Lukas Häuptli, NZZ am Sonntag
Automatischer Abgleich mit Fahndungslisten – Datenschützer werten Vorgehen als unzulässig
Die Polizei sammelt Millionen von Hotelgast-Daten und gleicht sie mit ihrem Fahndungssystem ab. Das hat mitunter skurrile Folgen – etwa dann, wenn Beamte eine Parkbusse mitten in der Nacht zustellen.
Horst Müller (Name geändert) schlief schnell ein. Es war 1 Uhr 30 in der Nacht, und der 60-Jährige hatte eine lange Autofahrt aus Deutschland und ein fröhliches Fest im Kanton Zug hinter sich. Nach ein paar Minuten klopfte es plötzlich an der Tür von Müllers Zimmer im Baarer Hotel «Ibis». Einmal, zweimal, dann sagte eine Männerstimme: «Machen Sie auf, und weisen Sie sich aus.» Dem Deutschen wurde mulmig, er rief die Notfallnummer 117 an. Doch der Polizist am Apparat erklärte ihm das Gleiche: Er solle aufmachen und sich ausweisen. Andernfalls würden die Männer die Türe mit einem Passepartout öffnen.
«Noch nicht auf seinem Zimmer»
Nach ein paar weiteren Minuten zeigte sich: Die beiden Männer vor der Türe waren Polizisten, die dem Deutschen eine Parkbusse zustellen wollten. Die Busse hatte die Stadtpolizei Zürich ein Jahr zuvor ausgesprochen; eine Zustellung per Post scheiterte, weil Müller zum fraglichen Zeitpunkt in den Ferien war. Die Zuger Kantonspolizei bestätigt, dass zwei Beamte die Parkbusse nachts um 1 Uhr 30 überbracht haben, rechtfertigt sich aber: «Die Zustellung erfolgte deshalb so spät, weil der Gast kurz zuvor noch nicht auf seinem Zimmer war.»
Warum aber wusste die Kantonspolizei Zug überhaupt, dass Horst Müller in jener Nacht im November 2012 im Baarer Hotel «Ibis» übernachtete? Der Grund ist einfach: Im Kanton Zug werden die Daten aller Hotelgäste automatisch an die Polizei weitergeleitet. Die gleiche Praxis besteht in elf weiteren Kantonen und Halbkantonen (vgl. Karte), unter anderem in Zürich und Genf, im Tessin und Wallis. Die Polizei sammelt auf diese Weise jedes Jahr mindestens drei Millionen Daten von ausländischen und inländischen Hotelgästen. Im Kanton Zürich sind es pro Jahr rund 1,2 Millionen, in Genf 900 000, im Tessin 580 000 und im Thurgau 100 000, wie deren Polizeisprecher angeben; im Wallis und in Freiburg weiss man nicht, wie viele Daten auf diese Weise erhoben werden. Fest steht aber, dass die Polizei in den zwölf Kantonen die Hotelgast-Daten mit den Daten der beiden Fahndungssysteme Ripol (Schweiz) und SIS (Europa) abgleicht. In Ripol und SIS werden unter anderem Personen aufgeführt, die wegen Straftaten zur Verhaftung ausgeschrieben sind, aber auch Personen, deren Adresse oder Aufenthaltsort der Polizei nicht bekannt ist. Die Polizei bewahrt die Daten je nach Kanton zwischen zwei und zehn Jahren auf und stützt ihr Vorgehen auf unterschiedliche kantonale Gesetze. Wie legal die automatische Erfassung und der systematische Abgleich der Hotelgast-Daten sind, ist fraglich. Die Aufsichtsbehörde über das Sicherheits-Abkommen Schengen kommt in ihrem Bericht vom April 2013 jedenfalls zum Schluss, dass der «automatische» Abgleich von Hotelgast-Daten mit dem europäischen Fahndungssystem SIS mit dem Schengen-Abkommen «nicht vereinbar» sei. In der Schweiz gilt das Abkommen seit Ende 2008.
Gäste «unter Generalverdacht»
René Huber, Datenschutzbeauftragter des Kantons Zug, hält denn auch fest: «Es ist unverhältnismässig und daher unzulässig, dass die Polizei alle Hotelgast-Daten mit ihren Fahndungsdaten abgleicht. Damit werden sämtliche Hotelgäste dem Generalverdacht ausgesetzt, kriminell zu sein.» Und Pascal Steinemann von der Abteilung Rechtsetzung der Sicherheitsdirektion Basel-Landschaft sagt: «In den heutigen Gesetzen fehlt eine Definition, für welche Zwecke eine Datenauswertung erfolgen kann.»
Fraglich ist auch, was das Sammeln und Abgleichen der Millionen von Hotelgast-Daten bringt. Einerseits wird nämlich noch immer ein beträchtlicher Teil der Meldescheine nicht elektronisch übermittelt, sondern von Polizisten in den Hotels eingesammelt – zum Teil täglich. Und andererseits führt der automatische Abgleich der Daten nicht in allen Kantonen zum gewünschten Erfolg. Zwar kommt es im Kanton Zürich zu durchschnittlich 1000 Treffern pro Jahr (0,8 Promille der gemeldeten Hotelgäste); im Kanton Baselland waren es im Jahr 2010 aber nur fünf (0,1 Promille).
Steinemann sagt denn auch: «Aufwand und Ertrag stehen hier in einem ungünstigen Verhältnis zueinander.» Aus diesem Grund wird im Halbkanton zurzeit das Polizeigesetz revidiert. Künftig sollen die Hotelgast-Daten nicht mehr automatisch an die Polizei weitergeleitet werden. Vielmehr werden die Hotels verpflichtet, die Daten zu erfassen und aufzubewahren, damit die Polizei in Einzelfällen auf sie zurückgreifen kann. Zwölf Kantone und Halbkantone kennen diese Regelung bereits heute.
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