Statistik-Amt erhält heikle Daten

10. Juni 2013

Von Markus Brotschi, Tages-Anzeiger

Die kantonalen Datenschützer schlagen Alarm: Das Bundesamt für Statistik verwendet die AHV-Nummer zur Erstellung von Lohnstatistiken - und könnte so auf die Namen von Arbeitnehmern zugreifen.

Das Bundesamt für Statistik (BFS) führt alle zwei Jahre Lohnumfragen bei 49 000 Unternehmen durch. Insgesamt ermittelt es die Gehälter von 1,9 Millionen Arbeitnehmern, um die Lohnstruktur in der Schweizer Wirtschaft zu verfolgen. Bisher waren diese Erhebungen aus Sicht des Datenschutzes unproblematisch, denn die Arbeitgeber lieferten dem BFS die Zahlen ohne spezifische Hinweise auf einzelne Personen. Doch seit diesem Jahr ist das anders: Neu verlangen die Statistiker von den Unternehmen die AHV-Nummern der Angestellten, und damit lassen sich die einzelnen Arbeitnehmer identifizieren.

Bruno Baeriswyl, Präsident der Vereinigung der schweizerischen Datenschutzbeauftragten, hält die Verwendung von Sozialversicherungsnummern zu statistischen Zwecken «für sehr problematisch», denn «dadurch wird die statistische Erhebung entanonymisiert». Aus Sicht der kantonalen Datenschützer sei dies «faktisch das Ende des Statistikgeheimnisses», sagt Baeriswyl.

Das BFS begründet die Erhebung der AHV-Nummer mit der administrativen Entlastung der Unternehmen. Bisher hätten diese die zentralen Merkmale der Angestellten wie Geschlecht, Zivilstand, Alter und Nationalität in der Umfrage angeben müssen. Mit der AHV-Nummer könne das BFS diese Angaben nun selber einholen. Das Bundesamt nimmt Zugriff auf die kantonalen und kommunalen Einwohnerregister. Allerdings - und das ist aus datenschützerischer Sicht bedenklich - ersieht das BFS mittels der AHV-Nummer auch die Namen. Theoretisch wäre es dem Bundesamt nun möglich, die Lohnentwicklung von zwei Millionen Arbeitnehmern zu verfolgen.

«Potenzial für Fichenaffäre»

Thomas Landolt weigert sich deshalb seit diesem Jahr, bei der Lohnstrukturerhebung mitzumachen. Für den Mitinhaber eines Consultingbüros im zugerischen Hünenberg birgt das Vorgehen des BFS enorme Gefahren. Landolt ortet «das Potenzial für eine neue Fichenaffäre». Auch wenn das BFS beteuere, an den Namen nicht interessiert zu sein, erhalte es über die AHV-Nummern Zugriff auf Namen, die es gar nicht brauche. Falls aus irgendwelchen Gründen einmal die Namen nicht herausgefiltert werden, könnte das BFS plötzlich im Besitz personifizierter Lohnlisten sein, die in falsche Hände geraten. Die administrative Erleichterung hält Landolt bloss für einen Vorwand.

Das BFS teilte Landolt mit, er könne auf die Angabe der AHV-Nummer verzichten und dieses Jahr an der Lohnumfrage nach altem Muster teilnehmen. Das Bundesamt hält die datenschützerischen Bedenken aber für unbegründet. Die meisten Firmen hätten die AHV-Nummern bei der neuen Umfrage angegeben. «Wir wollen und brauchen die Namen für die Statistik nicht», sagt Didier Froidevaux, zuständiger BFS-Sektionsleiter. «Die Namen werden gelöscht, und die AHV-Nummer wird pseudonymisiert, also in einen statistischen Identifikator verschlüsselt.»

Datenschützer Baeriswyl hält dies jedoch für ungenügend, da die Pseudonymisierung nicht sicherstelle, dass die AHV-Nummer nicht wieder rückverwandelt und damit die Identität des Einzelnen festgestellt werden könne. Beunruhigend sei zudem, dass das BFS künftig bei allen Erhebungen von Personendaten die AHV-Nummer verwenden will. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit schafft das Innendepartement von Alain Berset zurzeit mit einer Verordnungsänderung die rechtliche Grundlage. Die kantonalen Datenschützer wurden dazu nicht befragt, was für Baeriswyl unverständlich ist. «Denn da werden doch offensichtlich verschiedenste datenschutzrechtliche Aspekte berührt.»

Keine Bedenken bei Thür

Im Büro des eidgenössischen Datenschützers Hanspeter Thür gibt es hingegen keine Bedenken gegenüber der Verwendung der AHV-Nummer, da das BFS die Personenbezeichnung vernichte und aufgrund der Statistik keine Personen erkennbar seien. In einer schriftlichen Antwort an Landolt weist eine Mitarbeiterin Thürs sogar auf die Vorteile der Erhebung mit der AHV-Nummer hin. Künftig könne das BFS «lange Zeitreihen» erstellen, sprich: die Lohnentwicklung einzelner Personen über die Jahre hinweg verfolgen.

Noch 2006 verfasste Thür zusammen mit den kantonalen Datenschützern eine besorgte Stellungnahme zur Verwendung der neuen AHV-Nummer als genereller Personenidentifikator. «Flächendeckende Auswertungen werden ermöglicht, und der gläserne Bürger rückt in greifbare Nähe», heisst es in der Stellungnahme von 2006.

Seit 2008 gilt die neue AHV-Nummer. Sie wurde auch aus Datenschutzgründen eingeführt, weil aus der alten Nummer Geburtstag, Geschlecht und Anfangsbuchstaben des Namens direkt ablesbar waren. Dies ist mit der neuen Nummer nicht mehr möglich. Sie wird innerhalb der Verwaltung immer häufiger als Personenidentifikator verwendet, unter anderem auch auf der Krankenversicherungskarte.

 

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