Initiative «Für eine transparente / bürgerfreundliche Polizei»
c/o Rechtsanwalt Marco Noli
Rottmannstr.11a, 80333 München
Germany
Office of the Commissioner for Human Rights
Council of Europe
F-67075 Strasbourg Cedex
FRANCE
München, 15.03.2013
Fehlende unabhängige Kontrolle von Polizeigewalt in Deutschland
Fehlende Individualisierbarkeit von Polizeibeamtinnen/-en
Sehr geehrter Herr Menschenrechtskommissar Nils Muižnieks,
die Initiative «Für eine transparente/bürgerfreundliche Polizei» ist ein Zusammenschluss von Einzelpersonen und Gruppen. Sie fordert insbesondere die Einführung einer individuellen Kennzeichnung für alle uniformierten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten und wirbt für möglichst viele Unterstützer dieser Forderung. Das Positionspapier und die Unterstützerliste haben wir in der Anlage beigefügt. Weitergehende Informationen unter www.transparente-polizei.de.
Die jahrelange unveränderte Praxis und gravierende aktuelle Fälle haben uns veranlasst, Sie mit diesem Schreiben auf einen Missstand in Deutschland aufmerksam zu machen. Noch immer gibt es keinerlei effektive externe und unabhängige Kontrollinstanzen beim Vorwurf rechtswidriger Polizeigewalt, die die Erfordernisse der EU-Antifolterkonvention und der CPT-Standards erfüllen. Hierauf hatte insbesondere auch Ihr Vorgänger Menschenrechtskommissar Thomas Hammarberg in der Vergangenheit bereits mehrmals hingewiesen.
Die politischen Parteien haben auf Bundes- und Landesebene noch immer keinerlei gesetzliche Grundlage für unabhängige Ermittlungen, z.B. Durch Einrichtung einer externen Ermittlungsbehörde oder einer Polizeikommission, geschaffen.
Auch die - rechtsstaatlich gebotene - individuelle Kennzeichnung von uniformierten Polizeibeamten/-innen ist bislang lediglich in zwei der sechzehn Bundesländer eingeführt worden und ist auch dort zum Teil noch verbesserungswürdig. Es gibt bspw. Berichte darüber, dass Polizeieinheiten in Berlin die Kennzeichnung dadurch unterlaufen, dass sie lediglich T-Shirts tragen, weil auf diesen, anders als auf der Einsatzuniform, keine individuelle Kennzeichnung angebracht ist. Die Individualisierbarkeit ist jedoch eine Vorbedingung für die Durchführung effektiver Ermittlungsverfahren bei Vorwürfen wegen Misshandlung oder unverhältnismässiger Gewaltanwendung durch Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte.
Die Polizeigewerkschaften in Deutschland sprechen sich vehement gegen jegliche Kontrollinstrumente, wie individuelle Kennzeichnung und unabhängige Ermittlungen aus. Dies vermittelt dem Bürger den Eindruck, bei der Polizei herrsche eine Kultur der Straflosigkeit und der Vertuschung.
Zudem gab es in der letzten Zeit - insbesondere im Bundesland Bayern - einige Fälle von Polizeigewalt, die Schlagzeilen machten. Beispielhaft haben wir in der Anlage eine - nicht abschliessende - Fallliste samt jeweiliger Presseartikel beigefügt.
In diesen Fällen gab es die Gemeinsamkeiten, dass es keine externen unabhängigen Ermittler gab, sondern die Polizei ermittelte gegen sich selbst (bzw. hätte dies zumindest tun sollen). In manchen Fällen ermittelte gar dieselbe Polizeieinheit vor Ort, meist eine Polizeieinheit innerhalb des selben Präsidiums. Die fehlende Kennzeichnung von uniformierten und behelmten Polizeibeamten führte in einigen der aufgeführten Fälle dazu, dass Polizeibeamte nicht individualisierbar waren und daher Straftaten nicht aufgeklärt werden konnten.
Nach starker öffentlicher Kritik sah auch der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann im März 2012 Handlungsbedarf. Für das Bundesland Bayern waren nun zwei zentrale Stellen in München (für Bayern-Süd) und Nürnberg (für Bayern-Nord) für die internen Ermittlungen zuständig, allerdings nur für geringe und mittlere Tatvorwürfe. Bei gravierenden Gewaltvorwürfen und Tötungsdelikten sollten weiterhin die normalen Fachdezernate der Kriminalpolizei zuständig sein.
Dass es sich dabei lediglich um eine «Beruhigungspille» ohne Wirkstoff handelte, wurde spätestens klar, als es den ersten aufsehenerregenden Fall in der Stadt München gab (Januar 2013: Faustschläge gegen Kopf einer jungen Frau in Polizeizelle), und die Münchner Polizisten gegen die Kollegen aus demselben Polizeipräsidium München ermitteln sollten. Die Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Ermittlungen wurden dadurch bestätigt, dass sich auch noch der Münchner Polizeipräsident Schmidbauer, also der Chef sowohl der beschuldigten als auch der ermittelnden Beamten, einschaltete und in
einem Interview öffentlich vor die beschuldigten Beamten und gegen das Opfer stellte. Nach erneut heftiger Kritik in der Öffentlichkeit sprach nun auch der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann von einer „Besorgnis der Befangenheit“ und reagierte damit, die Münchner Ermittler förmlich dem Bayerischen Landeskriminalamt, einer anderen Landespolizeibehörde, zu unterstellen - die ihren Sitz freilich auch in München hat. Zum grössten Teil handelt es sich um die selben Beamten, die zuvor auch ermittelten. Der Bayerische Innenminister, der Dienstvorgesetzte aller Landespolizeibehörden, versäumte es auch nicht, in einer Landtagsdebatte persönlich die junge Frau, die Opfer polizeilicher Gewalt wurde, in Misskredit zu bringen. Er gab damit einen weiteren Beleg für die Parteilichkeit und Voreingenommenheit von Ermittlungen, wenn diese aus dem Polizeiapparat heraus vorgenommen werden.
Unabhängige und wirksame Ermittlungen nach den Kriterien der CAT, der CPT und der Rechtsprechung des EGMR fanden in allen genannten Fällen nicht statt und finden auch in allen sonstigen Fällen bei Misshandlungsvorwürfen nicht statt.
Auch die Umstrukturierung innerhalb des bayerischen Polizeiapparates, nämlich die Zuordnung der internen Ermittlungen an das Landeskriminalamt genügt daher den völkerrechtlichen Anforderungen an unparteiische und unabhängige Ermittlungen bei weitem nicht.
Der Bayerische Innenminister verweist darauf, dass die Unabhängigkeit dadurch gewährleistet sei, dass letztendlich die Staatsanwaltschaft die „Herrin des Verfahrens“ sei. Diese Argumentation geht jedoch fehl, weil trotzdem faktisch die Ermittlungen durch die Polizei durchgeführt werden - und nicht etwa durch die Staatsanwaltschaft mit eigenen Ermittlungspersonen ohne Beteiligung der Polizei. Die Staatsanwaltschaft verfügt gar nicht über die entsprechenden Ressourcen. In vielen Fällen ist daher tatsächlich die Polizei „die Herrin des Verfahrens“ und nicht die Staatsanwaltschaft. Oftmals wird die Staatsanwaltschaft auch erst zu einem sehr späten Zeitpunkt überhaupt erst eingeschaltet, je nachdem wann der Fall durch die Polizei weitergegeben wird. Häufig bekommt dann die Staatsanwaltschaft bereits einen fertigen „Abschlussbericht“ auf den Tisch, er wird also mit der Sache befasst, wenn die wichtigsten Ermittlungen bereits vorüber sind. Und schliesslich bestehen auch Zweifel daran, ob die Staatsanwaltschaften, die am jeweiligen Tatort ansässig und zuständig sind, überhaupt unbefangen sein können, wenn Sie gegen die Polizeibeamten ermitteln sollen, die in allen anderen Fällen die Ermittlungsarbeit erledigen und als glaubwürdige Belastungszeugen dienen sollen.
Deutschland verstösst mit dieser Praxis daher - auch weiterhin - gegen Völkerrecht und gegen menschenrechtliche Vorschriften.
Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass sich bis zum heutigen Tag an diesem Missstand nichts geändert hat. Und der Bayerische Innenminister hat in seiner Presseerklärung vom 28.02.2013 (Anlage) bekräftigt, dass sich auch in Zukunft daran nichts ändern wird: „Kein Bundesland plant derzeit, etwas daran zu ändern.“
Wir bitten Sie daher, diesbezüglich Ermittlungen durchzuführen und die Bundesrepublik Deutschland bzw. die politischen Entscheidungsträger aufzufordern, ihren völkerrechtlichen und menschenrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen.
Für Rückfragen stehen wir zur Verfügung. Sollten Sie noch weitergehende Informationen oder Unterlagen benötigen, können Sie sich gerne an uns wenden. Wir bitten Sie auch höflichst um Information über den Fortgang Ihrer Prüfungen, den Verlauf der von Ihnen veranlassten Aktivitäten und die diesbezüglichen Ergebnisse.
Mit freundlichen Grüssen
Marco Noli
Sprecher der Initiative
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