Von Henry Habegger und Beat Kraushaar, Schweiz am Sonntag
Nationalrätin Regula Rytz, Co-Präsidentin der Grünen, sagt es so: «Es ist eine Affäre voller undurchsichtiger Verbindungen und Fäden, die ihren Ausgangspunkt in Walliser Clans hat und Verbindungen bis in den Geheimdienst hinein. Es braucht lückenlose Aufklärung.»
Am Anfang ging es «nur» um Betrug am Fiskus und Weinpanscherei. Wegen dieser Vorwürfe laufen gegen den Walliser Weinhändler Dominique Giroud diverse Verfahren. Doch seit Mittwoch nimmt die Affäre weit bedrohlichere Ausmasse an. Neben Giroud wurden von der Genfer Justiz ein Hacker, ein Privatdetektiv und ein Mitarbeiter des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) in Haft gesetzt. Der Verdacht: Sie sollen Computer, insbesondere von welschen Journalisten, gehackt haben, um an deren Informanten heranzukommen.
Der Geheimdienst beeilte sich, wie immer in solchen Fällen, zu versichern, er habe nichts mit der Sache zu tun. Der Mann wurde per sofort freigestellt, aber nicht entlassen.
Fakt ist: Der hinter Gitter sitzende Geheimdienstler A. D.* ist ein seit Jahren im Terrorbereich tätiger Topexperte. Bis Anfang 2007 war er formell Inspektor der Genfer Spezialtruppe «Brigade de recherche et intervention» (BRIS), bevor er zu einem Vorgängerdienst des NDB wechselte. Sein Tarnname: «Virgine».
Es war A. D., der 2004 «Moschee-Spion» Claude Covassi als V-Mann an P. S.*, die Nummer zwei der Abteilung islamischer Terrorismus im Geheimdienst, vermittelte. Covassi, Tarnname Babylon, infiltrierte darauf das islamische Zentrum in Genf, namentlich um belastendes Material über dessen Leiter Hani Ramadan zu beschaffen. Es ging bei dieser «Operation Memphis» etwa darum, islamistische Schläfer zu enttarnen und gewaltbereite Personen zu enttarnen. Covassi starb letztes Jahr in einem Hotel - angeblich an einer Überdosis Drogen.
Bei geheimen Treffen brachte A. D. den Moschee-Spion auch in Kontakt mit J. R.*. Der Walliser mit dem Tarnnamen «Ibn Sallah» war in leitender Funktion bei der Terrorabwehr der Bundeskrimimalpolizei tätig. R. gilt als unzimperlich. So drohte er einem inhaftierten Islamisten, ihn nach Guantanamo zu verfrachten, wenn er nicht auspacke. J. R. ist heute Chef bei einem privaten Genfer Anti-Terror-Zentrum.
Der in Haft sitzende Geheimdienstler war auch bei einer spektakulären Aktion gegen einen Top-CIA-Agenten an vorderster Front mit dabei. 2003 entführte ein US-Geheimdienstkommando in Mailand auf offener Strasse den Imam Abu Omar und brachte ihn durch den Schweizer Luftraum nach Ägypten. Die italienische Justiz suchte darauf über 20 CIA-Agenten per internationalen Haftbefehl. Der Leiter des Kommandos, Robert Seldon Lady, setzte sich nach Genf ab.
Dort wurde Lady 2006 laut Informationen der «Schweiz am Sonntag» von A. D. tagelang in einem getarnten Fahrzeug überwacht. Er und seine Kollegen von der BRIS waren bereit, den CIA-Agenten zu verhaften. Doch aus Bern kam die Weisung, ihn laufen zu lassen. Warum, blieb ein Rätsel, denn die Bundesanwaltschaft hatte Ermittlungen laufen.
Die angebliche Rolle des Top-Agenten A. D. in der Affäre Giroud macht stutzig. Genfer Insider sagen, dass er schon lange mit dem schillernden Detektiv M.* zusammenarbeitet. «A. M. machte für den Nachrichtendienst Drecksarbeiten, die dieser nicht selber machen konnte», behauptet ein Insider.
Offenbar weiss der zuletzt immer wieder in Affären verwickelte NDB unter Direktor Markus Seiler selbst nicht, welche Rolle M. spielte. Auf die Frage, ob A. M. für den NDB arbeitete, sagt Sprecher Felix Endrich: «Das wird die Untersuchung der Genfer Behörden zeigen müssen.» Laut dem Insider gibt es Hinweise, dass der NDB seit einigen Monaten wusste, dass M. eine seiner Quellen war.
Gegen M. läuft in Genf auch ein Verfahren, weil er versucht haben soll, Beamte zu bestechen. Auch in diesem Verfahren spielt NDB-Mann A. D. eine Rolle. Endrich bestätigt: «Der Name des Mitarbeiters tauchte im Zusammenhang mit einem anderen Genfer Strafverfahren auf, allerdings als Drittperson, nicht als Beschuldigter und nicht als Auskunftsperson.
Detektiv A. M. war einst Mitglied der SVP, bevor er zur rechtspopulistischen Genfer Bürgerbewegung MCG wechselte und für diese im Gemeinderat einer Genfer Vorortsgemeinde sass.
Es gibt eine weitere mysteriöse Dimension in der Affäre. Laut welschen Medien stehen Weinhändler Giroud wie auch der mit ihm befreundete NDB-Mann A. D. der rechtskatholischen Piusbruderschaft nahe, die etwa im Wallis auch politisch mitmischt. Laut «Le Matin» haben Giroud und D. «freundschaftliche Verbindungen im Umfeld der Piusbruderschaft, der die Familie von D. in Frankreich nahesteht.»
Die Piusbruderschaft ist bekannt dafür, dass sie gegen Juden, Muslime und Schwule hetzt. Beobachter fragen sich, ob es im Umfeld des NDB eine Zelle gibt, die sich einer Art Kreuzzug verschrieben hat oder politisch motiviert ist. Und dabei zu widerrechtlichen Mitteln greift.
Die Affäre ist vertrackt und undurchsichtig. Für den NDB und dessen Gripen-geschädigten politischen Chef Ueli Maurer kommt sie im dümmsten Augenblick. Der Dienst soll künftig präventiv Telefone abhören, Privaträume verwanzen oder in Computer eindringen können. Ab August steht im Parlament die Beratung zum neuen Gesetz auf der Traktandenliste.
Bereits haben die Jungparteien von SVP, FDP und SP das Referendum dagegen angekündigt. «Wenn NDB-Chef Markus Seiler seine Leute nicht im Griff hat, hat er nichts im Griff», sagt der Genfer SP-Nationalrat Carlo Sommaruga. Das Gesetz müsse zurückgewiesen werden. Regula Ritz sagt: «Wir waren schon immer dagegen. Das Positive an der Affäre ist, dass jetzt auch andere Parteien sehen, wie heikel das Gesetz ist.» Sicher ist: Jetzt werden auch Bürgerliche zunehmend misstrauisch.
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