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Offene WLANs dürfte es in der Schweiz bald nicht mehr geben. Nun wehren sich Anbieter gegen das neue Überwachungsgesetz.
Die Mitteilung klang wenig brisant. Als das Justizdepartement von Bundesrätin Simonetta Sommaruga vor zwei Wochen die Verordnung zum revidierten Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf) in die Vernehmlassung gab, hiess es: Die Aufgaben des Bundes werden konkretisiert, die Pflichten der Anbieterinnen geregelt. Sie sollen entlastet werden.
Die Telekommunikationsanbieter gehen aber nicht von einer Entlastung aus, im Gegenteil. Sie rechnen mit komplizierten und aufwendig umzusetzenden neuen Regeln. Das schrieb die «Basler Zeitung» und zitierte aus der Vernehmlassungsantwort von UPC, die auch von anderen Anbietern unterschrieben wurde. Sie liegt auch dem TA vor. Die geplanten Bestimmungen, die 2018 in Kraft treten sollen, würden massiv in die Wirtschaftsfreiheit der Anbieter eingreifen, heisst es darin. Sie seien unverhältnismässig und nicht zielführend.
Persönliche Angaben sind gefragt
Der meistkritisierte Punkt betrifft den WLAN-Zugang, der heute vielerorts kostenlos und offen ist. Neu wird aber von den Telekommunikationsanbietern verlangt, dass sie den Bundesbehörden die persönlichen Daten von allen WLAN-Nutzern aushändigen. Also nicht nur der Firmenkunden selber, sondern auch derjenigen Personen, die sich an öffentlichen Orten in ein WLAN-Netz begeben. Von ihnen soll laut Verordnung Name, Geburtsdatum, Ausweisart und -nummer, Adresse und Beruf erfasst werden. Das behindert Konsumenten und Anbieter gleichermassen: Die Internetnutzer haben nicht mehr unkompliziert und per Knopfdruck WLAN-Zugang, sondern müssen sich registrieren lassen. Und Firmen müssen Systeme anbieten, welche die persönlichen Daten erfassen.
«Es gibt ein paar Punkte in der Verordnung, die uns Sorgen machen», sagt der Luzerner SVP-Nationalrat Franz Grüter, Inhaber des Telecomanbieters Green.ch. Grüter hat die Vernehmlassungsantwort der UPC mitunterzeichnet. Zu diesen Punkten gehöre die Anpassung der Software, die mit jener des beim Justizdepartement angegliederten Dienstes Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr (Dienst ÜPF) übereinstimmen muss. Damit sichert sich der Bund den Zugriff auf die Nutzerdaten. Bisher musste er die Firmen für jede Anfrage separat anschreiben, das kongruente System ermöglicht eine Art Standleitung. Die Kadenz der Datenabfragen werde sich zweifellos erhöhen, schätzt Grüter. Zwar erhielten die Telecomanbieter mit der Verordnung eine höhere Entschädigung, doch die höheren Kosten würden damit nicht wettgemacht. «Wir werden drauflegen.»
Die Erschwerung des WLAN-Zugangs betreffe vor allem grössere Anbieter wie Swisscom oder UPC, sagt Grüter. Sie müssten ihre Angebote in Hotels, Restaurants oder generell an Orten mit hoher Kundenfrequenz anpassen.
«Das Problem ist das Gesetz»
Grüne-Nationalrat Balthasar Glättli ist nicht überrascht, genau aus diesem Grund hätten sich die Grünen ein Referendum gegen die Revision des Büpf erhofft. «Wir haben das so kommen sehen. Leider wachen die Leute erst jetzt auf, wenn es zu spät ist. Erst dann merken sie, was es bedeutet, wenn der Staat frei ist, Daten zu sammeln. Bis jetzt war freies WLAN mühelos möglich. Und jetzt?» Für Glättli ist sehr plausibel, dass der freie WLAN-Zugang mit den zusätzlichen Vorschriften gefährdet ist. «Der Bund will den offenen WLAN-Zugang einschränken oder unterbinden.» Das Problem sei aber nicht erst in der Verordnung, sondern bereits im Gesetz angelegt (wie laut Glättli auch im Nachrichtendienstgesetz, für dessen Verordnung die Vernehmlassung diesen Sonntag ausläuft): «Das Gesetz zielt auf die flächendeckende Überwachung ab. Und es geht eben nicht nur um Schwerkriminelle, wie in der politischen Debatte suggeriert wurde.»
Ähnliches sagt Rechtsanwalt Viktor Györffy, Mitglied der Digitalen Gesellschaft. Anders als UPC und die Parlamentarier ist er allerdings nicht der Ansicht, dass die Verordnung den Rahmen des Gesetzes sprengt. «Dieses geht schon sehr weit.» Es sei in der Logik des revidierten Büpf, im Bereich der Kommunikation alles zu überwachen, was technisch möglich ist. «Die Überwachbarkeit und Erfassung aller Daten war das Ziel. Was das genau heisst, sieht man jetzt.»
Der Wirt muss sich umorientieren
Nils Güggi, Sprecher des Dienstes ÜPF, sagt dazu: «Das Büpf ist für die Überwachung von Straftätern gemacht. Wenn man die Leute nicht kennt, die sich ins Internet einloggen, schafft man für die Strafverfolgungsbehörden Lücken.» Die Verordnung ziele aber lediglich auf die flächendeckende Identifikation der WLAN-Nutzer bei professionellen Kunden ab, also etwa McDonalds, Starbucks oder grösseren Hotels. Privatpersonen müssten nicht alle WG-Partner mit Passnummer mitanmelden, sagt Güggi. Fraglich sei, wie kleinere Betriebe wie etwa ein Café mit den neuen Bestimmungen umgehen. Je nachdem dürfte der Cafébesitzer sein WLAN nicht mehr einfach für alle seine Gäste unkompliziert öffnen. Unter Umständen hänge der Wirt strafrechtlich mit, wenn jemand über sein Netz unerlaubte Taten begeht. Also werde sich der Cafébesitzer wohl ohnehin für einen professionellen Anbieter und ein System entscheiden, das die Identifikationsmerkmale der Nutzer erfasst, sagt Güggi.
Die Vernehmlassung dauert noch bis Ende Juni. Wenn sich die grossen Telekommunikationsanbieter in ihrer Kritik einig sind, so schätzt man, werde der Bundesrat seine Verordnung in den entscheidenden Punkten wohl noch etwas justieren. Doch er muss nicht. Nachdem das Gesetz in Kraft getreten ist, haben Parlament und Bevölkerung kein Mitbestimmungsrecht mehr.
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