Von Thomas Knellwolf. Tages Anzeiger
Ein Iraker aus Basel widersetzte sich Rekrutierungsversuchen von Schweizer Agenten. Bald darauf geriet der Vater von zwei Kleinkindern in ein Strafverfahren - und in mehr als ein Jahr U-Haft.
Es war eine spezielle Polizeikontrolle im Berner Bahnhof eine, über die der Kontrollierte bis vor wenigen Monaten nicht sprechen durfte. Die Bundesanwaltschaft hatte ihm zumindest untersagt, mit Medienvertretern über seinen Fall zu reden. Und die spezielle Polizeikontrolle ist Teil des Falles, ein zentraler. Denn damit begannen die Probleme.
K. T. hat jahrelang niemandem erzählen dürfen, was ihm am 4. Oktober 2007 widerfahren ist. Ein Jahrzehnt hatte der Kurde damals schon in der Schweiz gelebt. Mit 19 Jahren war er aus dem Irak geflüchtet. In Basel wurde er sesshaft.
An jenem Donnerstagmorgen im Oktober 2007 wollte er nur tun, was er in jener Zeit fast täglich tat: in Bern umsteigen vom Intercity aus Basel auf den Regionalzug nach Freiburg. Vielleicht dachte der damals 29-Jährige gerade an die Prüfung an der Universität in Freiburg, die ihn erwartete, als Polizisten plötzlich seine Papiere sehen wollten.
Zu Besuch in Norwegen
K. T. wies sich aus, doch dummerweise funktionierte das Computersystem nicht, mit dem sein Ausweis überprüft werden sollte. Dies zumindest gaben die Polizisten an, als sie K. T. baten, sie zu begleiten. Auf dem Posten im Bahnhof sperrten sie K. T. in eine Zelle. Ein Weilchen passierte nichts. Dann wurde K. T. in ein Verhörzimmer geführt, mit einem Tisch, drei Stühlen, einem Telefon, keinen Fenstern.
So schildert es K. T. später Personen, bei denen er Unterstützung suchte, als er nicht mehr Herr der Sache war. Die Tür sei aufgegangen, und hinein gekommen seien zwei Männer mittleren Alters, zivil gekleidet, von auffälliger Unauffälligkeit. Die beiden sollten K. T. in den Wochen danach noch dreimal auflauern. Sie wollten wohl Informationen gewinnen über das Umfeld von Mullah Krekar, dem Gründer der radikalislamischen Ansar al-Islam. K. T. hatte Krekar wenige Monate zuvor in Norwegen besucht.
«Wir sind nicht die Polizei»
Die Agenten im Polizeiposten begannen Fragen zu stellen: Wieso K. T. Medienwissenschaften studieren wolle. Wie die Situation im Norden des Irak sei. Was er über die kurdischen Parteien dort wisse. So erzählte es K. T. rund ein halbes Jahr später der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) der eidgenössischen Räte, doch auch davon hat die Öffentlichkeit bislang nichts erfahren. Den parlamentarischen Aufsehern über die Geheimbereiche des Staates sagte K. T., die Fragen seien ihm sonderbar vorgekommen. Deshalb habe er zurückgefragt, was das Ganze solle. Der eine Herr, der sich «Johann» nannte, habe ihm erklärt, K. T. müsse jetzt für ihn arbeiten. «Ich arbeite nicht für die Polizei», will K. T. entgegnet haben. «Wir sind nicht die Polizei», offenbarte der angebliche Johann. «Wir sind der DAP.»
Der DAP war der Dienst für Analyse und Prävention, der schweizerische Inlandgeheimdienst. 2010 fusionierte er mit dem Auslandgeheimdienst zum Nachrichtendienst des Bundes (NDB). Und der NDB als Nachfolgebehörde hat - wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was K. T. der GPDel erzählt hat - ein Problem. Eines, das auch die Bundesanwaltschaft tangiert, denn K. T. ist seit Jahren der Hauptbeschuldigte in einem ihrer Verfahren.
Einiges, was K. T. später von sich gab, ist verbürgt. «Wir bescheinigen», hielt die Stadtpolizei Bern fest, «dass Herr/Frau/Frl. K. T., Bürger von Irak, heute, 4. 10. 2007, um 9.00 Uhr, durch die Stadtpolizei Bern zu einer Personenkontrolle angehalten wurde.» K. T. hatte das Schreiben verlangt, weil er an jenem Oktobermorgen vor fünfeinhalb Jahren seine Uniprüfung verpasste.
«Druck wie Nötigung oder Erpressung»
K. T. schilderte den Aufsehern von der GPDel, Johann und sein treuer Begleiter hätten ihn im Berner Bahnhof weitere Male abgepasst und ihn überreden wollen, dass er mit ihrem Auto nach Freiburg fahre. Er habe sich stets geweigert. Johann habe die Rolle des guten Polizisten übernommen und K. T. mit sanfter Stimme zugeredet mitzumachen. Der namenlose Begleiter, in der Rolle des bösen Polizisten, habe ihm gedroht: er werde ins Gefängnis gesteckt; er sehe seine Familie lange Zeit nicht. «Alles ist eingetroffen», sagt K. T. heute rückblickend, «nur eine Drohung ist noch offen: dass ich in den Irak zurückgeschickt werde.»
Am 11. November 2008 ist K. T. verhaftet worden. Fast das ganze Jahr 2009 sass er in Untersuchungshaft, 13 Monate insgesamt. Seine Frau und seine beiden kleinen Kinder sah er selten.
Das Vorgehen der Agenten, wie es K. T. darstellt, wäre illegal. «Auch der Nachrichtendienst darf keine Nötigung begehen und beispielsweise mit einer Ausschaffung drohen», erklärt Markus Schefer, Rechtsprofessor der Universität Basel. NDB-Sprecher Felix Endrich sagt aber, die Vorwürfe von K. T. seien falsch. «Druck wie Nötigung oder Erpressung» wende der Dienst nicht an. Das mache auch keinen Sinn, denn herausgepresste Informationen seien von geringem Wert. «Die Mitarbeit von Informanten beruht auf dem Prinzip der Freiwilligkeit», sagt Endrich. Der NDB könne «Entschädigungen oder Prämien ausrichten, in gewissen Fällen auch Schutz anbieten». Zwischen Freiwilligkeit und Nötigung gibt es eine Grauzone, in der sich der Geheimdienst auch auszukennen scheint.
«Wir drücken nicht»
Die Details zu den ersten drei Anwerbeversuchen von K. T. sind strittig. Der Schweizer Geheimdienst arbeitet in solchen Fällen papierlos und hinterlässt auch sonst kaum Spuren. In der Regel. Aber es gibt eine Ausnahme. Vom vierten und letzten Versuch, K. T. anzuwerben, existiert eine Tonaufnahme, die dem TA zugespielt wurde. Sie beweist, wie massiv der ausgeübte Druck war.
An einem Morgen Ende Oktober 2007 um 9 Uhr treten die beiden Agenten auf dem Gleis 3 des Bahnhofs Bern zum letzten Mal an den Studenten heran, der auf den Anschluss nach Freiburg wartet. «Heute pünktlich Zug, hä?», fragt Johanns Begleiter. «Wollen wir miteinander sprechen?», sagt Johann. «Nein», lautet die Antwort von K. T., «ich muss Aufgaben machen.»
Trotzdem begleiten die Geheimdienstmitarbeiter ihn in den Zug. «Gehen wir mittagessen heute?», fragt Johann. «Nein», antwortet K. T., «ich habe keine Zeit.» Sie nehmen Platz. K. T. sagt: «Ich will nicht Spitzel sein. Verstehen Sie?» «Das bist du nicht», versichert Johanns Begleiter. Und weiter: «Wir wollen nur zusammen sprechen. Das hat nichts mit Spitzel zu tun.»
Zurück in den Irak
K. T. fängt an, von einem Anwalt zu erzählen, der ihm versichert habe, die Anwerbeversuche seien illegal. Johanns Begleiter will den Eindruck erwecken, der eingeschaltete Jurist habe K. T. falsch beraten, weil er «einen Mandanten bekommen» wolle und «Geld». «Die Anwälte», behauptet er, «sind gegen uns, gegen den Staat.»
K. T. sagt: «Auf der Strasse mich aufhalten, im Zug mitkommen und mich unterdrücken, ist nicht gesetzlich.» Johann erwidert: «Wir drücken nicht.» «Johann», fragt K. T. postwendend, «haben Sie letztes Mal vergessen? ‹Wir schicken dich zurück nach Irak.› Das haben Sie gesagt.» Johann und sein Begleiter lenken das Gespräch schnell auf ein anderes Thema. Die beiden, welche die meiste Zeit gebrocheneres Hochdeutsch reden als K. T., bieten sich als Sprachlehrer an - halb im Scherz, halb im Ernst.
«Hätte er mitgemacht . . .»
Während der ganzen 20-minütigen Zugfahrt versuchen die Agenten, K. T. von weiteren ungestörten Treffen mit ihnen zu überzeugen. Sie geben ihm schliesslich eine Handynummer an, auf der er sich melden kann. Seinen richtigen Namen will Johann nicht preisgeben. Er heisse «Johann Johann», behauptet er zur allgemeinen Heiterkeit und fragt: «Wann rufst du mich an? Vor Weihnachten?» Alle drei lachen. Es ist Oktober. Dann hält der Zug in Freiburg.
Kurz darauf schaltet K. T. einen Anwalt ein. Der Jurist wählt die Handynummer und richtet dem DAP aus, K. T. würde einer schriftlichen Einladung zu einem Gespräch in einem Amt Folge leisten. Das will Johann nicht. K. T. hört nie mehr etwas vom Geheimdienst, doch rund sechs Wochen später eröffnet die Bundesanwaltschaft ein Verfahren gegen ihn. «Hätte K. T. mitgemacht, wäre es wohl nie zur Untersuchung gekommen», sagt Catherine Weber, damals Geschäftsführerin der Demokratischen Juristinnen und Juristen Schweiz (DJS). Weber begleitet K. T., als er im Mai 2008 der GPDel von seinem Fall erzählt. Von seinem Strafverfahren erfährt K. T. erst später, durch eine Razzia: Am 11. November 2008, noch vor dem Morgengrauen, brechen Polizisten die Tür seiner Wohnung in Basel auf. Die Kinder schreien. K. T. wird verhaftet.
Gefährliche Gewaltdarstellungen oder Journalismus?
Die Bundesanwaltschaft ermittelt seit 2005 gegen Schweizer Teile eines mutmasslichen internationalen Netzwerkes kurdischer Islamisten aus dem Nordirak. Ursprünglicher Beschuldigter war Burhan B., ein in Basel lebender Kurde. Das schweizerische Verfahren wurde nach einem Rechtshilfeersuchen Deutschlands eröffnet. Gegen Burhan B. wurde es aber eingestellt, nachdem das Oberlandesgericht Stuttgart den Iraker im September 2007 wegen ähnlicher Vorwürfe wie Terrorunterstützung zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt hatte.
Gegen K. T., den der Schweizer Geheimdienst kurz darauf anwerben wollte, wird seit Ende 2007 ermittelt. Der damalige Student und sein Bruder, der ebenfalls als Flüchtling in Basel lebt, wurden bereits zweimal angeklagt, doch zweimal hat das Bundesstrafgericht das Verfahren sistiert (TA vom 24. Mai). Die Bundesanwaltschaft macht sich nun daran, die Anklageschrift zu überarbeiten. Die mit dem Fall betraute Staatsanwältin des Bundes hegt weiterhin den Verdacht, dass die Brüder Ansar al-Islam oder eine Nachfolgeorganisation unterstützten - durch Propaganda im Internet, auch mit Gewaltdarstellung. Die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe. Sie sagen, sie hätten Journalismus betrieben. Ansar al-Islam gilt international als al-Qaida-nahe Terrororganisation. Gründer Mullah Krekar und andere (Ex-)Angehörige sehen sich im legitimen Kampf gegen US-Besatzer.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen der verweigerten Zusammenarbeit von K. T. mit dem Geheimdienst und der Verfahrenseröffnung? Nachrichtendienst-Sprecher Felix Endrich verneint dies. Allerdings - so schiebt er nach - könnten «jederzeit nachrichtendienstliche Informationen zutage treten, die auf Straftatbestände hinweisen». Solche Angaben müssten «gemäss dem geltenden Recht an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden» weitergegeben werden.
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