Er nahm so viele Daten nach Hause, wie er kriegen konnte

7. Oktober 2015

Tages-Anzeiger

Ein Mitarbeiter hat dem Nachrichtendienst des Bundes die peinlichste Panne seiner Geschichte beschert. Nun stellt ihn die Bundesanwaltschaft vor Gericht.

Die Sache wäre fast zum GAU geworden, zum grössten vorstellbaren Unfall für den noch jungen Nachrichtendienst des Bundes (NDB). Ab Sommer 2011 hatte ein Informatiker beim im Vorjahr fusionierten Geheimdienst begonnen, vertrauliche Daten zu entwenden. Der heute 47-jährige Techniker wusste, wie er die Informatiksicherheitssysteme austricksen konnte.

Und C. B. (Name der Redaktion bekannt) nahm so ziemlich alles mit nach Hause, was er exportieren konnte: Informationen zu allen Verfahren des Nachrichtendienstes, Gesprächsnotizen, die Daten von Partnern in der Schweiz und auf der ganzen Welt.

Wären die hoch sensiblen Informationen in die falschen Hände geraten, hätte dies unter Umständen Operationen verunmöglicht, Agenten und Informanten gefährdet und das Vertrauen in die Schweizer Sicherheitsbehörden auf Jahre hinaus zerstört. Doch so weit kam es nicht. Die Daten blieben – das zeigten die intensiven Ermittlungen – bei C. B. Zu Hause in einem Berner Vorort. Deshalb hat die Bundesanwaltschaft nun den in Süditalien geborenen Techniker wegen politischen Nachrichtendienstes und «nur» wegen versuchter Verletzung des Amtsgeheimnisses angeklagt. Sprecherin Anna Wegelin bestätigt entsprechende Informationen des TA: «Die Bundes­anwaltschaft hat die Anklage gegen die besagte Person am 1. Oktober 2015 beim Bundesstrafgericht eingereicht.»

Vertrauliche Daten auf Beamer

Der Versuch der Datenweitergabe war aber allem Anschein nach fortgeschritten. Als am 25. Mai 2012 das Reihenhaus des schweizerischen Staatsangehörigen und Familienvaters durchsucht wurde, stiessen die Ermittler auf zwei Schreiben in englischer Sprache. Darin wurden die entwendeten Daten zum Verkauf angeboten. C. B. jedoch sagte aus, er habe die Daten nach Hause genommen, um sich in Arbeitsstreitigkeiten abzusichern – die es tatsächlich gab: Der Informatiker hatte sich nach der Fusion des schweizerischen Inland- und Auslandsdienstes zum NDB zusehend isoliert gefühlt. Es kam zu längeren Abwesenheiten und zu Konflikten in der NDB-Zentrale in Bern.

Heikle Gerichtsverhandlung

C. B. ist bis heute nicht geständig, was ein abgekürztes Verfahren verunmöglichte. Dies hätte dem NDB eine ausgedehnte Gerichtsverhandlung erspart, in der öffentlich über den Geheimdienst gesprochen wird. Nun suchen die Beteiligten nach Wegen, wie verhindert werden kann, dass aus dem Bundes­straf­gericht heikle Informationen doch noch bekannt werden. Bis jetzt waren die sicher­gestellten Daten aussergewöhnlich gut geschützt worden. Um sie einzusehen, musste die Verteidigung mehrfach aus dem Tessin nach Bern anreisen. Dort wurden ihr die Dokumente mit einem Beamer vorgeführt. C. B. hatte mehrmals den Anwalt gewechselt und war in die Südschweiz gezogen. Mitten im Verfahren gab der in Italien aufgewachsene Baselbieter Bürger an, er verstehe kaum mehr Deutsch.

Auf die Schliche war der NDB seinem inzwischen entlassenen Mitarbeiter gekommen, als C. B. bei der UBS mit sonderbaren Angaben ein Konto eröffnen wollte. Die Grossbank meldete dies dem Arbeitgeber. Die Bundesanwaltschaft liess den Informatiker observieren und hörte Telefone ab. Als C. B. am 25. Mai 2012 verreisen wollte, schlug man zu. Der Verdächtige verbrachte rund sechs Wochen in Untersuchungshaft. Danach wurde er psychiatrisch begutachtet. Dabei wurden keine Besonderheiten festgestellt, die auf einen Strafprozess einen besonderen Einfluss hätten.

 

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