In der Nacht vom 17. auf den 18. September 2011 war eine illegale Party in der Zürcher Innenstadt in gewalttätige Ausschreitungen mit einem Sachschaden von rund 200,000 Franken ausgeartet. Rund 90 Personen wurden festgenommen und 20 davon in Untersuchungshaft gesetzt. 31 Jugendliche wurden von den zuständigen Staats- und Jugendanwälten per Strafbefehl verurteilt - die über 18-Jährigen mit Geldstrafen zwischen 120 und 180 Tagessätzen. Diverse dieser Strafbefehle wurden angefochten. Im Rahmen der Fahndung nach möglichen Tätern wurden auch Bilder von 15 Personen ins Internet gestellt.
Mehrere Freisprüche
Mehrere Beschuldigte wurden vom Bezirksgericht Zürich freigesprochen:
Einem 19- jährigen Lehrling wurde von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, sich an den schweren Ausschreitungen am Zürcher Central beteiligt zu haben. Der Sanitärinstallateur war am frühen Morgen des 18. September bei der Walchebrücke in der Zürcher Innenstadt zusammen mit zahlreichen anderen Personen festgenommen worden. Der Mann bezeichnete sich als unschuldig und erklärte, dass er in der Krawallnacht, in der unter anderem Schaufensterscheiben zu Bruch gingen und Autos beschädigt wurden, bloss seine Freundin besucht habe. Die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat erhob Anklage und verlangte für den nicht Vorbestraften eine bedingte Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu 30 Franken sowie eine Busse von 800 Franken. Der Angeschuldigte beteuerte vor Gericht, er habe bewusst Abstand zu den Krawallanten gehalten. Er sei in einem Fastfood-Restaurant beim Hauptbahnhof gewesen, als er eine SMS von seiner Freundin bekommen habe. Danach sei er besorgt in Richtung Walchebrücke aufgebrochen. Dort habe man ihn festgenommen. Gemäss dem zuständigen Einzelrichter gebe es keine Beweise, dass der Lehrling ein Teil der Tätergruppe gewesen sei. Für den einen Tag, den er in Haft verbrachte, erhielt er ein Schmerzensgeld von 300 Franken zugesprochen.
Auch zwei andere Gaffer bei den Central-Krawallen klagte die Staatsanwaltschaft an. Die Geständnisse der Männer reichten aber nicht aus, um sie zu verurteilen.
Nachdem er schon im Dezember 2011 vom Bezirksgericht Zürich mangels Beweisen freigesprochen wurde, bestätigte das Obergericht am 19. Juni 2012 den erstinstanzlichen Freispruch. Unbeteiligte Zuschauer und Gaffer hätten sich bei den Krawallen nicht strafbar gemacht, sagte der Gerichtsvorsitzende. Es sei nicht zu widerlegen, dass der Lehrling nur als zufälliger Beobachter vor Ort gewesen sei. Das Gericht sprach ihm eine Prozessentschädigung von 2500 Franken zu. Für die zwei Tage Untersuchungshaft, die er absass, erhält er zudem 300 Franken.
Der 24-jährige Student, der vom Bezirksgericht Zürich noch zu einer bedingten Geldstrafe und einer Busse verurteilt worden war, kam vor Obergericht ebenfalls mit einem Freispruch davon. Keine Zeugen oder Filmaufnahmen hätten ihn belastet, hiess es. Die Oberrichter stuften das erste Geständnis bei der Hafteinvernahme als wenig glaubwürdig ein. Auch bei ihm schloss das Obergericht nicht aus, dass er die Ereignisse bloss als Zuschauer mitverfolgt hatte. Der Student erhielt eine Prozessentschädigung von über 7800 Franken und 300 Franken Schmerzensgeld.
Staatsanwaltschaft zieht Berufung gegen einen 19-jährigen Gaffer zurück
Die Zürcher Staatsanwaltschaft hat die Berufung gegen einen 19-jährigen Gaffer kurz vor der Verhandlung überraschend zurückgezogen. Dies teilte das Obergericht am 23. Oktober 2012 mit.
Das Bezirksgericht hatte den Schüler im Februar 2012 freigesprochen. Er hätte sich wegen Landfriedensbruchs vor dem Obergericht verantworten sollen. Laut Anklage war er in der Nacht auf den 17. September 2011 «Teil der öffentlichen Zusammenrottung, indem er sich längere Zeit in deren unmittelbarer Nähe aufhielt». Er sei zudem bei der Walchebrücke mit anderen zusammen durch Polizeikräfte eingekesselt worden. Die Staatsanwaltschaft forderte eine bedingte Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu 30 Franken sowie eine Busse von 1400 Franken. Der Verteidiger verlangte bereits im Februar vor Bezirksgericht einen Freispruch. Seinen Klienten bezeichnete er als blossen Gaffer, der auf den Polizeivideos als uninteressierte und unbeteiligte Person wirke. Es gehe nicht an, den Vorwurf des Landfriedensbruchs auf einen nicht vorhandenen «Gaffertatbestand» auszuweiten, argumentierte der Verteidiger. Psychische Gehilfenschaft reiche für einen Schuldspruch ohnehin nicht aus. Das Bezirksgericht folgte diesen Argumenten und sprach den jungen Mann frei. Es sei nicht auszuschliessen, dass bei den Krawallen auch unschuldige Personen eingekesselt und verhaftet worden seien, begründete das Gericht den Urteilsspruch. Wer bloss zusehe, mache sich nicht strafbar. Für die 16 Tage Haft erhielt der Zürcher Gymnasiast ein Schmerzensgeld von 3200 Franken. Dazu kam eine Prozessentschädigung von 6590 Franken. Mit dem überraschenden Rückzug der Staatsanwaltschaft wird der Entscheid des Bezirksgerichts nun rechtskräftig.
Auch im Umfeld von Sportveranstaltungen werden zunehmend Strafbefehle im Multipack verteilt, welche anschliessend vor Gericht keinen Bestand haben.
Immer mehr Kameras im Öffentlichen Verkehr
Antennensuchlauf: Neues Hobby von Staatsanwälten
Nachrichtendienst verletzt Fernmeldegeheimnis
Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG)
jetzt spenden!