Henry Habegger, Nordwestschweiz
Die Aargauer Nationalrätin Corina Eichenberger soll vor heiklen Aussagen zum Spion Daniel M. Rat beim NDB-Chef geholt haben. Der ist ein Parteikollege von ihr. Das heisst, dass die Kontrolleurin sich vom Kontrollierten beraten liess, was sie öffentlich sagen sollte und konnte.
Seit etwa anderthalb Monaten sitzt der gebürtige Solothurner Daniel M. in Deutschland in Haft. Er soll, so der Vorwurf der deutschen Bundesanwaltschaft, für den Schweizer Nachrichtendienst (NDB) spioniert haben. Ziel unter anderem: enttarnen von deutschen Steuerfahndern, die geklaute Schweizer Bank-CDs kauften.
Einige der vielen Fragen, die sich im undurchsichtigen Fall des angeblichen Spions stellen: War Daniel M. (54) für den NDB wirklich im Zusammenhang mit den Steuerfahndern im Einsatz? Wenn ja: War das legal? Und: Wurde die sechsköpfige parlamentarische Schweizer Geheimdienstaufsicht - die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) - darüber informiert?
Am 1. Mai sagte der Schwyzer Ständerat Alex Kuprecht (SVP), Präsident dieser GPDel, gegenüber Radio SRF: «Wir hatten bisher keine Kenntnisse von dieser Aktivität.» Sollte M. aber tatsächlich einen Auftrag vom NDB gehabt haben, «dann wäre das unseres Erachtens wahrscheinlich im Graubereich der momentan noch gültigen Gesetzgebung», so Kuprecht.
Persilschein für Geheimdienst
Am 3. Mai dann war plötzlich alles anders. Gegenüber dem «Blick» sagte die Aargauer FDP-Nationalrätin Corina Eichenberger, Vizepräsidentin der GPDel und somit Kuprechts Stellvertreterin: Der NDB habe der GPDel den Fall vor «etwa fünf Jahren» vorgelegt. «Der NDB wollte im Rahmen der Spionageabwehr herausfinden, wer das Mandat dazu gegeben hatte - da wurde Daniel M. eingesetzt. Aufgrund seiner Informationen wurden Haftbefehle gegen drei deutsche Steuerfahnder erlassen wegen Verdachts auf nachrichtliche Wirtschaftsspionage.»
Eichenberger stellte dem NDB zudem - im Gegensatz zu Kuprecht - einen Persilschein aus. Sie zweifle nicht daran, «dass der NDB richtig gehandelt» habe. «Hätten wir das anders gesehen, hätten wir interveniert und den NDB für sein Vorgehen mindestens gerügt», sagte sie. Inhaltlich gleich äusserte sie sich an jenem Tag gegenüber Radio SRF.
Geheimdienstchef als Souffleur
Recherchen der «Nordwestschweiz» liefern jetzt eine Erklärung für die unterschiedlichen Aussagen des Aufsichts-Chefs und seiner Stellvertreterin: Eichenberger liess sich, bevor sie ihre Auskünfte gab, von Geheimdienstchef Markus Seiler informieren. «Sie konsultierte vorher den Geheimdienstchef», sagt ein Insider. Eine zweite Person mit Detailkenntnissen bestätigt dies. Eichenberger stellte bei ihren Verlautbarungen demnach nicht, wie dies Kuprecht tat, auf gesicherte und austarierte Angaben des GPDel-Sekretariats ab, sondern auf Darstellungen des Beaufsichtigten. GPDel-Präsident Kuprecht wollte sich auf Anfrage nicht zur Sache äussern.
Wenn Eichenberger ihre Kommunikation wirklich beim Beaufsichtigten Seiler abstützte, statt beim Delegationssekretariat, dann war das heikel. Denn offizielle Auskünfte der unter hoher Geheimhaltung arbeitenden Geheimdienstdelegation werden standardmässig vom Sekretariat überprüft, in der Regel sogar vorbereitet. Es geht um heikelste Interessen des Staates. Selbst wenn es so war, dass Daniel M. für den Schweizer Nachrichtendienst in Deutschland spionierte: Ein Staat bestätigt so etwas niemals freiwillig.
Die Nationalrätin war demnach gewissermassen Sprecherin des Nachrichtendienstes und seines unter Druck stehenden Chefs Markus Seiler - einem Parteikollegen. Absicht unterstellt Corina Eichenberger in Bern kaum jemand. Sie habe, glauben einige, wohl einfach einem Parteifreund helfen wollen. Der ans Amtsgeheimnis gebundene NDB-Chef konnte so seine Version unter die Leute bringen, ohne sich selbst exponieren zu müssen.
Betroffene schweigen
NDB-Chef Markus Seiler wollte sich auf Anfrage der «Nordwestschweiz» nicht zur Sache äussern. «Der NDB äussert sich weder zur von Ihnen genannten Sache noch zu diesbezüglichen Spekulationen, da Strafverfahren am Laufen sind», sagt NDB-Sprecherin Isabelle Graber.
FDP-Nationalrätin Corina Eichenberger teilte gestern auf Anfrage nur mit, sie äussere sich nicht mehr zu dieser Sache.
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