Katharina Fontana; NZZ
Das Luzerner Polizeigesetz, das Teilnehmer gewalttätig verlaufender Kundgebungen zur Kasse bittet, ist verfassungswidrig. Die Regelung sei zu schematisch, befand das Bundesgericht.
Viele Schweizer Städte machen regelmässig leidvolle Erfahrungen mit Demonstrationen, die in Krawalle ausarten und zu Sachschäden und Gewaltakten führen. Läuft eine Veranstaltung aus dem Ruder, braucht es häufig ein Grossaufgebot an Polizeikräften, was mit beträchtlichen Kosten verbunden ist. Einige Kantone sind nicht mehr bereit, einfach die Allgemeinheit für die Polizeikosten zahlen zu lassen: Sie wollen die Veranstalter und die Randalierer stärker in die Pflicht nehmen und haben ihre Polizeigesetze entsprechend verschärft. Wie weit die Kantone dabei gehen dürfen, darüber hat am Mittwoch das Bundesgericht öffentlich diskutiert.
Krawallanten und Mitläufer
Zur Debatte stand das auf Anfang 2016 geänderte Luzerner Polizeigesetz. Es sieht vor, dass die Kosten des Polizeieinsatzes bei Demonstrationen, bei denen es zu Gewalt gegen Personen kommt und Sachschäden begangen werden, auf Veranstalter sowie auf «an der Gewaltausübung beteiligte Personen» überwälzt werden. Die an den Ausschreitungen Beteiligten werden zu gleichen Teilen in die Pflicht genommen und müssen mit einer Rechnung von bis zu 30 000 Franken pro Kopf rechnen. Veranstalter werden nur dann zahlungspflichtig, wenn sie klar gegen Vorschriften verstossen, sprich keine Bewilligung eingeholt oder Auflagen missachtet haben.
Gegen das Gesetz reichten die Demokratischen Juristinnen und Juristen Luzern sowie Vertreter linker Parteien Beschwerde beim Bundesgericht ein. Der Kostenersatz für Polizeieinsätze bei politischen Demonstrationen stelle einen eklatanten Eingriff in die Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit dar und verstosse gegen abgaberechtliche Grundsätze, so die Beschwerdeführer.
Sie haben in Lausanne ein offenes Ohr gefunden, teilweise zumindest. Die I. Öffentlichrechtliche Abteilung vermochte sich mit der Luzerner Regelung ebenfalls nicht vollumfänglich anzufreunden, dies zur Hauptsache aus gebührenrechtlichen Gründen. Die Kosten für den Polizeieinsatz werden nämlich nicht nur den eigentlichen Randalierern auferlegt, sondern gleichermassen auch jenen Personen, die an der Veranstaltung «nur» teilgenommen, nicht aber selber Steine geworfen, Hauswände besprayt oder sonst Sachbeschädigungen begangen haben. Blosse Mitläufer gleich zu behandeln wie die Krawallanten, sei zu schematisch und verstosse gegen das abgaberechtliche Äquivalenzprinzip, befanden die fünf Richter unisono. Vielmehr müsse bei der Kostenüberwälzung auch der eigentliche Tatbeitrag des Einzelnen einbezogen werden.
«Unzulässige Einschüchterung»
Uneinig war man sich im Richtergremium hingegen über die Frage, ob die Kostenauflage auch die Meinungs- und Versammlungsfreiheit verletze. Wenn ein friedlicher Demonstrationsteilnehmer damit rechnen müsse, eine Rechnung von 30 000 Franken aufgebrummt zu erhalten, bleibe er künftig zu Hause, befand ein Teil der Richterschaft. Die Luzerner Regelung wirke abschreckend und einschüchternd, sie behindere die Rechtsausübung (juristisch «chilling effect» benannt) und sei deshalb verfassungswidrig. Andere Richter stellten sich auf den Standpunkt, dass die Meinungs- und Versammlungsfreiheit nicht die Teilnahme an gewalttätigen Demonstrationen schütze: Wer sich auf polizeiliche Aufforderung hin nicht von einer Kundgebung entferne, gelte als Mitläufer. Wer die Veranstaltung rechtzeitig verlasse, habe dagegen nichts zu befürchten, auch keine Rechnung. Letztlich liess das Bundesgericht die Frage aber offen.
Die Bestimmung des Luzerner Polizeigesetzes, wonach die Teilnehmer gewalttätiger Kundgebungen zu gleichen Teilen die Kosten des Polizeieinsatzes tragen müssen, wird also aufgehoben. Die Luzerner Behörden werden nach einer anderen Regelung suchen müssen, die zwischen den eigentlichen Krawallanten und den blossen Mitläufern stärker unterscheidet.
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