Bundesverfassungsgericht: Gesetzgeber muss Anti-Terror-Datei nachbessern

24. April 2013, Der Spiegel online

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat Teile der umstrittenen Anti-Terror-Datei beanstandet. Der Gesetzgeber muss nun bis 2015 nachbessern. Grundsätzlich billigte das höchste deutsche Gericht das Gesetzeswerk aber.

Karlsruhe - Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Die vieldiskutierte umstrittene Anti-Terror-Datei ist rechtens - mit Einschränkungen. Bis 2015 seien Nachbesserungen erforderlich, urteilte das höchste deutsche Gericht am Mittwoch in Karlsruhe. Die 2007 eingerichtete Datei sollte helfen, mit schnellem Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden insbesondere islamistische Terroranschläge zu verhindern.

Die Richter mahnten unter anderem höhere Hürden zur Aufnahme der Kontaktpersonen Verdächtiger an, im Einzelnen sind das:

  • Voraussetzung für die Speicherung von Kontaktpersonen-Informationen müsse sein, dass diese wissentlich einen mutmasslichen Radikalen unterstützten, forderte das Gericht. Bisher könnten auch Menschen in der Datei landen, die "ohne Wissen von einem Terrorismusbezug eine in ihren Augen unverdächtige Vereinigung" unterstützten, kritisierten die Richter.

  • Das blosse Befürworten von Gewalt reiche nicht aus, um die Daten eines Menschen in der Datensammlung zu speichern, so das Gericht.

  • Zugleich stärkten die Richter die unabhängige Kontrolle des Datenbestands und die Position der Datenschutzbeauftragten. "Regelmässige Berichte des Bundeskriminalamts gegenüber Parlament und Öffentlichkeit über Datenbestand und Nutzung der Anti-Terror-Datei sind sicherzustellen", heisst es in dem Urteil. Die Datenschutzbeauftragten sollen den Datenbestand künftig regelmässig kontrollieren.

Die Datei bündelt die Erkenntnisse aller 38 deutschen Polizei- und Geheimdienstbehörden über mutmasslich gefährliche Islamisten und deren Kontaktpersonen. Ein pensionierter Richter hatte gegen die Datensammlung Verfassungsbeschwerde eingelegt und damit nun teilweise Erfolg.

Grundsätzlich billigten die Verfassungshüter die Verbunddatei. Zur Begründung hiess es, Terrorismus richte sich gegen "das Gemeinwesen als Ganzes". Weil solche Angriffe aber nicht als "Krieg" aufgefasst werden dürften, seien sie "mit den Mitteln des Rechtsstaats zu bekämpfen". Terrorismusbekämpfung habe insoweit ein "erhebliches Gewicht". Die Einrichtung einer Anti-Terror-Datei sei deshalb auch zulässig. Zudem sei der Eingriff in die Bürgerrechte nicht so schwer, da in einer Verbunddatei vor allem bereits erhobene Daten ausgetauscht würden.

Sorgfältig prüfen und umsetzen

Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) zeigte sich erleichtert über das Urteil. "Ich glaube, dass wir insgesamt sehr froh sein können, dass die Verfassungsmässigkeit dieses Gesetzes bestätigt worden ist." Der Minister kündigte Nachbesserungen an: Die von Karlsruhe geforderten Punkte würden sorgfältig geprüft und umgesetzt.

Die Karlsruher Entscheidung hat auch Auswirkungen auf die 2012 eingeführte Rechtsextremismusdatei. Diese funktioniert nach demselben Muster wie die Anti-Terror-Datei. Friedrich sagte, natürlich müssten die für diese vorgegebenen Einschränkungen auf die Rechtsextremismusdatei übertragen werden. Dazu gehöre eine stärkere Einbeziehung der Datenschutzbeauftragten.

Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüsste die Entscheidung. Der Bundesvorsitzende Bernhard Witthaut appellierte aber mit Blick auf die Nachbesserungen: "Mit Augenmass und ohne parteipolitisches Geplänkel muss darauf geachtet werden, dass die Wirksamkeit dieses wichtigen Ermittlungsinstruments der Polizei im Kampf gegen den weltweiten Terror nicht verpufft."

Der Vorsitzende des Verbands BKA im Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Andy Neumann, kritisierte dagegen die Entscheidung aus Karlsruhe: "Die Sicherheitsbehörden werden immer wieder massiv kritisiert, weil sie Informationen nicht vollständig ausgetauscht haben. Wenn sie aber Instrumente schaffen, um das zu tun, ist es auch nicht recht." Dabei seien es im Fall der Terrorzelle NSU gerade sogenannte Kontaktpersonen, die heute für Skandale sorgten, weil die Ämter die Daten zu ihnen vor Jahren nicht geteilt hätten. "Es ist das alte Spiel", so Neumann, "wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!"

Rund 17.000 Datensätze - doch viele Grauzonen

Die Einrichtung der Datei war ursprünglich eine Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001. Da für die Arbeit von Polizei und Geheimdiensten das Trennungsgebot gilt, ist die Datei seit ihrem Start umstritten.

Strittig war zudem, ob der erfasste Personenkreis klar genug abgegrenzt ist. Dies gilt besonders für die Kontaktpersonen, die unter Umständen nichts von den islamistischen Bestrebungen ihrer Bekannten wissen.

Momentan sind in der Anti-Terror-Datei rund 17.000 Datensätze gespeichert. Mehr als 80 Prozent der Betroffenen lebt nach Angaben des Innenministeriums allerdings nicht in Deutschland, sondern gehört radikalislamischen Organisationen im Ausland an. Die Anti-Terror-Datei war auch Vorbild für die Rechtsextremismusdatei, die Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich im Herbst 2012 als Konsequenz aus der Neonazi-Mordserie einrichtete.

 

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