Thomas Knellwolf und Philippe Reichen, Tages-Anzeiger
Der Nachrichtendienst des Bundes hat mit der Affäre Giroud offiziell nichts zu tun, aber sie offenbart Mängel bei der Auswahl und Führung von Agenten und Informanten. Genf scheint ein besonders heikles Pflaster.
Mit einem Schreiben an die «lieben Kollegen» reagierte der Direktor des Nachrichtendienst des Bundes (NDB) vergangene Woche auf die Enthüllungen im Fall Giroud. Markus Seiler kritisierte in der internen Mitteilung die «Boulevard- und Sonntagsmedien» und warf ihnen «Vorverurteilung und Skandalisierung» vor. Der NDB-Chef weist jede Verwicklung seines Dienstes in die Affäre um den Walliser Weinhändler Dominique Giroud kategorisch von sich. Dies mag insofern stimmen, als dass der Umgang mit Fendant, Saint Saphorin und Steuerdelikten tatsächlich nicht zum Kerngeschäft eines Nachrichtendienstes gehört. Doch der Fall offenbart, dass der schweizerische Geheimdienst Probleme, die früher an ähnlichen Orten auftauchten, nicht vollständig bewältigt hat. Darauf deuten TA-Recherchen hin.
In die Schlagzeilen geriet der NDB vor drei Wochen. Die Genfer Staatsanwaltschaft machte publik: Zwei Journalisten, die über Girouds Geschäftspraktiken und Strafverfahren recherchierten, seien Opfer einer Hackerattacke geworden. Man habe vier Tatverdächtige festgenommen, darunter einen Agenten in Diensten der Eidgenossenschaft.
Zwei Wochen blieb das Quartett in Untersuchungshaft. Am Abend der Freilassung teilten die Genfer Strafermittler mit, der Nachrichtendienst habe mit dem mutmasslichen Angriff auf die Computer der Reporter von Anfang März nichts zu tun.
Unerwähnt blieb: Bis vor kurzem waren ausser Giroud alle Tatverdächtigen in der einen oder anderen Form für den NDB aktiv. Der erste als langjähriger Agent (er ist nun vom Dienst suspendiert); der zweite, ein professioneller Hacker, stellte gemäss seinem Strafverteidiger seine Fähigkeiten «als Patriot» wiederholt dem Nachrichtendienst zu Verfügung; der dritte, ein Genfer Privatdetektiv, arbeitete als Informant für den NDB.
Obwohl derzeit tatsächlich alles darauf hindeutet, dass die Planung der Hackerattacke und die (aufgeflogene) Durchführung eine private Operation der Beteiligten war, gerät die Personalpolitik des Dienstes mit Sitz an der Berner Papiermühlestrasse in ein schiefes Licht - insbesondere was den Agenten und den Privatdetektiv betrifft.
Oligarchenkenner als Informant
Der nun beschuldigte Agent war bereits vor einem Jahrzehnt in die Affäre um den «Moschee-Spion» Claude Covassi verwickelt. Damals arbeitete er als junger Inspektor bei einer Spezialeinheit der Genfer Polizei. Seine Brigade für besondere Untersuchungen (Bris) bei der Kantonspolizei ist eine Art Dependance des Nachrichtendiensts in Genf.
«François» nannte die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) des Parlaments den Inspektor in ihrem Untersuchungsbericht. Dieser «François» kam im GPDel-Bericht wegen seiner Rolle als Verbindungsoffizier zu Covassi nicht allzu gut weg. Covassi spielte die Agenten beider Dienste gegeneinander aus, was ein Leichtes war, weil die Kommunikation zwischen den Verbindungsoffizieren nicht funktionierte. Erschwerend kamen unterschiedliche Ansichten hinzu, wie weit ein NDB-Mitarbeiter sich mit einem Informanten verbrüdern darf. «François» vertrat laut die Ansicht, «man müsse sich bei der Führung der Quelle anpassungsfähig zeigen und ihrem Ego schmeicheln, auch auf die Gefahr hin, dass hie und da etwas aus dem Ruder laufe».
So steht es im GPDel-Bericht vom 15. Mai 2007. Im gleichen Jahr kam der Genfer Polizist beim Strategischen Nachrichtendienst unter, dem Auslanddienst in Bern. «François» hatte diesen Aufstieg angestrebt und konnte auf seine Kontakte in der Bundesstadt zählen. Als der SND mit dem Inlandgeheimdienst zum NDB fusionierte, wurde der Mann übernommen, der gemessen an seinem Habitus auch als Investmentbanker durchgehen würde. Für den NDB warb «François» den Genfer Privatdetektiv an. Er führte den Informanten wegen angeblich guter Beziehungen nach Osteuropa und in Oligarchenkreise ein. Der Detektiv sei dank seines Kontaktnetzes in der Lage, mitzuhelfen, Angriffe auf den Genfer Finanzplatz abzuwehren, soll «François» geworben haben.
An der Papiermühlestrasse kam dies gut an. Im Herbst 2013 verpflichtete der NDB den Informanten definitiv, obschon es eine interne Warnung gab. Ein anderer Genfer Agent aus der Spionageabwehr hatte gemäss TA-Recherchen während mehrerer Jahre informell mit derselben Quelle zusammengearbeitet. Er wies darauf hin, dass der Detektiv nicht absolut zuverlässig sei. Vergeblich.
Dem Detektiv schmeichelte es, für den Geheimdienst zu arbeiten, obwohl er nur relativ bescheidene Entschädigungen und Reisespesen, also keine grossen Einkünfte erwarten durfte. Er wäre selbst gern Polizist oder Geheimagent geworden, ergriff stattdessen aber den Beruf als Privatdetektiv. In der Branche hatte er rasch den Ruf, indiskret zu sein. Sein Umfeld liess er an seiner Arbeit für den NDB aktiv teilhaben, was natürlich nicht vorgesehen ist.
Agent wollte NDB verlassen
Agent «François» und der Detektiv waren auch privat befreundet. 2013 wälzten sie Pläne, ein Sicherheitsunternehmen zu gründen. Dies, weil der Agent gemäss TA-Informationen mit seiner beruflichen Situation unzufrieden war. Mit der Nähe zum Informanten und den Plänen für eine Firmengründung dürfte er gegen interne Richtlinien des Dienstes verstossen haben. Er ist in dieser Hinsicht eine Art Wiederholungstäter: Schon mit «Moschee-Spion» Covassi hatte er gemäss GPDel eine «enge freundschaftliche Beziehung» gepflegt.
Gemäss einem vertraulichen Handbuch des ehemaligen Inlandsgeheimdienstes aus dem Jahr 1997 ist es Führungsoffizieren insbesondere «untersagt, eine über die Arbeit hinausgehende persönliche Beziehung mit dem Informanten einzugehen bzw. zu unterhalten». Das Handbuch war bis weit in die Nullerjahre in Gebrauch.
Ob es noch heute angewendet wird und andere Fragen wollte der NDB nicht beantworten. Gemäss Experten bei Nachrichtendiensten gehört die zitierte Regel aber weltweit zum Standard.
Die angestrebte Gründung eines Sicherheitsunternehmens durch den NDB-Mitarbeiter und durch den Privatdetektiv scheiterte am Ende - aber nicht an Reglementen. Vielmehr konnte der Agent eine Veränderung in seinem beruflichen Umfeld innerhalb des NDB bewirken und ein Weiterbildungsstudium an der Universität Genf in Angriff nehmen.
Die Zusammenarbeit mit dem Informanten blieb intensiv - zuletzt auch wegen den Planungen im Fall Giroud. Erst im Februar endete sie abrupt, weil der Detektiv ein erstes Mal in Untersuchungshaft genommen wurde. Der Verdacht: Bestechung von Beamten des Genfer Konkursamts.
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