Datenkraken in den USA und in der Schweiz

8. Juni 2012

Das ausufernde Sammeln von Telefondaten durch den amerikanischen Geheimdienst NSA ist schon seit vielen Jahren ein kontroverses Thema. Bereits nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 erfasste die NSA die Verbindungsdaten sämtlicher Telefongespräche in den USA. Dies wurde erst fünf Jahre später bekannt. US-Medien berichteten danach über das Thema regelmässig, und auch im Kongress und von Bürgerrechtlern wurde es ausführlich diskutiert.

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Mitte Mai 2013 setzte sich der Systemadministrator Edward Snowden, welcher von «Booz Allen Hamilton» angestellt war und für die NSA auf Hawaii gearbeitet hatte, mit brisanten Unterlagen im Gepäck nach Hong Kong ab, wo er britische und amerikanische Medien kontaktierte. Am 5. Juni 2013 enthüllte der «Guardian», dass ein Gericht eine Verfügung der NSA bestätigt habe, welche den Telefonanbieter «Verizon» verpflichtet, detaillierte Informationen über alle Telefonate innerhalb der USA und zwischen den USA und dem Ausland an die Behörde weiterzugeben. Weltweit war die Empörung gross, vor allem, nachdem kurz darauf bekannt wurde, dass alle grossen Telefonanbieter der USA jeden Tag sämtliche Verbindungsdaten an die NSA abliefern müssen. Die NSA stellt jeweils Verfügungen aus, welche drei Monate gültig sind, und alle Telefongesellschaften unterliegen einer absoluten Schweigepflicht.

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Edward Snowden am 5. Juni 2013 in Hong Kong

Geboren in North Carolina, wuchs Edward Snowden in Maryland auf. Er verliess die Mittelschule vorzeitig, holte den Abschluss später aber nach und brach dann auch ein Informatikstudium ab. Der Versuch einer militärischen Karriere endete in einem Unfall während einer Übung, bei dem er sich beide Beine brach. Er fand schliesslich als Wächter in einer NSA-Anlage Arbeit, von wo er zum Auslandgeheimdienst CIA als Spezialist für Systemsicherheit wechselte. In dieser Funktion wurde er 2007 unter diplomatischem Deckmantel nach Genf entsandt. 2009 verliess er den Dienst und begann eine Reihe von Engagements bei Betrieben, die im Auftrag der NSA arbeiteten, unter ihnen Dell und zuletzt die Firma Booz Allen Hamilton. Diese ist mit rund 25 000 Angestellten ein Riese unter der wachsenden Zahl von Unternehmen, die den amerikanischen Geheimdiensten mit über 500,000 Mitarbeitern zudienen.

Während Präsident Barack Obama und NSA-Direktor James Clapper beschwichtigten, die Veröffentlichung der Sammelwut der NSA kritisierten und das wahre Ausmass herunterspielten, veröffentlichte die «Washington Post» am 7. Juni 2013 ein zweites Dokument von Edward Snowden, eine PowerPoint Präsentation von «Prism». Unter dem Codenamen «Prism» besteht ein Programm, welches der NSA Einsicht in die Daten von Internetdienstleistern ermöglicht. Die NSA kann E-Mails mitlesen, Videos studieren und Gespräche auf Skype mithören. Ob dies heimlich geschieht oder mit dem Wissen der Unternehmen, darüber wird gestritten. Jedenfalls begann es im September 2007 bei Microsoft, einer Firma, die gerade eine Werbekampagne mit dem Slogan bestreitet, wonach «Ihre Privatsphäre unsere Priorität» ist. 2008 folgte Yahoo, 2009 Google, Facebook und Paltalk, ein Dienst für Video-Chats. Seit drei Jahren bedient sich die Behörde bei Youtube, seit zwei bei Skype und AOL, seit einem Jahr ist auch Apple erfasst. Angeblich soll aber nur der Internetverkehr von Personen, welche keinen Wohnsitz in den USA haben, aufgezeichnet werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass US-Bürger nicht erfasst werden, liegt bei 51 % (bei Würfeln hatte man lediglich 50 % ...). Zudem ist es ein merkwürdiges Grundrechteverständnis, wenn nur Landsleute von Behördenwillkür geschützt sind.

Am 7. Juni 2013 durfte dann wieder der «Guardian» über «Boundless Informant» berichten. «Boundless Informant» (zu deutsch: grenzenloser Informant) ist ein Computersystem, welches aus einer Fülle nachrichtendienstlicher Daten mit Hilfe von Data Mining signifikante Zusammenhänge herausfiltert, etwa die Bewegung einer einzelnen, z. B. terrorverdächtigen Person aus einer Fülle von E-Mails und Telefonmetadaten von Millionen von Menschen. «Boundless Informant» gibt fast in Echtzeit Antworten auf Fragen wie «welche Abhördichte haben wir im Land X?».

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«Boundless Informant» Landkarte: Von Dunkelgrün (wenige auszuwertende Daten) über Gelb bis Rot (viele auszuwertende Daten)

Die von «Boundless Informant» generierte Abhör-Landkarte zeigt die globale Dimension der Datenanalyse: Allein im März 2013 sammelte die NSA demnach 97 Milliarden Datensätze weltweit. Zu den mathematischen Werkzeugen der Analyse gehört die Triateration, womit man mit relativ wenigen Daten Bewegungsprofile von Personen erstellen kann. Dabei sind, entgegen früheren Einschätzungen, die Inhalte von Telefonaten oder E-Mails von untergeordneter Bedeutung. Gerade die Zeit- und Ortsstempel von Nachrichten machen sie für Data Mining wertvoll.

Während diese globale Abhör-Landkarte von «Boundless Informant» weltweit die Titelblätter der Zeitungen schmückte, empfing Präsident Obama seinen chinesischen Gast Xi Jinping in Kalifornien und jammerte über die Tragweite chinesischer Hacker-Angriffe auf amerikanische Regierungsstellen und Unternehmen, allerdings ohne gross beeindrucken zu können. China fühlt sich selbst als Opfer von Spionage im Internet. Ein Bericht der «South China Morning Post» mit Material von Edward Snowden bestätigte denn auch umgehend, dass die NSA im grossen Stil Netzwerke von Universitäten und Telefongesellschaften in Hong Kong und China hackte.

Der britische Geheimdienst zapft seit eineinhalb Jahren mit «Tempora» im grossen Stil Telefon- und Internetkabel an und gibt die Informationen an die US-Behörde NSA weiter. Im Mai 2012 waren 300 Analysten von GCHQ und 250 von NSA mit der Auswertung beschäftigt. Insgesamt 850,000 Mitarbeiter der NSA und privater Firmen haben Zugriff auf die Datenbanken des GCHQ. Bis zu 46 Kabel mit einer Bandbreite von je 10 Gigabit pro Sekunde können gleichzeitig erfasst werden.

Auch Frankreich hört alle Untersee-Kabel, welche bisher als sicher galten, ab. Mir dem Spähsystem Xkeyscore werden in Australien und Neuseeland, aber auch in Deutschland Internetaktivitäten überwacht. Aus einem Budget-Entwurf geht hervor, dass die NSA in grossem Stil Backdoors in Computern implementiert, um bei Bedarf ganze Netzwerke fernsteuern zu können. Unter dem Codenamen «Genie» sollen bis Ende 2013 weltweit 85,000 Computer infiziert werden.

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Am 23. Juni 2013 reiste Edward Snowden aus Hong Kong «auf einer sicheren Route» ab, um in Ecuador um Asyl nachzusuchen.

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Weil sich die Reise nach Südamerika komplizierter als erwartet herausstellte, beantragte Edward Snowden am 15. Juli 2013 Asyl in Moskau, welches ihm Anfang August 2013 für ein Jahr gewährt wurde.

Grossbritannien tut alles, um weitere Artikel über Spionage-Aktivitäten zu verhindern. Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes haben im Londoner Redaktionssitz des ‹Guardian› unter Androhung juristischer Konsequenzen die Zerstörung oder Aushändigung der Dokumente von Edward Snowden gefordert. «Ihr hattet euren Spass. Nun wollen wir das Zeug zurück», hätten sie erklärt. Sie zerstörten daraufhin in der Londoner Redaktion Computer - angeblich, um zu verhindern, dass Geheimdokumente in die Hände chinesischer Spione fallen. Am 18. August 2013 hatten britische Behörden auf dem Flughafen London-Heathrow den brasilianischen Lebenspartner des Story-Autors Greenwald unter Verweis auf ein Anti-Terror-Gesetz neun Stunden festgehalten und befragt. Greenwald hatte das britische Vorgehen als Versuch der massiven Einschüchterung bezeichnet und neue Veröffentlichungen über die Spionageaktivitäten Grossbritanniens angekündigt. Am 16. Dezember 2013 dachte die NSA erstmals laut über eine Begnadigung Edward Snowdens nach. Offenbar sind die heissesten Papiere noch gar nicht veröffentlicht worden. Einen Tag später bezeichnete Bundesrichter Richard Leon in einer provisorischen Verfügung das massenhafte Sammeln von Telefondaten durch die NSA in den USA als offensichtlich verfassungswidrig. An gleichen Tag bot Edward Snowden Brasilien weitere Einzelheiten über die Aktivitäten der NSA gegen Asyl an, was von der brasilianischen Regierung aber abgelehnt wurde. Am 18. Dezember 2013 forderte auch die von US-Präsident Barack Obama eingesetzte Expertenkommission zur Überprüfung der Geheimdienste in ihrem Abschlussbericht weitreichende Reformen der umstrittenen Überwachungsprogramme.

Und was die NSA kann, muss der NDB auch können, haben sich in der Schweiz ein paar Schlapphüte gedacht. Mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz sollen die Befugnisse der schweizerischen Geheimdienste stark erweitert werden: Telefonüberwachung mit Zugriffsmöglichkeit auf die bei den Telefonanbietern gespeicherten Randdaten, «Kabelaufklärung», bei welcher der gesamte Internetverkehr eines Kupfer- oder Glaskabels nach Schlüsselwörtern durchsucht wird, Trojaner installieren, um verschlüsselte Daten mitlesen zu können wie bei «Genie», und so weiter. Analog zur NSA sollen aber nur Internetteilnehmer aus dem Ausland ohne Grund und ohne richterliche Bewilligung bespitzelt werden, wobei die Trefferwahrscheinlichkeit auch bei knappen 51 % liegen dürfte, ein «Prism» nach Schweizer Art quasi. Als Begründung für die neuen Massnahmen darf auch der 11. September 2001 herhalten. Mit der «Funkaufklärung» gibt es in der Schweiz bereits ein Pendant zu «Boundless Informant».

grundrechte.ch lehnt diese Ausweitung der Befugnisse des NDB kategorisch ab und hat sich in der Vernehmlassungsantwort zum geplanten Nachrichtendienstgesetz entsprechend geäussert.

Aus Protest gegen die Schnüffeleien der NSA und auch als Anti-Kampagne zum neuen NDG hat die «Digitale Gesellschaft Schweiz» bei der Bundesanwaltschaft eine Strafanzeige gegen Unbekannt wegen verbotenem Nachrichtendienst etc. eingereicht. Zudem fordert die «Digitale Gesellschaft Schweiz» vom Bundesrat eine umfassende und wirksame Strategie, um die grenzenlose Datenschnüffelei zu stoppen.

 

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