Codewort «Brot backen» - wie die Schweizer IS-Zelle kommunizierte

29. Dezember 2014

Tages-Anzeiger

Terroristen in der Schweiz planten mit Codewörtern einen Anschlag. Davon ist die Bundesanwaltschaft überzeugt.

Nette Töne werden angeschlagen, mit Worten wie «mein lieber Bruder» oder «mein gläubiger Freund». Zwei alte Bekannte, so scheint es, tauschen sich auf Facebook über dieses und jenes aus. Einer der beiden ist nach Europa geflüchtet und im nördlichsten Zipfel der Schweiz gelandet, der andere befindet sich wohl in Syrien, wo einer der grausamsten Kriege des jungen Jahrhunderts tobt. Die Konversation der Iraker dreht sich um Herausforderungen fernab von Tod und Verwüstung, zumindest vordergründig. Bisweilen macht die Konversation - wenigstens für Aussenstehende - keinen Sinn. Es fehlt manchmal an Zusammenhängen, an Logik.

Wie aus dem Nichts tauchen Themen auf, zu denen der Mann in Beringen bei Schaffhausen keinen Bezug hat. So ist die Rede von Backwaren, die bald zubereitet werden müssten. Osama M., der von der Schweiz anerkannte Asylbewerber, kriegsversehrt im Rollstuhl, backt nicht und geht keiner Arbeit nach. Schaffhauser Bäckereien kennt er höchstens als Kunde. Seinen Dialogpartner dürfte die Backkunst in der Nordschweiz wenig interessieren. Er hat andere Probleme. Er ist - so zeigt sich die Bundesanwaltschaft in Justizunterlagen überzeugt - «ein Führungsmitglied der Isis in Syrien». Isis ist jene Terrortruppe, die heute als Islamischer Staat (IS) in Syrien und im Irak mordet.

USA fingen Dialoge ab

Und doch drehen sich Facebook-Dialoge, die Ermittler Osama M. und dem angeblichen IS-Führer zuordnen, immer wieder um Backwaren. «Finde eine Bäckerei (an deinem Ort), die es machen kann», heisst es beispielsweise, «dann kann ich es zur Sprache bringen.» Oder: «Lieber Bruder, du weisst, wenn ich Brot backen gehe, brauche ich viele Zutaten.» Solche Dialoge hat ein US-Nachrichtendienst, vermutlich die National Security Agency (NSA), abgefangen. Die Amerikaner haben die Schweizer Sicherheitsbehörden alarmiert. Wegen solcher Dialoge sitzen Osama M. und zwei seiner Landsleute seit vergangenem März in und um Bern in Untersuchungshaft.

Auf den drei Männern aus der Millionenstadt Mosul lastet ein schwerer Verdacht: Das Trio soll eine Schweizer Zelle des IS gebildet haben. Doch über die Vorhaben der mutmasslichen Terroristen ist bislang kaum etwas publik geworden. Die Bundesanwaltschaft hat einzig kommuniziert, sie habe «einen Anschlag in Europa vereitelt». Es wäre das erste IS-Attentat auf dem Kontinent geworden.

Schwerer Verdacht

Nun zeigen Recherchen, weshalb der schwere Verdacht besteht - und wie schwierig er zu erhärten ist. Erste Ermittlungen hatten ernüchternde Ergebnisse gebracht. Am 21. März 2014 hatten Sonderpolizisten die Neubauwohnung von Osama M. in Beringen gestürmt. Durchsucht wurde auch eine Wohnung im Ostaargau, in der ein mutmasslicher Komplize mit seiner hochschwangeren Frau lebte.

Doch nirgends fanden sich Gegenstände, welche auf einen bevorstehenden Terrorakt hindeuteten. Besonderes Interesse galt einem Datenträger, den der Verdächtige aus dem Aargau unmittelbar vor der Verhaftung aus der Südtürkei mitgebracht hatte. Die forensische Auswertung verlief für die Ermittler enttäuschend: Auf dem Speicher fanden sich keine Bombenpläne, sondern Passfotos.

Die Kriminalisten konzentrieren sich seither - mangels anderer Spuren - auf die elektronische Kommunikation, die ihre Verdachtsmomente erhärten soll. Viele Megabytes mit Internetdialogen zwischen den Verdächtigen aus der Schweiz und ihren Kontakten in West- und Nordeuropa und im Raum Irak-Syrien-Türkei werden gesichtet und aus dem Arabischen übersetzt. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren und stocken trotzdem immer wieder. Noch längst nicht alle gewünschten Facebook-Informationen stehen der Bundeskriminalpolizei zur Verfügung. Trotz einer neuartigen engen Kooperation mit der US-Bundespolizei FBI nimmt die Rechtshilfe der USA viel Zeit in Anspruch.

Codierte Dialoge

Für die schweizerisch-amerikanischen Ermittler steht aber eines jetzt schon fest: Die Verdächtigen haben mit IS-Kadern in codierter Sprache einen Anschlagsplan vorangetrieben. Doch wie lässt sich das beweisen, wenn es ausser den mehrdeutigen Dialogen höchstens spärliche Indizien gibt? Die Bundesanwaltschaft hat zu einem Mittel gegriffen, das bereits in vielen US-Terrorprozessen gewirkt hat. Sie hat den privaten New Yorker Islamismusforscher Evan Kohlmann als Sachverständigen geladen. Dies zum Entsetzen der Strafverteidiger der drei Iraker.

«Es ist höchst bezeichnend», sagt einer der Berner Anwälte, «dass die Bundesanwaltschaft die Hilfe eines umstrittenen, selbst ernannten Terrorexperten in Anspruch nimmt, der für die USA in mehreren der berüchtigten und menschenrechtswidrigen Guantánamo-Militärverfahren für die Anklage aufgetreten ist.» Bezeichnend sei dies für die schwache Untermauerung der Vorwürfe an die mutmassliche Schweizer IS-Zelle.

«Schuldspruch-Industrie»

Kohlmann gilt als der gefragteste Terrorismusexperte der amerikanischen Anklagebehörden und als der umstrittenste - und dies nicht nur, weil er nicht Arabisch spricht. «Evan ist erfolgreich, weil er der Beste ist auf diesem speziellen Gebiet», wird der norwegische Terrorforscher Thomas Hegghammer im «New York Magazine» zitiert.

Das Heft hat der «Terroristen-Suchmaschine» Kohlmann ein ausführliches Porträt gewidmet. Darin sagt der anerkannte schwedische Islamismusexperte Magnus Ranstorp: «Kein seriöser Akademiker würde je (. . .) mit solchen Generalisierungen und - offen gesagt - Hokuspokus-Analyse Zeugnis ablegen. Es braucht ungefähr dreissig Sekunden, um zu erkennen, dass Kohlmann im Gericht Schrott-Wissenschaft produziert.» Ähnlich vernichtend äussern sich andere renommierte Forscher. Für sie ist Kohlmann Teil einer «Schuldspruch-Industrie», «gewachsen in einer Hydrokultur im Keller von Bushs Justizdepartement».

Auf den Vorwurf angesprochen, er vermittle akademischen Abfall, entgegnet Kohlmann gegenüber dem TA: «Meine Berichte sind sorgfältig zusammengestellt, und sie beruhen auf einzigartigem Zugang zu Kommunikationskanälen von Terroristen.» Es gehe «um Fakten, nicht um Interpretationen oder gar Spekulationen». Darauf vertraut auch die Bundesanwaltschaft, und sie ist bislang nicht enttäuscht worden.

Im Juni hat sie Kohlmann beauftragt, Wörter aus den Facebook-Dialogen wie «Brot backen», «Bäckerei», «Wassermelonen» oder «Firma» zu decodieren. In wenigen Wochen hat Kohlmann einen «Expert Report 1» verfasst, der dem TA vorliegt. Über weite Strecken des zehnseitigen Papiers beschreibt der TV-Experte und Buchautor, in welchen Prozessen er bereits Zeugnis abgelegt hat. Es ist eine eindrückliche Liste für einen 35-Jährigen mit über 40 Terrorverfahren, die meisten in den USA, aber auch in Bosnien, Australien oder eben Guantánamo.

«Wassermelonen» als Waffen

Auch im ersten Schweizer IS-Verfahren ist auf Kohlmann Verlass. Zwar beschränken sich seine Ausführungen zum konkreten Fall auf eine halbe Seite am Schluss seines Gutachtens, doch seinen Schlüssen mangelt es nicht an Deutlichkeit. Sofern ein Gericht die weitreichenden Interpretationen teilt, könnten sie den Beschuldigten lange Haftstrafen eintragen. «Ich glaube, dass ‹Brot backen› ein Euphemismus ist für einen Sprengkörper herstellen», schreibt Kohlmann. «Ich hege stark den Verdacht, dass ‹Wassermelonen› eine andere Bezeichnung ist für Waffen.» Terroristen hätten auch schon in früheren Fällen statt Sprengstoff «Früchte und Gemüse» gesagt.

Der Rechtsvertreter des Hauptbeschuldigten Osama M. hat beantragt, Kohlmann wegen Befangenheit vom Verfahren auszuschliessen: Da dieser den Lebensunterhalt durch Aussagen in US-Terrorverfahren verdiene, sei es «nicht wahrscheinlich, dass er eine objektive und allenfalls kritische Haltung gegenüber generellen Verdächtigungen und Mutmassungen anbringe». Das Bundes­strafgericht hat den Antrag abgewiesen.

Untersuchungshaft verlängert

So ist es Ende September in Bern zu einem ersten Showdown zwischen den Terrorverdächtigen und Kohlmann gekommen. Der New Yorker war auf Einladung der Bundesanwaltschaft zur Aussage angereist. Über den Sommer waren zusätzlich Facebook-Dialoge aufgetaucht, in denen Verdächtige das Wort «Spital» benutzten. Für Kohlmann war sofort klar, dass es auch hier um Terrorpläne ging, aber die Verteidiger nahmen den Experten ins Kreuzverhör. Es kam zu einer hitzigen Befragung, die hier gekürzt wiedergegeben wird.

Verteidigung: In welchem Zusammenhang haben Sie in Ihrer langjährigen Arbeit den Begriff «Spital» gesehen?

 

Kohlmann: «Medical care» oder «medicine» wurden als Ersatzwort gebraucht.

Verteidigung: In welchem Zusammenhang haben Sie «Spital» gehört?

Kohlmann: Ich habe das Wort als solches so noch nicht gehört, aber «medicine» oder «medication» habe ich gehört. Es war im Kontext von Chemikalien oder anderen Komponenten von Waffen, entweder Sprengstoff oder Schusswaffen.

Verteidigung: In welchem Verfahren?

Kohlmann: Ich erinnere mich spontan nicht an die einzelnen Prozesse.

Gemäss unabhängigen Strafjuristen würden die decodierten Dialoge allein nie für eine Verurteilung wegen Zugehörigkeit zu einer Terrororganisation und Planung eines Anschlags reichen. Trotzdem hat das Berner Zwangsmassnahmengericht vor wenigen Tagen die Untersuchungshaft der Beschuldigten um drei Monate verlängert. Es verdächtigt das Trio weiterhin dringend der vorgeworfenen Taten. Eine grosse ungelöste Frage im Verfahren bleibt: Wer ist der Partner von Osama M. in den «Bäckerei»-Dialogen? Kohlmann wurde gefragt, ob er einen IS-Führer mit dem Namen kenne, den die Bundesanwaltschaft genannt hat. Seine Antwort: «Nein.»

 

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