Blick
BLICK: Herr Molina, kommt das neue Nachrichtendienstgesetz vors Volk?
Fabian Molina: Ja, wir haben rund 60’000 Unterschriften gesammelt. Die Beglaubigung läuft noch, doch wir werden das Referendum am 14. Januar 2016 einreichen können.
Das Referendum steht angesichts der Terrorgefahr in Europa völlig quer in der Landschaft. Angesichts der Bedrohungslage ist auch der Schweizer Geheimdienst auf zusätzliche Präventionsmöglichkeiten angewiesen.
Europa erlebt eine autoritäre Welle, wie die USA nach 9/11. Die Menschenrechte, wie wir sie seit dem Zweiten Weltkrieg kennen, werden über Bord geworfen. Die Franzosen brechen mit Gebot der Gleichheit und in der Schweiz will die SVP mit ihrer Durchsetzungsinitiative den Rechtsstaat beerdigen. In diesem Kontext ist auch das Nachrichtendienstgesetz zu sehen: Das Recht auf Privatsphäre wird über Bord geworfen, der Bürger wird unter Generalverdacht gestellt, staatlicher Willkür wird Tür und Tor geöffnet. Vergessen wir nicht, was die Idee der Menschenrechte ist: Den einzelnen gegen die Mächtigen vor staatlicher Willkür und wirtschaftlicher Ausbeutung zu schützen.
Sie dramatisieren. Der Bundesrat rechnet mit jährlich zehn Fällen, bei denen die neuen Überwachungsmöglichkeiten tatsächlich genutzt würden. Das ist doch ein kleiner Preis für mehr Sicherheit.
Dass es bei zehn Fällen bleibt, ist eine reine Behauptung von Bundesrat Maurer. Für was sollen denn Dutzende neue Stellen geschaffen werden? Das neue Gesetz ermöglicht mit der Kabelaufklärung eine präventive Überwachung ohne Anfangsverdacht. Der ganze grenzüberschreitende E-Mail-Verkehr wird auf Schlagworte überwacht. Da reicht es schon, wenn die E-Mail des Kollegen über einen ausländischen Server läuft. Für die Mehrheit der Bürger gilt damit nicht mehr die Unschuldvermutung, sondern die Schuldvermutung. Das ist ein Paradigmenwechsel.
Trotzdem, jemand muss ja hinter die Kulissen schauen, um Anschläge zu verhindern. Was ist Ihre Alternative?
Wir haben die nötigen Instrumente bereits! Sobald ein Anfangsverdacht für einen Straftatbestand besteht, können die Bundesanwaltschaft, das Bundesamt für Polizei oder die dafür zuständigen kantonalen Behörden aktiv werden. Dafür braucht es nicht auch noch einen aufgerüsteten Geheimdienst, der mit den Strafbehörden konkurrenziert. Am Schluss behindern sich so die Behörden gegenseitig.
Das Volk reagiert sensibel auf Sicherheitsfragen. An der Urne sind Ihre Erfolgschancen klein.
Das Volk reagiert aber auch sensibel auf Überwachung. Das hat die Abstimmung über den biometrischen Pass 2009 gezeigt. Dort hat das Stimmvolk einer weniger schlimmen Vorlage nur äusserst knapp zugestimmt. Aber unabhängig von den Erfolgschancen bedeutet das neue Gesetz einen Paradigmenwechsel. Eine solche Grundsatzfrage muss das Volk beantworten können.
Nicht einmal die Linke ist geschlossen gegen das Gesetz. Prominente SP-Vertreter wie Ständerat Daniel Jositsch oder Nationalrätin Chantal Galladé sind für die Vorlage.
Das ist für mich unverständlich. Die SP-Delegierten haben sich mit Zweidrittels-Mehrheit für das Referendum ausgesprochen. Auch alle linken Organisationen stehen hinter dem Referendum. Wir Linke müssen uns bewusst sein, dass Geheimdienste dazu tendieren zu überborden. Das ist gefährlich.
Wo finden Sie sonst noch Verbündete?
Auch auf bürgerlicher Seite gibt es durchaus Vorbehalte. Einerseits aus liberaler, freiheitlicher Sicht. Den Rechtskonservativen wiederum müsste zu denken geben, dass die Schweizer Neutralität ausgehebelt wird. Der Geheimdienst kann neu einen Cyberwar starten, das ist ein Bruch mit der Neutralität und eine Gefahr für unser Land. Gerade wenn man an Frankreichs Kriege denkt.
Ihr grösster Gegner ist die Generation Facebook. Private Daten werden einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht, da interessiert die Schnüffelstaat-Thematik doch keinen Deut.
Ich habe beim Unterschriftensammlung ganz andere Erfahrungen gemacht: Die Jungen sind sehr skeptisch. Sie sind mit dem Internet aufgewachsen und kennen das Gefahrenpotenzial einer überbordenden Überwachung im Netz. Die «Generation Snowden» lehnt das Gesetz ab! Die grundsätzliche Frage lautet doch: Welchen Datenschutz wollen wir als Gesellschaft für die Zukunft.
SVP-Bundesrat Guy Parmelin wird neuer Verteidigungsminister. Er ist anstelle Ueli Maurers Ihr neuer Gegner. Wird es damit einfacher?
Nein, keineswegs. Parmelin hat dem Gesetz im Parlament zugestimmt. Er vertritt die Vorlage damit nicht contre coeur, sondern aus Überzeugung. Egal, ob Maurer oder Parmelin: Wir werden einen harten Abstimmungskampf führen müssen.
Darum geht es
Morgen startet SVP-Bundesrat Guy Parmelin (56) offiziell als neuer Verteidigungsminister. Und schon bald muss er sich seinem ersten Abstimmungskampf stellen. Vielleicht schon am 5. Juni 2016 kommt nämlich das neue Nachrichtendienstgesetz vors Volk.
Bringt Parmelin das neue Gesetz durch, darf der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) Telefone abhören, Privaträume verwanzen und in Computer eindringen. Diese Massnahmen wären aber genehmigungspflichtig: Zustimmen müsste jeweils neben dem Verteidigungsminister auch ein Richter des Bundesverwaltungsgerichts.
Umstrittene Kabelaufklärung
Eine umstrittene Neuerung ist auch Kabelaufklärung. Diese ermöglicht es dem NDB, grenzüberschreitende Signale aus Internetkabeln zu erfassen. Damit könnte ins Visier des Geheimdienstes geraten, wer bestimmte Begriffe googelt oder in E-Mails erwähnt.
Eine neue unabhängige Aufsichtsbehörde soll prüfen, ob der NDB rechtmässig, zweckmässig und wirksam handelt.
Sagt das Stimmvolk ja zum neuen Gesetz, würde es voraussichtlich auf Anfang 2017 in Kraft treten.
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