Spion Daniel M.: Der Einsatz war illegal

14. Mai 2017

Lukas Häuptli und Andreas Schmid, NZZ am Sonntag

Gutachter des Bundes hielten fest, es gebe keine Gesetzesgrundlage für Wirtschaftsspionage im Ausland. Trotzdem setzte der Geheimdienst Daniel M. als Agenten ein.

Es war im Herbst 2010, als der Steuerstreit zwischen der Schweiz und Deutschland zu eskalieren drohte. Bei der Credit Suisse und anderen Banken stahlen Mitarbeiter Daten mutmasslicher Steuerhinterzieher. Die CDs gelangten über Mittelsmänner zu deutschen Steuerfahndern. Und diese standen im Verdacht, zusammen mit dem deutschen Geheimdienst den Schweizer Bankenplatz auszuspionieren.

Da setzte sich der Bundesrat zum Ziel, auf die mutmassliche Spionage aus Deutschland mit Gegenspionage zu reagieren. Es gehe jetzt darum, «die Absichten ausländischer Staaten - auch diejenigen der befreundeten Nachbarländer - (. . .) aufzuklären, systematisch zu analysieren und zu werten». Zu diesem Zweck müsse das Mandat des Nachrichtendienstes des Bundes auf den «Schutz des Finanz-, Wirtschafts- und Technologieplatzes Schweiz» ausgeweitet werden. So steht es in einem Aussprachepapier vom 21. September 2010, das im Bundesrat diskutiert wurde.

«Gesetzesgrundlage genügt nicht»

Allerdings wurden im Bundesrat auch Vorbehalte laut. Es gebe für Einsätze des Schweizer Geheimdienstes zur Wirtschaftsspionage im Ausland gar keine gesetzliche Grundlage, sagten Regierungsmitglieder. Deshalb wurde das Bundesamt für Justiz beauftragt, die Rechtmässigkeit derartiger Einsätze in einem Gutachten abzuklären. Am 2. Dezember 2010 lag dieses vor. «Es bedarf für eine Mandatserweiterung, die dem Nachrichtendienst zusätzliche Ermittlungskompetenzen zuweist, um Machenschaften gegen die wirtschaftlichen Interessen des Landes frühzeitig ( . . .) aufzudecken, einer Änderung des zivilen Nachrichtendienstgesetzes», heisst es im vertraulichen Gutachten.

Und: «Im Ergebnis teilen wir (. . .) die im Aussprachepapier vertretene Auffassung, wonach die geltende Gesetzesgrundlage nicht genügt, um den Auslandnachrichtendienst zu befähigen, die wirtschaftlichen Interessen der Schweiz mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu schützen.» Mit anderen Worten: Gemäss Gutachten waren Einsätze des Nachrichtendienstes zu wirtschaftlichen Zwecken im Ausland illegal.

Umso überraschender ist es, dass der Schweizer Geheimdienst ein paar Monate später genau eine solche Wirtschaftsspionage in die Wege leitete. Vermutlich in der zweiten Hälfte des Jahres 2011 erteilte der Nachrichtendienst des Bundes dem Zürcher Privatermittler Daniel M. nämlich den Auftrag, in Deutschland geheime Informationen zu beschaffen. Einerseits sollte er nicht öffentliche Daten zu deutschen Steuerfahndern ermitteln, unter anderem deren Namen, Wohn- und Büroadressen sowie Autonummern.

Noch brisanter war der zweite Auftrag des Schweizer Geheimdienstes an Daniel M.: «Der Nachrichtendienst trat erneut auf mich zu und fragte mich, ob es möglich wäre, eine Quelle in der Steuerfahndung in Nordrhein-Westfalen einzupflanzen und (. . .) von derselben direkt Informationen zu erhalten, wie die Behörde aufgestellt ist, wer informiert ist und wie sie weiter vorgeht. Ich habe diesen Auftrag angenommen.» Das sagte der Privatermittler am 2. Februar 2015 in einer Einvernahme der Bundesanwaltschaft, die in einem anderen Zusammenhang ein Strafverfahren gegen ihn eröffnet hatte.

Bei der Bundesanwaltschaft gab Daniel M. auch an, er habe in der Zwischenzeit von der «eingepflanzten» Quelle in Deutschland einen ersten Bericht erhalten. Darauf habe ihm der Nachrichtendienst 60,000 - von insgesamt vereinbarten 90,000 - Franken ausbezahlt.

Markus Seiler, Direktor des Nachrichtendienstes des Bundes, will sich zu all dem mit Verweis auf das «laufende Verfahren» nicht äussern, wie eine Sprecherin festhält. Dafür tat Seiler seine Meinung zum Fall vor zehn Tagen kund.

In einem Schreiben an den grünen Nationalrat Balthasar Glättli verwies er auf das vertrauliche Gutachten des Bundesamts für Justiz von 2010 und zitierte daraus den folgenden Satz: «Dem Inlandnachrichtendienst steht ein weites Betätigungsfeld offen, soweit es darum geht, Aktivitäten in der Schweiz frühzeitig zu erkennen und aufzudecken, die Züge des verbotenen wirtschaftlichen Nachrichtendienstes aufweisen; nach geltender Rechtslage besteht dafür eine genügende gesetzliche Grundlage.»

Das steht tatsächlich im Gutachten. Nur betrifft diese Passage Aktivitäten des Schweizer Geheimdienstes im Inland und nicht - wie im Fall von Daniel M. - im Ausland. Diese erachtet das Bundesamt für Justiz nämlich wie eingangs erwähnt als unrechtmässig.

«Bewusst in die Irre führen»

Täuschte der Chef des Nachrichtendienstes damit den Parlamentarier? Seiler will dazu nichts sagen, Glättli aber erklärt: «Herr Seiler wollte mich offensichtlich bewusst in die Irre führen.» Was Daniel M. im Auftrag des Nachrichtendienstes und im Wissen von Bundesrat und parlamentarischer Aufsicht in Deutschland gemacht habe, sei aus seiner Sicht klar illegal. Und er fügt an: «Die neuste Entwicklung ist ein weiteres Argument dafür, eine parlamentarische Untersuchungskommission einzusetzen.»

Zurzeit untersuchen mehrere Stellen den Fall, nämlich die Geschäftsprüfungsdelegation und die Geschäftsprüfungskommissionen des Parlaments sowie die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft. Diese geht unter anderem der Frage nach, warum die Bundesanwaltschaft Informationen über Daniel M. an deutsche Beschuldigte weitergab.

Diese Angaben führten dazu, dass die deutsche Bundesanwaltschaft den Zürcher Ermittler vor rund zwei Wochen wegen «geheimdienstlicher Agententätigkeit» verhaftete. Seither sitzt Daniel M. in Untersuchungshaft.

Auch für die USA im Einsatz?

Neben seinen langjährigen Anstellungen bei der Stadtpolizei Zürich und beim Sicherheitsdienst der UBS arbeitete Daniel M. angeblich auch für die Drug Enforcement Administration der USA. Die Drogenermittlungs-Behörde gehört zum amerikanischen Justizdepartement. Vor der Jahrtausendwende sei Daniel M. als Geheimagent für die US-Behörde in Südamerika unterwegs gewesen, sagt Klaus-Dieter Matschke.

Er führt in Frankfurt ein Büro für Ermittlungen und arbeitete mit Daniel M. zusammen. Matschke will wissen, dass der Schweizer als Drogenfahnder äusserst erfolgreich gewesen und in heiklen Fällen eingesetzt worden sei. Später habe der Privatermittler auch in Miami im Kampf gegen Drogenbanden gewirkt. Als Polizist sammelte der heute 54-Jährige in Zürich Erfahrung in der Drogenfahndung; dies bestätigen Insider.

Geschäftspartner Matschke sagt, er habe rund fünf Jahre lang mit Daniel M. zusammengearbeitet. Dieser habe sich selber angedient. Er habe ihn aufgrund der Biografie als interessanten Mitarbeiter für internationale Ermittlungen gehalten. «Daniel M. war stets zuverlässig, ein sympathischer und netter Kerl», sagt Matschke.

Er sei davon ausgegangen, der Schweizer habe ein Mandat der UBS sowie von anderen Schweizer Banken. «Daniel M. verwendete nie einen Decknamen», sagt Matschke. Das sei in derart heiklen Fällen, wie sie der Schweizer offensichtlich für den Geheimdienst betreut habe, äusserst ungewöhnlich.

 

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