, Ta­ges An­zei­ger

In der Af­fä­re um den ver­haf­te­ten Schwei­zer Agen­ten stel­len sich die Ak­teu­re Fal­le um Fal­le. Und tap­pen dann selbst hin­ein.

Schau­plät­ze der Ope­ra­ti­on Eis­wür­fel

Tel Aviv

Tal H. ist sich ge­fähr­li­che Auf­trä­ge ge­wohnt, er ar­bei­te­te frü­her in der is­rae­li­schen Ar­mee als Bom­ben­ent­schär­fer. Heu­te führt der 45-Jäh­ri­ge in Tel Aviv ei­ne Si­cher­heits­fir­ma, be­rät Gross­ban­ken, Mil­lio­nä­re, Re­gie­run­gen. «Wir hel­fen un­se­ren Kun­den, aus Pro­ble­men Chan­cen zu ma­chen», ver­spricht er auf Lin­ke­dIn.

Im Som­mer 2014 hat Tal H. Schwie­rig­kei­ten, sei­nem Slo­gan ge­recht zu wer­den. Da­ni­el M., ein Be­kann­ter aus der Schweiz, hat ihn vor ein fast un­lös­ba­res Pro­blem ge­stellt. Er sucht je­man­den, der Bank­da­ten des pen­sio­nier­ten deut­schen Ge­heim­dienst­chefs Au­gust Han­ning be­schaf­fen kann. Ei­nen sol­chen Auf­trag hat­te H. noch nie. Was nun?

Ei­ner von den Gu­ten

Der Bun­des­kri­mi­nal­po­li­zei in Bern wird der Is­rae­li spä­ter sa­gen, er ha­be nicht nach­ge­fragt, wes­halb sein Freund die­se Da­ten brau­che. Er ha­be dar­auf ver­traut, dass der frü­he­re Zür­cher Po­li­zist ei­ner von den Gu­ten sei - schliess­lich «war er bei der UBS an­ge­stellt».

Der Is­rae­li gibt den Auf­trag an «Ser­gei» wei­ter, sei­nen IT-Spe­zia­lis­ten. So wird er es zu­min­dest spä­ter der Schwei­zer Po­li­zei er­zäh­len. Der Ha­cker klinkt sich ins Darknet ein, in den Teil des In­ter­nets, in dem sich Ak­ti­vis­ten und Dis­si­den­ten, aber auch Ver­bre­cher un­er­kannt be­we­gen kön­nen. In ei­nem rus­si­schen Chat­room stösst Ser­gei auf ei­nen Kon­takt, der be­haup­tet, Bank­da­ten lie­fern zu kön­nen.

Und dann geht es fast un­heim­lich ein­fach: Preis­ver­hand­lung, Kon­takt­auf­nah­me via SMS, Tref­fen an ei­nem nicht nä­her be­schrie­be­nen Ort, Un­be­kann­te über­ge­ben ei­nen USB-Stick. Dar­auf ein Dos­sier: «Au­gust Han­ning - Con­fi­den­ti­al Re­port». Tref­fer. Zu­rück im Bü­ro druckt er die Do­ku­men­te aus, scannt und mailt sie nach Zü­rich. Da­ni­el M. kann kaum glau­ben, dass es ge­klappt hat. Ein Ab­neh­mer wird ihm für die Da­ten 42'000 Eu­ro zah­len.

Es dau­ert ein hal­bes Jahr, bis M. be­merkt, dass er in ei­ne teuf­li­sche Fal­le ge­ra­ten ist. Sein Irr­tum trägt ihm 36 Ta­ge U-Haft in der Schweiz ein, dann fliegt er als Agent des Schwei­zer Nach­rich­ten­diensts (NDB) auf - und nun, im Früh­ling 2017, wird er auch noch in Deutsch­land ver­haf­tet. Die Fest­nah­me macht aus dem Fall M. ei­nen Fall Schweiz, der das Ver­hält­nis der bei­den Nach­bar­staa­ten trübt, so dass Aus­sen­mi­nis­ter Di­dier Burk­hal­ter sich am Te­le­fon ge­gen­über sei­nem deut­schen Amts­kol­le­gen Sig­mar Ga­bri­el recht­fer­ti­gen muss.

Dem TA lie­gen gros­se Tei­le der Jus­tiz­ak­te von M. vor. Sie er­laubt ei­nen tie­fen Ein­blick in die Af­fä­re. Wer die Pro­to­kol­le liest, kommt zum Schluss: Ge­win­ner gibt es kei­ne, und Schwei­zer Be­hör­den müs­sen sich Nai­vi­tät vor­wer­fen las­sen. Da­zu kommt, dass der Skan­dal zu ver­hin­dern ge­we­sen wä­re. Der Schwei­zer Staats­schutz sorg­te mit sei­nem Ver­hal­ten selbst da­für, dass er ex­plo­dier­te.

Frank­furt, Ho­tel In­ter­con­ti­nen­tal

Am 20. Sep­tem­ber 2014 steigt Da­ni­el M. vor dem Ho­tel In­ter­con­ti­nen­tal in Frank­furt aus ei­ner Miet­li­mou­si­ne. Als Chauf­feur hat er den Ehe­mann sei­ner Fuss­pfle­ge­rin ver­pflich­tet. M.s Auf­tritt: «sehr char­mant, die Au­ra ei­nes Er­folgs­man­nes, mit­tel­gross, schwar­zer An­zug, weis­ses Hemd (teu­er)». So lau­ten die No­ti­zen des Man­nes, den M. an die­sem Tag trifft: Wil­helm Dietl, deut­scher Jour­na­list, der in den 80er-Jah­ren un­ter dem Deck­na­men Da­li als Agent des deut­schen Bun­des­nach­rich­ten­diensts (BND). Dietl hat ge­hört, dass M. Spe­zia­list fürs Be­schaf­fen von Bank­da­ten sei. Selbst in­ter­es­siert er sich bren­nend für mög­li­che Schwei­zer Kon­ten von Au­gust Han­ning. Dietl glaubt, der pen­sio­nier­te BND-Chef sei in un­sau­be­re Ge­schäf­te ver­wi­ckelt. Sein mög­li­ches Mo­tiv: Ra­che. Han­ning hat­te ihn 2005 als Agent ent­tarnt, was sei­ner Kar­rie­re scha­de­te.

In der Club-Lounge im obers­ten Stock des Ho­tels small­talkt Dietl mit M. über des­sen Töch­ter und Zür­cher Woh­nungs­mie­ten. Ne­ben­bei ou­tet sich der Schwei­zer ganz of­fen als Agent des Schwei­zer NDB («Das ist ein lah­mer Ti­ger, ei­ne Mi­nis­tran­ten­grup­pe. (...) Eben dar­um muss ich jetzt für den Staat hin­aus­ge­hen»). Dann gehts zum Ge­schäft­li­chen: Dietl will ne­ben dem Han­ning-Dos­sier auch In­for­ma­tio­nen über deut­sche Kun­den der rus­si­schen Gaz­prom­bank.

M. wird spä­ter der Po­li­zei er­zäh­len, der Jour­na­list ha­be ihm ei­ne Ge­schich­te um ei­ne «Grup­pe von Bern» auf­ge­tischt. Hin­ter dem Code­na­men wür­den sich ein­fluss­rei­che Deut­sche ver­ber­gen, die Steu­er­sün­dern das Hand­werk le­gen woll­ten. M. steigt auf Dietls An­fra­ge ein. «Wenn kei­ne Schwei­zer Kun­den und kei­ne Schwei­zer Ban­ken be­trof­fen sind, ist das nicht so schlimm», ha­be er sich über­legt. Und ver­spricht, die In­for­ma­tio­nen zur Gaz­prom­bank zu lie­fern.

80 Dol­lar will er pro Kun­de, macht bei 7000 Kon­ten 560'000 Dol­lar. Was M. nicht weiss: Dietl zeich­net das mehr­stün­di­ge Ge­spräch kom­plett auf. Selbst das Miet­au­to wird fo­to­gra­fiert. Es gibt auch kei­ne «Grup­pe von Bern». Das Geld für die Da­ten kommt von ei­ner deut­schen Ge­heim­dienst-Le­gen­de: Wer­ner Mauss. Der 77-Jäh­ri­ge, der auch als Claus Möll­ner, Die­ter Koch oder Ri­chard Nel­son auf­tritt, ist seit den 60er-Jah­ren als pri­va­ter Nach­rich­ten­dienst­ler un­ter­wegs, ver­han­del­te schon mit ko­lum­bia­ni­schen Gue­ril­le­ros oder be­frei­te Gei­seln der Hiz­bol­lah. Auf sei­ner Web­site rühmt er sich selbst als «Pio­nier ge­gen das Ver­bre­chen».

Da­ni­el M. ist nicht ir­gend­wer

Kaum im Spiel, er­greift Mauss die In­itia­ti­ve. Er mel­det sich bei der UBS, der er als Kun­de schon lan­ge ver­bun­den ist. Im Sep­tem­ber 2014 trifft er sich am Flug­ha­fen Frank­furt mit Bank-Ver­tre­tern, dar­un­ter Spit­zen­ju­rist Oli­ver Bar­t­ho­let. Der Ver­dacht: Ein kri­mi­nel­les Netz­werk kommt über das in­ter­na­tio­na­le Zah­lungs­sys­tem Swift an Bank­da­ten her­an. Der Na­me Da­ni­el M. fällt. Mauss’ War­nung macht die UBS-Ju­ris­ten ner­vös, ein Swift-Miss­brauch ist «un­wahr­schein­lich, aber nicht aus­ge­schlos­sen», wie Bar­t­ho­let der Po­li­zei spä­ter sagt.

Und Da­ni­el M. ist nicht ir­gend­wer. Er hat­te nach dem KV beim TCS 16 Jah­re bei der Stadt­po­li­zei Zü­rich ge­ar­bei­tet, zu­erst im Strei­fen­wa­gen, spä­ter bei der Dro­gen­fahn­dung und der Fach­grup­pe für or­ga­ni­sier­te Kri­mi­na­li­tät. Da­nach war er zehn Jah­re lang für die phy­si­sche Si­cher­heit der UBS-Spit­ze ver­ant­wort­lich, er kann­te die obers­ten Ma­na­ger, ih­re Ge­wohn­hei­ten, ih­re Ma­cken.

Mauss und die UBS ent­schei­den, die Sa­che wei­ter zu be­ob­ach­ten. Oli­ver Bar­t­ho­let schal­tet die Bun­des­an­walt­schaft ein. Car­lo Bul­let­ti, Lei­ter Staats­schutz, hört auf­merk­sam zu.

Im Herbst 2014 trifft sich Dietl wei­ter mit M., der die Da­ten aus Is­ra­el wei­ter­gibt - und nicht ahnt, dass ihn die UBS und die Jus­tiz im Au­ge ha­ben. Und dass un­ter dem Code­na­men «Ope­ra­ti­on Eis­wür­fel» bei der Bun­des­an­walt­schaft bald auf­wen­di­ge Er­mitt­lun­gen an­lau­fen. Was M. sagt, wird pro­to­kol­liert. Selbst beim Geld­zäh­len wird er ge­filmt. Via Mauss ge­langt das Dos­sier zur Bank, die auch Bul­let­ti auf dem Lau­fen­den hält.

UBS-Spe­zia­lis­ten mer­ken schnell, dass die be­schaff­ten Bank­da­ten nichts tau­gen. M. hät­te das auch rea­li­siert, wenn er nur ein­mal ge­goo­gelt hät­te. Ei­ne an­geb­li­che IBAN-Kon­to­num­mer von Ex-BND-Chef Han­ning lau­tet auf den Na­men ei­ner Zür­cher Fir­ma, die was­ser­dich­te Reiss­ver­schlüs­se her­stellt. Bei den Gaz­prom-Kun­den­da­ten ist es noch of­fen­sicht­li­cher. Auf der Ex­cel-Lis­te aus Is­ra­el sind IBAN-Kon­to­num­mern aus Russ­land ein­ge­tra­gen, die mit «RU» be­gin­nen. Nur: Russ­land ver­wen­det das IBAN-Sys­tem gar nicht. Auch das Kür­zel «RU» exis­tiert nicht. M., der aus­sa­gen wird, er ha­be auf «schnell ver­dien­tes Geld» ge­hofft, lie­fert Da­ten­müll.

Zürich, Hotel Savoy

Am 2. Fe­bru­ar 2015 wol­len sich M. und Dietl ein letz­tes Mal tref­fen, dies­mal im Zür­cher Fünf­stern­ho­tel Sa­voy am Pa­ra­de­platz. Es ist die nächs­te Fal­le: Staats­an­walt Bul­let­ti setzt ei­nen ver­deck­ten Er­mitt­ler ein. M. war­tet im Sa­voy. Er er­hält ei­nen An­ruf. Dietl ha­be auf dem Weg von St. Mo­ritz ei­nen Au­to­un­fall ge­habt, nun kom­me ein Se­kre­tär na­mens Lad­ner zum Tref­fen. Ihm hän­digt M. die Do­ku­men­te aus. Ge­mein­sam ge­hen sie zu Lad­ners Land Ro­ver, um den noch of­fe­nen Kauf­be­trag zu über­ge­ben, 280'000 Fran­ken. M. nimmt auf dem Bei­fah­rer­sitz Platz. Lad­ner gibt vor, im Kof­fer­raum das Geld zu ho­len. Dann reis­sen Po­li­zis­ten die Bei­fah­rer­tür auf.

Es ist zehn Mi­nu­ten vor Mit­ter­nacht am 2. Mai 2015, als Car­lo Bul­let­ti zum ers­ten Mal ver­sucht, M. in die Zan­ge zu neh­men. Der Lei­ter der Staats­schutz­ab­tei­lung er­öff­net M., dass er un­ter drin­gen­dem Tat­ver­dacht des wirt­schaft­li­chen Nach­rich­ten­diensts ste­he. «Ich bin jetzt et­was durch­ein­an­der», sagt M. Aber dann ge­steht er schnell, dass er die Han­ning- und die Gaz­prom-Bank-Da­ten von H. er­hal­ten und an Dietl ver­kauft hat. Als Ex-UBS­ler weiss er bes­tens, dass es ver­bo­ten ist, schwei­ze­ri­sche Bank­da­ten zu ver­kau­fen. Des­halb be­tont er: «Mei­ne Ab­ma­chung mit Dietl war, dass ich kei­ne Schwei­zer Bank­kun­den lie­fe­re.» Auf De­tails lässt sich M. nicht ein. Noch nicht.

Bern, Ein­ver­nah­me­zen­trum

Nach vier Näch­ten in Haft lässt M. am 6. Fe­bru­ar 2015 die ganz gros­se Bom­be plat­zen. Sein An­walt Va­len­tin Land­mann legt im Ein­ver­nah­me­zen­trum des Bun­des in Bern die Lun­te, in­dem er fragt: «In wel­cher Be­zie­hung sind Sie ge­ge­be­nen­falls den deut­schen Be­hör­den in Sa­chen Bank­da­ten in die Que­re ge­kom­men?» M. ant­wor­tet: «Ich war bis vor ei­nem Jahr als ex­ter­ne Quel­le en­ga­giert für den Schwei­zer Nach­rich­ten­dienst und es war ein Mit­ar­beits­ver­hält­nis, kei­ne An­stel­lung.» Ak­tiv ge­we­sen sei er bis vor ei­nem Jahr, aber die Zu­sam­men­ar­beit sei noch nicht be­en­det.

Dann macht M. et­was, was er heu­te be­reu­en muss: Er gibt De­tails be­kannt. Er ver­traut dar­auf, dass die Fak­ten, die er preis­gibt, ge­heim blei­ben. Das soll­te ei­gent­lich kein Pro­blem sein: Im­mer­hin re­det er in Ge­gen­wart von Staats­schutz­spe­zia­lis­ten der Bun­des­kri­mi­nal­po­li­zei, das Ver­fah­ren lei­tet die Staats­schutz­ab­tei­lung der Bun­des­an­walt­schaft - al­so die engs­ten straf­recht­li­chen Part­ner des NDB, für den er un­ter­wegs war. Be­vor M. los­legt, sagt er noch: «Ich be­trach­te Sie als Amts­ge­heim­nis­trä­ger (...). Sie kön­nen mit die­sen Da­ten um­ge­hen.» Heu­te muss er sich ge­täuscht füh­len.

Sei­ne Be­fra­ger wis­sen Be­scheid

M. er­zählt von «der gan­zen Pro­ble­ma­tik mit den CD-ROM, wel­che von der Schweiz an deut­sche Steu­er­fahn­der ge­lie­fert wur­den». Lan­ge aus­ho­len muss er nicht. Sei­ne Be­fra­ger wis­sen da bes­tens Be­scheid. Ih­re Ab­tei­lung er­mit­telt des­we­gen - auch ge­gen drei deut­sche Fi­nanz­be­am­te aus Nord­rhein-West­fa­len.

Ge­nau dar­auf be­zieht sich der Auf­trag vom NDB, den M. nun of­fen­legt: Er soll­te her­aus­fin­den, wie die deut­sche Steu­er­fahn­dung «an Schwei­zer Bank­mit­ar­bei­ter her­an­geht, um die­se zu kor­rum­pie­ren, zu be­ste­chen, zu be­zah­len und zur Mit­ar­beit zu be­we­gen». Von sei­nem Agen­ten­füh­rer ha­be er ei­ne un­voll­stän­di­ge Lis­te mit ver­däch­ti­gen Be­am­ten be­kom­men, «ähn­lich ei­nem Su­do­ku»: «Da gab es ei­ne Zei­le mit Na­me und Wohn­ort, dann gab es ei­ne Zei­le Wohn­ort und Vor­na­me und es gab Zei­len nur mit Au­to­num­mern und Wohn­ort.»

Stolz er­zählt M., er ha­be das Su­do­ku ge­löst, was zu Haft­be­feh­len ge­gen die drei deut­schen Be­am­ten ge­führt ha­be. Die Bun­des­an­walt­schaft konn­te das Trio auch des­we­gen An­fang 2012 zur Ver­haf­tung aus­schrei­ben. In der Schweiz gab es da­für viel Ap­plaus, ge­ra­de von den Be­schüt­zern des Bank­ge­heim­nis­ses. In der Bun­des­re­pu­blik war die Em­pö­rung gross. Auch in der be­trof­fe­nen Steu­er­fahn­dung ha­be es «ei­nen Auf­schrei des Ent­set­zens ge­ge­ben», sagt M. jetzt aus. Dort ha­be man es sich zum Ziel ge­setzt, die Per­so­nen, die an der Su­do­ku-Lis­te be­tei­ligt ge­we­sen sei­en, «her­aus­zu­fin­den und un­schäd­lich zu ma­chen».

Der NDB war über­aus zu­frie­den - und woll­te mehr. Was ge­nau und wie ge­nau, ist un­klar. M. be­haup­tet noch in der­sel­ben Ein­ver­nah­me das, was zwei Jah­re spä­ter zu sei­ner er­neu­ten Ver­haf­tung und zu schwei­ze­risch-deut­schen Ver­wer­fun­gen füh­ren wird: Es sei ihm mit ei­nem Part­ner aus Frank­furt ge­lun­gen, ei­ne Quel­le in der Steu­er­fahn­dung Nord­rhein-West­fa­len «ein­zu­pflan­zen». Der Maul­wurf im Amt ha­be zwar noch kei­ne schlüs­si­gen In­for­ma­tio­nen ge­lie­fert. Aber auf sei­nem be­schlag­nahm­ten PC fin­de sich da­zu ein ers­ter Be­richt über die Ope­ra­ti­on, den er noch re­di­gie­ren müs­se und dem Nach­rich­ten­dienst aus­hän­di­gen wol­le.

Wie al­les be­gon­nen hat

Da­nach er­zählt M. von deut­schen Steu­er­fahn­dern, die mit Le­gen­den und fal­schen Päs­sen, Füh­rer­aus­wei­sen, Num­mern­schil­dern «qua­si als ver­deck­te Er­mitt­ler» ein­ge­reist sei­en. Sie hät­ten sich vor Ban­ken mit «tech­ni­schen Ge­rä­ten po­si­tio­niert» und Kun­den «fo­to­gra­fiert, por­trä­tiert und als dann nach Deutsch­land zu­rück­ver­folgt». Bis heu­te wer­den in der Bun­des­re­pu­blik sol­che Ope­ra­tio­nen be­strit­ten - das wä­re Spio­na­ge in ei­nem be­freun­de­ten Staat. Be­legt ist aber, dass Steu­er­fahn­der aus Nord­rhein-West­fa­len auf deut­schem Ter­ri­to­ri­um, oft in Grenz­nä­he, mit An­bie­tern von Schwei­zer Bank­da­ten um Lie­fe­run­gen und Zah­lun­gen feilsch­ten.

Doch da­für in­ter­es­sie­ren sich die Bun­des­kri­mi­nal­po­li­zis­ten we­ni­ger. Viel mehr ha­ken sie bei NDB-Mis­sio­nen nach: «Kön­nen Sie die­se Aus­sa­gen ir­gend­wie be­le­gen, in dem Sie Na­men nen­nen, Auf­trä­ge be­le­gen, da­mit wir das ve­ri­fi­zie­ren kön­nen?» Dar­auf gibt M. Vor- und Nach­na­men meh­re­rer sei­ner Kon­tak­te preis, teil­wei­se sind es Pseud­ony­me. Dar­un­ter ist aber auch NDB-Vi­ze Paul Zin­ni­ker, «wel­cher mich per­sön­lich ken­nen ler­nen woll­te». Die Re­de ist von ei­nem Tref­fen am Flug­ha­fen Zü­rich.

M. sagt sei­nen Be­fra­gern auch, wie al­les be­gon­nen hat. Zwei Schwei­zer Ge­heim­dienst­ler, dar­un­ter ein «An­di», sei­en an ihn her­an­ge­tre­ten, «im Wis­sen um mei­nen be­ruf­li­chen Wer­de­gang, um mein Netz­werk und selbst­ver­ständ­lich auch mei­ne Loya­li­tät und Ver­schwie­gen­heit». Ei­nen Aus­weis ha­be er «nie ver­langt oder ge­se­hen», das sei un­üb­lich, «man spürt den Stall­ge­ruch un­ter Sei­nes­glei­chen ziem­lich schnell.»

Von An­di ha­be er ein Han­dy be­kom­men, das klei­ne silb­ri­ge mit der Pre­paid­kar­te von Co­op, das bei der Haus­durch­su­chung si­cher­ge­stellt wor­den sei. «Es hat nur ei­ne Num­mer dar­auf ge­spei­chert.» Je­ne von An­di. Mit ihm ha­be er über SMS Tref­fen or­ga­ni­siert. Eben­falls be­schlag­nahmt wur­de ein Dienst-Lap­top, auf dem er sei­ne Be­rich­te ge­schrie­ben ha­be. Auf­trä­ge sei­en münd­lich er­teilt wor­den. Für fünf oder sechs Mo­na­te ha­be er pau­schal je 3000 Fran­ken be­kom­men, bar, ge­gen Quit­tung.

Mit An­di und des­sen Chef ha­be er sich mehr­mals ge­trof­fen, ein­mal auch kon­spi­ra­tiv in ei­nem Ein­fa­mi­li­en­haus. Spä­ter wird noch von ei­nem Lunch mit dem Chef in ei­nem «Safe Hou­se» die Re­de sein, ei­ner mö­blier­ten Vil­la im Nor­den Zü­richs. Dort ha­be man sich um Geld ge­strit­ten, da der NDB ihm für die Ak­ti­on in Nord­rhein-West­fa­len nur 60'000 der ver­ein­bar­ten 90'000 Fran­ken be­zahlt ha­be.

Mit dem Rü­cken zur Wand

Doch et­was scheint M. wich­tig: Er ma­che die­se Aus­sa­gen zu sei­nen of­fi­zi­el­len Un­der­co­ver-Auf­trä­gen «un­gern»: «Aber ich ha­be das Ge­fühl, dass da ei­ne grös­se­re Ge­schich­te, mög­li­cher­wei­se von deut­schen Diens­ten ge­gen mich im Gan­ge ist, im Zu­sam­men­hang mit mei­ner Tä­tig­keit für den Schwei­zer Nach­rich­ten­dienst. Ich füh­le mich al­lei­ne und mit dem Rü­cken zur Wand.»

Burg­dorf, Re­gio­nal­ge­fäng­nis

In ein­sa­men Näch­ten im Re­gio­nal­ge­fäng­nis Burg­dorf zer­mar­tert sich M. den Kopf, wes­halb er dort ge­lan­det ist. Er är­gert sich über sei­ne Nai­vi­tät, Dumm­heit und Gier. Wie­so gab es die gan­ze Ak­ti­on? Ist er in ei­nen üb­len Kon­ter je­ner rein­ge­lau­fen, de­nen er beim Aus­for­schen der Steu­er­fahn­der emp­find­lich auf die Füs­se ge­stan­den ist?

Die Näch­te sind lang, die Ta­ge auch. Ab­wechs­lung brin­gen die Be­fra­gun­gen, in de­nen er sei­ne Theo­rie prä­sen­tie­ren und auch un­ter­mau­ern kann: dass es kein Zu­fall war, dass Wer­ner Mauss al­le Un­ter­la­gen der UBS über­gab, aus­ge­rech­net der UBS, wo er zehn Jah­re ge­ar­bei­tet hat­te. Es sei nur dar­um ge­gan­gen, ihn auf dem Fi­nanz­platz Zü­rich ka­putt­zu­ma­chen. Nun sei er ge­schäft­lich tot.

M. be­teu­ert: «Ich bin de­fi­ni­tiv kein Dop­pel­agent. Die schwei­ze­ri­schen In­ter­es­sen lie­gen mir sehr am Her­zen.» Der Bun­des­kri­mi­nal­po­li­zist fragt dar­auf: «Ha­ben Sie mit dem Nach­rich­ten­dienst über die Tä­tig­keit mit Dietl ge­spro­chen?» - «Nein. Das hät­te ich na­tür­lich bes­ser tun sol­len.»

Mauss und sein «ge­hei­mer Mit­ar­bei­ter» Dietl

Fünf Mo­na­te nach der Fal­le im Ho­tel Sa­voy kommt es zu ei­ner Über­ra­schung. Die Bun­des­an­walt­schaft dehnt das Ver­fah­ren auf je­ne aus, die hal­fen, M. hin­ter Git­ter zu brin­gen: auf Mauss und Dietl. Sie er­mit­telt jetzt auch ge­gen die bei­den Ex-BND-Män­ner, mit de­nen sie und die UBS die Fal­le ge­stellt hat­te. Der Ver­dacht auch hier: wirt­schaft­li­cher Nach­rich­ten­dienst.

Ein Drei­vier­tel­jahr nach der Ak­ti­on am Zür­cher Pa­ra­de­platz wer­den erst­mals die Män­ner be­fragt, auf de­ren An­stoss die gan­ze Ope­ra­ti­on Eis­wür­fel be­ruht: Mauss und sein - so nennt er ihn in der Ak­ten - «ge­hei­mer Mit­ar­bei­ter» Dietl. Die deut­schen Ex-Agen­ten be­kom­men frei­es Ge­leit für die Rei­se in die Schweiz. So müs­sen sie auch kei­ne Ver­haf­tung be­fürch­ten. In Bern be­strei­ten sie eben­falls jeg­li­chen Spio­na­ge­vor­wurf. Mauss und Dietl be­teu­ern, es sei ih­nen ein­zig und al­lein dar­um ge­gan­gen, kri­mi­nel­le Ma­chen­schaf­ten auf­zu­de­cken, näm­lich den il­le­ga­len Han­del mit Bank­da­ten.

Kurz nach ih­ren Ein­ver­nah­men kommt es zu ei­nem fol­gen­schwe­ren Schritt. Die Bun­des­an­walt­schaft ver­rät in­di­rekt schwei­ze­ri­sche Spio­na­ge­ope­ra­tio­nen. Sie schickt al­len Ver­tei­di­gern ei­nen ver­schlüs­sel­ten USB-Stick mit den ge­sam­ten Ver­fah­rens­ak­ten. Es sind meh­re­re Gi­ga­byte. Das Pass­wort kommt per Fax.

Da­mit hat nicht nur Da­ni­el M. Ein­blick in die Pro­to­kol­le, in de­nen er De­tails über sei­ne Ar­beit für den Schwei­zer Nach­rich­ten­dienst preis­ge­ge­ben hat. Son­dern auch sei­ne Mit­be­schul­dig­ten. Da­zu zäh­len ne­ben Mauss und Dietl auch Tal H. Die Staats­schutz­ab­tei­lung der Bun­des­an­walt­schaft scheint kein Pro­blem dar­in zu se­hen, dass zwei der schil­lernds­ten deut­schen Ex-Agen­ten von Schwei­zer Ge­heim­ope­ra­tio­nen er­fah­ren. Und auch H., der Re­ser­ve­of­fi­zier ei­ner is­rae­li­schen Spe­zi­al­ein­heit.

Wer­ner Mauss hat für den Stick gu­te Ver­wen­dung. In Bo­chum droht ihm ei­ne An­kla­ge we­gen Steu­er­hin­ter­zie­hung. Aus­ge­rech­net bei der UBS (und an­de­ren Ban­ken) hat­te die Agen­ten­le­gen­de ein Mil­lio­nen­de­pot un­ter fal­schem Na­men an­ge­legt. Der 77-Jäh­ri­ge ver­tei­digt sich mit dem Ar­gu­ment, er ver­wal­te das Geld treu­hän­de­risch für Ge­heim­diens­te und ha­be es für Ope­ra­tio­nen ein­ge­setzt.

Er hat aber ein Pro­blem: Die Staats­an­walt­schaft glaubt ihm kein Wort.

Schwei­zer Stick in deut­schem Straf­ver­fah­ren

Mauss will ein ak­tu­el­les Bei­spiel ge­ben. Des­halb reicht er schon bald die In­for­ma­tio­nen vom Schwei­zer USB-Stick in sei­nem deut­schen Straf­ver­fah­ren ein. Sie sol­len be­wei­sen, dass er die Mil­lio­nen nicht un­ter Deck­na­men für sich sel­ber ge­hor­tet hat. Son­dern dass er - im Sin­ne sei­ner ge­hei­men, aber staat­li­chen Auf­trag­ge­ber - selbst­stän­dig gros­se Sum­men für Auf­trä­ge ein­set­zen konn­te.

Die Bo­chu­mer Er­mitt­ler stau­nen nicht schlecht, als sie die Aus­sa­gen von Da­ni­el M. le­sen. Ei­ne gross an­ge­leg­te Spio­na­ge­ak­ti­on der Schwei­zer in Deutsch­land, die Su­do­ku-Lis­te, ein Maul­wurf in der Steu­er­fahn­dung von Nord­rhein-West­fa­len, fünf Na­men von NDB-Mit­ar­bei­tern, ei­ne Ope­ra­ti­on ge­gen die Kol­le­gen von der Steu­er­fahn­dung, al­les auf dem Sil­ber­ta­blett ser­viert.

Die Ak­te geht an den Ge­ne­ral­bun­des­an­walt in Karls­ru­he, der für Nach­rich­ten­dienst zu­stän­dig ist. Dort ge­schieht et­was, was zu­vor auch in Bern pas­siert ist. Man ver­traut auf die An­ga­ben, die ein schil­lern­der Agent ge­macht hat. Die schwei­ze­ri­schen Straf­ver­fol­ger ha­ben lan­ge Mauss ver­traut, die deut­schen neh­men das für ba­re Mün­ze, was Da­ni­el M. im Ber­ner Ein­ver­nah­me­zen­trum preis­ge­ge­ben hat.

Die deut­schen Er­mitt­ler schrei­ben ei­nen Haft­be­fehl ge­gen den ge­bür­ti­gen So­lo­thur­ner. Dar­in über­neh­men sie fast wort­wört­lich des­sen Aus­sa­gen über die an­geb­li­che Maul­wurf-Ak­ti­on.

Frank­furt, Ho­tel Roo­mers

Am Frei­tag der vor­letz­ten Wo­che schnappt auch die­se Fal­le zu. Da­ni­el M. ist wie­der ein­mal dort­hin un­ter­wegs, wo das Un­heil sei­nen An­fang nahm, nach Frank­furt. Dort, im Ho­tel Roo­mers, wird er ver­haf­tet.

Nun gibt es bei der Ope­ra­ti­on Eis­wür­fel nur noch Ver­lie­rer. Ge­gen Da­ni­el M., Tal H., Wil­helm Dietl und Wer­ner Mauss er­mit­telt in Bern nach wie vor die Bun­des­an­walt­schaft. Doch die Staats­schutz­ab­tei­lung hat der­zeit an­de­re Pro­ble­me, Recht­fer­ti­gungs­pro­ble­me, weil sie das Auf­flie­gen der Schwei­zer Ge­heim­dienstope­ra­ti­on er­mög­licht hat. Da­mit hat sie nicht nur Da­ni­el M. ans Mes­ser ge­lie­fert; auch ei­ne Rei­he von NDB-Mit­ar­bei­tern ist un­be­kann­ten Ri­si­ken aus­ge­setzt.

Der Schwei­zer Staats­schutz steht mit ab­ge­säg­ten Ho­sen da. Für den Bun­des­rat, der die da­ma­li­ge Ge­heim­mis­si­on ge­stützt hat, ist die gan­ze Sa­che pein­lich.

Der gröss­te Ver­lie­rer aus der Ope­ra­ti­on Eis­wür­fel ist aber Da­ni­el M. Er sitzt zum zwei­ten Mal in Un­ter­su­chungs­haft. Die Be­din­gun­gen in Mann­heim sind har­scher als in Burg­dorf. Dort wird er er­neut viel über Wer­ner Mauss nach­den­ken, den er noch nie ge­trof­fen hat.

Mauss sel­ber hat es bis­lang we­nig ge­nützt, dass er die In­for­ma­tio­nen aus dem Stick aus Bern den deut­schen Straf­ver­fol­gern wei­ter­reich­te. Er steht in Bo­chum we­gen Ver­dachts auf Steu­er­hin­ter­zie­hung vor Ge­richt. Ihm droht ei­ne Ge­fäng­nis­stra­fe, Da­ni­el M. eben­so.

Die Chan­cen, dass sich die un­be­kann­ten Fein­de doch noch be­geg­nen, sind in­takt. Mög­li­cher­wei­se wer­den die bei­den in Deutsch­land auf­ein­an­der­tref­fen. Hin­ter Git­tern.

 

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