Im Falle eines wegen sexuellen Missbrauchs verdächtigten Priesters soll die Schweiz das Recht auf ein faires Verfahren verletzt haben. Das hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof entschieden.
Die Schweiz hat im Falle eines katholischen Priesters, der des sexuellen Missbrauchs von Abhängigen verdächtigt war, das Recht auf ein faires Verfahren nach Europäischer Menschenrechtskonvention verletzt. Die Schweiz muss dem Priester Schmerzensgeld zahlen und einen Teil der Verfahrenskosten übernehmen.
Der Priester war Anfang 2008 vom damaligen Offizial des Bistums Lausanne-Genf-Freiburg wegen Verdachts auf Pädophilie bei der Genfer Justiz angezeigt worden. Dabei ging es um Hinweise, wonach zwei Personen von einem Angehörigen der Kirche sexuell missbraucht worden waren.
Die Untersuchungen leitete der Genfer Generalstaatsanwalt Daniel Zappelli. Der Priester wurde der sexuellen Nötigung, der Vergewaltigung und sexueller Handlungen mit Abhängigen verdächtigt.
Die Untersuchungsbehörden waren im Besitz der Aussagen der zwei angeblichen Opfer, wie dem Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs zu entnehmen ist. Der Priester bestritt die Vorwürfe wiederholt, bestätigte sie dann aber bei einer Einvernahme ohne seinen Anwalt, um das Geständnis zwei Tage später wieder zurückzuziehen.
Verfahren wegen Verjährung eingestellt
Da die dem Priester vorgeworfenen Handlungen verjährt waren, wurde das Verfahren eingestellt. In der Einstellungsverfügung hielt der Staatsanwalt fest, dass der Priester die Not der Opfer missbraucht habe, dass er «schamlos» von deren Abhängigkeit profitiert und die ihm vorgeworfenen Taten begangen habe.
Die Einstellungsverfügung und Anschuldigungen wurden von den Medien aufgegriffen. Zudem wurden sie wiederholt im kircheninternen Verfahren gegen den Priester zitiert. 2011 wurde der Mann nach Kirchenrecht verurteilt. Das Urteil wurde 2013 durch die Kongregation, in welcher er Mitglied war, aufgehoben. Zuvor hatte das Arbeitsgericht die katholische Kirche zu einer Genugtuungszahlung von einem Franken verurteilt.
Neue Version der Verfügung
Der Priester hatte seit der Einstellungsverfügung gerichtlich eine redigierte Version derselben verlangt und begründete dies mit der Unschuldsvermutung, die bis zu einer Verurteilung gelte. Doch auch das Bundesgericht lehnte seine Beschwerde ab. Um eine Verjährung festzustellen, müssten die möglichen strafrechtlichen Vergehen abgeklärt werden, hielt das Bundesgericht 2009 fest. Die Verfügung enthalte nichts, was über die Begründung der Einstellung des Verfahrens gehe.
Wegen Verletzung des Absatzes zwei, der Unschuldsvermutung «bis zum gesetzlichen Beweis der Schuld», von Artikel sechs der Europäischen Menschenrechtskonvention gelangte der Priester schliesslich nach Strassburg.
Recht auf faires Verfahren verletzt
Der Gerichtshof hielt in seinem Urteil fest, dass das Recht auf die Unschuldsvermutung verletzt sei, wenn eine offizielle Erklärung das Gefühl wiedergebe, dass ein Beschuldigter schuldig sei, ohne dass seine Schuld vorab rechtlich bewiesen wurde. Hingegen sei der Beschrieb von Verdachtsmomenten zulässig.
Es bestehe ein fundamentaler Unterschied zwischen der Feststellung, dass jemand verdächtigt werde und der Feststellung, das jemand die Taten begangen habe, wenn keine Verurteilung vorliege. Die Formulierungen in der Verfügung des Genfer Staatsanwalts liessen keine Zweifel an dessen Meinung offen.
Die Veröffentlichung der Einstellungsverfügung in dieser Form habe dem Ruf des Mannes geschadet. Der Menschenrechtsgerichtshof verurteilte die Schweiz zu einer Genugtuung von 14'400 Franken. Zudem muss sie einen Teil der Verfahrenskosten in Höhe von 18'000 Franken übernehmen.
(Urteil 60101/09 vom 28.10.2014)
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