Die Staatsanwaltschaft hat gemäss der Art. 269 ff. StPO unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, für Ihre Strafuntersuchungen geheime Überwachungsmassnahmen durchzuführen. Es geht dabei vor allem um die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Telefon, E-Mail, Postverkehr etc.) und die Überwachung mit technischen Überwachungsgeräten (Abhörmikrophone, Richtmikrophone, Standortidentifikationen etc.)
Da es sich hierbei um einen rechtsstaatlich hoch sensiblen Bereich handelt, ist für die Zulässigkeit der Durchführung von geheimen Überwachungsmassnahmen bei den hier untersuchten Fällen eine Genehmigung durch das Zwangsmassnahmengericht notwendig.
Wie schon der Name sagt, ist es das Wesen geheimer Überwachungsmassnahmen, dass die überwachte Person im Zeitpunkt der Überwachung gerade keine Kenntnis von dieser hat. Konsequenterweise sieht deshalb die Strafprozessordnung in diesem Zeitpunkt auch kein Rechtsmittel gegen die Anordnung der Überwachungsmassnahme vor.
Die Staatsanwaltschaft hat nach Art. 275 Abs. 1 StPO die geheime Überwachung unverzüglich einzustellen, wenn die Voraussetzungen der Überwachung nicht mehr erfüllt sind (lit. a) oder die Genehmigung oder Verlängerung für die Überwachung vom Zwangsmassnahmengericht verweigert wurde (lit. b).
Um die überwachte Person bei einem solch massiven Eingriff in die Privatsphäre nicht schutzlos zu stellen, sieht die Strafprozessordnung vor, dass die Staatsanwaltschaft der überwachten Person und den nach Art. 270 lit. b StPO überwachten Drittpersonen spätestens mit Abschluss des Vorverfahrens den Grund, die Art und Dauer der Überwachung mitteilt. Art. 279 Abs. 1 StPO verpflichtet somit die Staatsanwaltschaft, spätestens bei Abschluss des Vorverfahrens (Art. 319 ff. StPO) den Beschuldigten wie auch den nach Art. 270 lit. b StPO betroffenen Drittpersonen (bzw. nach Art. 87 Abs. 3 StPO ihren Rechtsbeiständen), Grund, Art und vor allem auch die Dauer der geheimen Überwachungsmassnahme mitzuteilen. Dazu gehört nicht nur die Nennung des Tatbestandes, sondern auch des relevanten Sachverhalts. Die Überwachungsmitteilung hat einen Hinweis auf die Beschwerdemöglichkeit nach Art. 279 Abs. 3 StPO zu enthalten. Die nachträgliche Mitteilung samt Rechtsmittelbelehrung ist aktenkundig und mit Datum der Eröffnung versehen zu dokumentieren. Nur Mitteilungen solcher Form sind rechtsmittelfristauslösend und somit gültig eröffnet. Überdies haben die Betroffenen Einsicht in die in Zusammenhang mit der Überwachung stehenden Akten, wobei anzumerken ist, dass die Gewährung des blossen Akteneinsichtsrechts nicht ausreicht, um der Mitteilungspflicht zu genügen. Die Mitteilung hat in jedem Fall in der hier beschriebenen Art zu erfolgen, auch wenn die Betroffenen auf anderem Weg von der Überwachung erfahren haben. Die Mitteilung darf sich somit nicht auf eine generelle Eröffnung der Überwachung beschränken, sondern hat auch dann zu erfolgen, wenn die Betroffenen (etwa bei einer Telefonüberwachung) selbst keine Gespräche geführt oder die Überwachung selbst keine verwertbaren Beweise geliefert hat. Eine Mitteilung hat selbstverständlich auch zu erfolgen, wenn zunächst eine geheime Überwachung gegen Unbekannt angeordnet wurde und sich erst im Verlauf der Untersuchung herausstellt, wer die von der Überwachung betroffenen Personen sind.
Die Mitteilung (im Zeitpunkt des Abschlusses des Vorverfahrens) kann nur unter engen Voraussetzungen und mit Zustimmung des Zwangsmassnahmengerichts aufgeschoben oder unterlassen werden. Nach erfolgter Mitteilung über die geheime Überwachungsmassnahme durch die Staatsanwaltschaft kann die durch die geheime Überwachungsmassnahme betroffene bzw. beschwerte Person Beschwerde nach den Art. 393 ff. StPO führen, wobei die Beschwerdefrist mit dem Erhalt der Mitteilung zu laufen beginnt.
Mit Schreiben vom 17. September 2014 hat die Fachkommission beim Zwangsmassnahmengericht eine Tribuna-Fallliste aller durch das Zwangsmassnahmengericht genehmigten geheimen Überwachungsmassnahmen vom 1. Januar 2011 bis zum 21. August 2014 eingeholt sowie angefragt, ob im genannten Zeitrahmen ein Gesuch auf Aufschub oder Unterlassen der Mitteilung gestellt wurde. Die entsprechenden Falllisten wurden der Fachkommission mit Schreiben des Zwangsmassnahmengerichts vom 26. September 2014 zugestellt. Insgesamt sind im untersuchten Zeitraum 862 geheime Überwachungsmassnahmen vollumfänglich und 68 teilweise gutgeheissen worden. Zusätzlich wurden 409 geheime Überwachungsmassnahmen gegen unbekannte Täterschaft bewilligt. Gesuche auf Aufschub oder Unterlassung der Mitteilungspflicht sind beim Zwangsmassnahmengericht bislang keine eingegangen. Um die Zuordnung zu erleichtern, wurde die Fallliste bezüglich der geheimen Überwachungsmassnahmen bei unbekannter Täterschaft mit den Verfahrensnummern der Staatsanwaltschaft ergänzt.
Die Staatsanwaltschaft wurde schliesslich mit Schreiben vom 3. Oktober 2014 und gleichzeitiger Übersendung der Falllisten des Zwangsmassnahmengerichts aufgefordert, der Fachkommission mitzuteilen, in welchen Fällen, in denen das Vorverfahren bereits abgeschlossen ist, eine schriftliche Mitteilung über die geheimen Überwachungsmassnahmen mit Rechtsmittelbelehrung erfolgt ist.
Mit Schreiben vom 14. November 2014 teilte die Staatsanwaltschaft mit, dass die Kanzlei während rund einer Woche versucht habe, anhand der zugestellten Listen des Zwangsmassnahmengerichts eine Zuordnung zu den Verfahren der Staatsanwaltschaft vorzunehmen. Dies sei erheblich erschwert worden, als dass nur in wenigen Fällen die Verfahrensnummer der Staatsanwaltschaft aufgeführt gewesen sei. Den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten sei der Auftrag erteilt worden, hinter der jeweiligen Verfahrensnummer zu vermerken, wie die Mitteilung erfolgt sei. Mangels der zur Verfügung stehenden Zeit (3. Oktober bis 14. November) hätten bei Unklarheiten oder Fragen keine weiteren Abklärungen vorgenommen werden können. Bei denjenigen Verfahren, welche sich bereits bei Gericht befänden, sei ausserdem eine Stellungnahme nicht möglich gewesen. Für die der Staatsanwaltschaft zuordnenbaren Verfahrensnummern wurde eine Liste erstellt, in der angegeben wurde, ob und ggf. wie der Mitteilungspflicht nachgekommen wurde. Darüber hinaus wurden der Fachkommission zwei Tribunavorlagen „Mitteilung einer Überwachungsmassnahme" und „Mitteilung einer technischen Überwachung" zur Verfügung gestellt.
Hierzu ist zunächst anzumerken, dass auf den Falllisten des Zwangsmassnahmengerichts die Namen der Beschuldigten aufgeführt sind und - wie bereits dargestellt – bei allen Verfahren gegen unbekannt (409 genehmigte Überwachungen) vom Zwangsmassnahmengericht die Verfahrensnummern der Staatsanwaltschaft aufgeführt waren. Eine Zuordnung sollte deshalb ohne weiteres möglich gewesen sein.
Die Prüfung der Liste zeigt nach Ansicht der Fachkommission das Folgende auf:
1. Bei den insgesamt 409 genehmigten Überwachungsmassnahmen gegen unbekannte Täterschaft war es der Staatsanwaltschaft (und folglich auch der Fachkommission) nicht möglich, die Einhaltung der Mitteilungspflicht zu überprüfen.
2. Bei den 930 (teilweise) genehmigten geheimen Überwachungsmassnahmen konnte die Fachkommission anhand der Angaben in der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vom 14. November 2014 nicht konsistent ablesen, ob die Mitteilung rechtsgenügend ergangen ist. Der Modus der Mitteilung erfolgt uneinheitlich.
3. Gesuche der Staatsanwaltschaft auf Aufschub oder Unterlassung der Mitteilung sind beim Zwangsmassnahmengericht in der Zeit vom 1. Januar 2011 bis zum 21. August 2014 keine eingegangen.
4. In denjenigen Verfahren, in denen die Staatsanwaltschaft angegeben hat, der Mitteilungspflicht durch ein (blosses) Akteneinsichtsrecht nachgekommen zu sein, ist festzuhalten, dass dies den Anforderungen von Art. 279 StPO nicht genügt. Auch die blosse Aushändigung des Entscheides des Zwangsmassnahmengerichts reicht nach Ansicht der Fachkommission nicht aus, da - wie bereits geschildert - auch die Dauer der konkret erfolgten Überwachung mitgeteilt werden muss.
Konsequenz ist, dass in diesen Fällen die Beschwerdefrist noch nicht zu laufen begonnen hat. Ist das Vorverfahren bereits abgeschlossen und wurde der Umstand der Überwachung in der Untersuchung nicht offengelegt und vor Abschluss der Untersuchung auch vergessen, Einsicht in die Überwachungsergebnisse zu erteilen, dann sind die aus der Überwachung gewonnenen Beweismittel ausserdem nicht verwertbar. Ob ein Beweisverwertungsverbot auch dann anzunehmen ist, wenn zwar Akteneinsicht gewährt wurde, die formelle Mitteilung aber nicht ergangen ist, ist höchstrichterlich noch nicht geklärt.
5. Bezogen auf die Tribuna-Vorlage (Arbeitsvorlage der Staatsanwaltschaft), welche in einem Teil der Fälle genutzt wurde, ist anzumerken, dass diese nur dann rechtsgenügend ist, wenn nicht nur der mutmasslich erfüllte Straftatbestand, sondern auch der massgebliche Sachverhalt angegeben wird.
6. Die Staatsanwaltschaft war es innert der Frist von knapp sechs Wochen nicht möglich, alle auf der Liste des Zwangsmassnahmengerichts aufgeführten Verfahrensnummern den eigenen Verfahren zuzuordnen. Aus Sicht der Fachkommission ist somit festzuhalten, dass in diesem Bereich eine Qualitätssicherung durch die Leitung derzeit nicht gewährleistet ist.
Die Staatsanwaltschaft hat in der Besprechung vom 10. Dezember 2014 zugesichert, die gesetzlichen Anforderungen an die Mitteilungspflicht im Rahmen einer Weisung zu konkretisieren und dabei auch die Mitteilungspflicht gegenüber Drittpersonen (Art. 270 lit. b StPO) zu erfassen. Zudem sollen die organisatorischen Vorkehrungen getroffen werden, welche es der Leitung ermöglichen, die Einhaltung der Gesetzesvorgaben zu überprüfen. Die Fachkommission befürwortet das Vorhaben der Staatsanwaltschaft und beantragt dem Regierungsrat, die Staatsanwaltschaft unter Fristansetzung zu verpflichten, Personen die bislang einer geheimen Überwachungsmassnahme (geheime Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, geheime Überwachung mit technischen Überwachungsgeräten, Überwachung von Bankbeziehungen usw.) unterzogen worden sind bzw. durch eine solche belastet sind (Drittpersonen), rechtskonform über ihre Rechte aufzuklären oder aber beim Zwangsmassnahmengericht entsprechende Anträge auf Aufschub oder Unterlassung der Mitteilung zu stellen. Die Leitung ist anzuweisen, entsprechende organisatorische Vorkehrungen zu treffen, die es ermöglichen, die Einhaltung der Gesetzesvorgaben zu überprüfen.
Fazit:
• Verdächtige Personen und deren Umfeld, die geheim überwacht werden, müssen von der Staatsanwaltschaft spätestens mit Abschluss des Vorverfahrens so informiert werden, wie es das Gesetz verlangt. Bei Nichtinformation oder Aufschub der Mitteilung ist ohne Verzug die Zustimmung des Zwangsmassnahmengerichts einzuholen.
• In der Zeit vom 1. Januar 2011 bis zum 21. August 2014 sind beim Zwangsmassnahmengericht keine Anträge der Staatsanwaltschaft auf Aufschub oder Unterlassung der Mitteilung eingegangen.
• Die diesbezüglichen gesetzlichen Vorgaben wurden seit 2011 nicht immer eingehalten und sind mangels Bewirtschaftung durch die Staatsanwaltschaft hier auch nicht überprüfbar. Die Fachkommission kann somit keine Aussage darüber machen, in wieviel Prozent der Fälle die überwachten Personen und deren Umfeld durch die Staatsanwaltschaft informiert worden sind. Dies, weil solche Daten bislang durch die Staatsanwaltschaft auch nicht elektronisch bewirtschaftet worden sind und die Leitung folglich darüber keine Übersicht und Kontrolle hat.
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