Verteidigungsminister Ueli Maurer hat die Inspektionsleiter der Geheimdienstaufsicht geschasst, die im Zusammenhang mit dem Informationssystem Isis auf gravierende Mängel hingewiesen hatten.
Eine kritische Aufsicht kann dazu beitragen, die Risiken eines Datenklaus oder anderer Verfehlungen zu reduzieren. Doch ausgerechnet der internen Aufsicht des Geheimdienstes hat Verteidigungsminister Ueli Maurer vor wenigen Monaten die Flügel gestutzt: Er entliess die kritische zweiköpfige interne Aufsicht über den Inlandnachrichtendienst. Wer etwas darüber erfahren will, wird im Ende März 2012 veröffentlichten «Tätigkeitsbericht des Kontrollorgans über den Staatsschutz Basel-Stadt» fündig, der auf den ersten Blick gar nichts mit dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB) zu tun hat. Da aber die Kantone mit dem NDB zusammenarbeiten, wurde die Entlassung von zwei Inspektionsleitern dort erwähnt: Die Gründe werden nicht genannt.
Das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) betont auf Anfrage, in beiden Fällen seien die Arbeitsverträge in gegenseitigem Einvernehmen aufgelöst worden. Bei einer Person ende das Arbeitsverhältnis am 31. August. Der andere Mitarbeiter habe einen neuen Arbeitsvertrag im Bereich Verteidigung erhalten, der bis 30. September 2013 befristet sei. Gründe für die Trennung von den beiden Inspektionsleitern nennt das VBS keine.
Kontrolltätigkeit eingeschränkt
Hinweise gibt ein Blick in die Vergangenheit. Bis Ende 2008 war der schweizerische Nachrichtendienst aufgeteilt in einen Inlandgeheimdienst (Dienst für Analyse und Prävention, DAP) und in den Auslandgeheimdienst beim VBS (Strategischer Nachrichtendienst, SND). Der Bundesrat beschloss, auf Anfang 2009 den Inlandgeheimdienst vom EJPD ins VBS zu überführen. Ein Jahr später wurden DAP und SND in einem neuen Bundesamt (NDB) fusioniert. Das Ziel der Übung: mehr Effizienz. Der DAP war wie auch die beiden Inspektionsleiter damals beim Justizdepartement EJPD angesiedelt.
Mit dem Wechsel ins VBS wurde die Kontrolltätigkeit der beiden Inspektionsleiter eingeschränkt. So fielen nach Informationen, die dieser Zeitung vorliegen, alle Aufgaben auf Departementsstufe weg. Das VBS bestreitet eine Änderung bei den Kompetenzen, womit Aussage gegen Aussage steht. Im Organigramm gehörten die Inspektionsleiter neu zum Stab und waren nicht mehr wie bisher dem Generalsekretär unterstellt. In der Folge erhielten sie einen Vorgesetzten der Armee, der kein Fachexperte im Bereich Inspektionen war. Die beiden Neuankömmlinge im VBS wurden nicht mehr in den Gebäuden des Bundeshauses einquartiert, sondern ausserhalb an der Maulbeerstrasse. Sie sollen keinen Zugang mehr zu heiklen Informationen erhalten haben.
Lob von der GPDel
Teilweise wird auch kolportiert, die beiden Mitarbeiter hätten sich mit ihrem Wechsel ins VBS nicht anfreunden können, sodass die Entlassung unausweichlich geworden sei. Dagegen spricht der Bericht der parlamentarischen Geheimdienstaufsicht (Geschäftsprüfungsdelegation, GPDel) vom 21. Juni 2010, der bescheinigt, dass «das Zusammenspiel» mit der internen Aufsicht «vorbildlich funktioniert hat». Auch im erwähnten Basler Bericht finden sich lobende Worte.
Im gleichen Bericht kritisierte die GPDel schonungslos Mängel beim Informationssystem innere Sicherheit (Isis). Der Bericht basierte auf Rapporten der internen Aufsicht. Der DAP hatte Isis 2005 eingeführt, die Probleme waren auch fünf Jahre später noch weit von einer Lösung entfernt. Isis ist eine Datenbank, die Informationen über verdächtige Personen enthält. Der GPDel-Bericht schlug öffentlich Wellen - von einem weiteren Fichenskandal war die Rede. Gemäss zuverlässigen Informationen reagierte Maurer «sehr beunruhigt» auf die Kritik, da andere Stellen zu einem anderen Schluss gekommen waren. Weil die GPDel die Kritik publik gemacht hatte, musste das VBS nun handeln.
Schuss vor den Bug
Der Verteidigungsminister ging auch gegen die Überbringer der schlechten Nachrichten vor: Er veranlasste kurz darauf, dass beide Inspektionsleiter eine Lohnklasse herabgestuft würden. Ende Jahr wurde ihnen ohne vorherige Information der neue Arbeitsvertrag vorgelegt. Dieser Schuss vor den Bug hielt die Inspektionsleiter nicht davon ab, bei Isis weiterhin den Finger auf wunde Stellen zu legen. Zunehmend geriet auch die Aufsicht unter Beschuss des Departementschefs. Der Ton wurde gehässiger.
Ende 2011 übernahm Nationalrat Pierre-François Veillon (VD) das GPDel-Präsidium. Er gehört wie Maurer der SVP an. Ebenfalls im Dezember geben die beiden Inspektionsleiter ihre Berichte für das laufende Jahr dem NDB ab. Erneut übten sie harte Kritik an Isis. Sie stellten fest, dass die Empfehlungen der GPDel nicht umgesetzt wurden. Gar keine Freude daran hatte dem Vernehmen nach Markus Seiler, Direktor des Nachrichtendiensts des Bundes (NDB). Kurze Zeit später - Ende Januar - enthob Maurer beide Mitarbeiter ihrer bisherigen Funktion.
GPDel mahnt Ueli Maurer
Obwohl GPDel-Präsident Veillon ein Parteikollege Maurers ist, scheint ihm bei der Entlassung nicht ganz wohl gewesen zu sein. Jedenfalls wies er Maurer schriftlich darauf hin, dass die eigentlich unabhängige Aufsicht nicht wegen kritischer Berichte entlassen werden dürfe. Die Stellen wurden inzwischen neu besetzt. Die Funktionsbezeichnungen lassen Rückschlüsse auf die Veränderungen bei der Geheimdienstaufsicht zu: Die bisherigen «Inspektionsleiter» wurden zu einfachen «Inspektoren» degradiert.
Das VBS schreibt dazu in einer Stellungnahme, es sei ein zusätzlicher Inspektor mit Erfahrung im Sicherheitsrecht eingestellt worden. Zudem werde die Aufsicht bis mindestens Ende 2012 mit einem erfahrenen Inspektionsleiter verstärkt. «Somit wurden die personellen Vakanzen in der nachrichtendienstlichen Aufsicht bereits nach wenigen Monaten besetzt.» Ironie der Geschichte: Der Fichenskandal in den 80er-Jahren gab den Ausschlag, dass überhaupt erst eine Aufsicht über den Geheimdienst eingeführt wurde. Solch ausufernde Datensammlungen sollten sich nicht wiederholen können. Neue Fichenprobleme trugen nun möglicherweise zu einer Schwächung dieser Aufsicht bei.
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