Christoph Grau, Netzwoche
Die Revision des NDG wurde von National- und Ständerat beschlossen. Die ersten Gruppen haben bereits ein Referendum dagegen angekündigt. Die Redaktion liess sowohl die Gegner, in Form des Chaos Computer Clubs Schweiz, wie auch die Unterstüzer, vertreten durch Franz Grüter, SVP, zu Wort kommen.
Welche Partner konnten Sie bisher für das geplante NDG-Referendum gewinnen?
CCC: Der Chaos Computer Club Schweiz arbeitet im Rahmen des netzpolitischen Netzwerks der Digitalen Gesellschaft mit. In diesem Zusammenhang stellte sich heraus, dass wir im weiteren zivilgesellschaftlichen Umfeld auf die Unterstützung von Gruppen wie Amnesty International (Schweiz), Humanrights.ch, Greenpeace oder der Stiftung für Konsumentenschutz setzen können. Schaut man sich das Netzwerk der Digitalen Gesellschaft im Kontext von Medienberichten und Aktivitäten auf den Social-Media-Plattformen an, so ist klar, dass uns ausser den kleineren Vereinen auch die Unterstützung seitens grundrechte.ch oder der Piratenpartei Schweiz sicher ist. Die Digitale Gesellschaft betreibt hierzu das Portal nachrichtendienstgesetz.ch, auf dem sich alle interessierten Personen mittels E-Mail-Adresse melden können, um bei der Unterschriftensammlung zu helfen.
Auf welche politischen Parteien hoffen Sie?
Im grossen parteipolitischen Spektrum sind die Grünen (jung und alt), sowie weiterhin die JUSO bekanntlich am Start: speziell hat sich ein linkes Komitee, initiiert von der JUSO, gebildet, das unter schnüffelstaat.ch firmiert. Zudem ist auch von kleineren alternativen oder radikal linken Parteien Unterstützung für die Sammlung zu erwarten.
Gibt es auch Widerstand aus der Wirtschaft?
Wir haben etwa Kontakt mit der Firma Protonmail, die den Versuch unternimmt, ein wirtschaftliches Komitee auf die Beine zu stellen, das sich sowohl aus ethisch-moralischen wie auch geschäftskritischen Gründen gegen das Geheimdienstgesetz stellt. Dieses Netzwerk würde seinerseits dazu aufrufen, Unterschriften gegen das NDG zu sammeln.
Warum ist dies der Fall?
Aus wirtschaftlicher Sicht ist zu beachten, dass es Schweizer Unternehmen, die IT-Dienstleistungen anbieten, nur unter widrigsten Umständen gelingen kann, für Datenschutz und -sicherheit zu sorgen, wenn diese ihre Kunden nebst den üblichen, bereits zahlreichen IT-Risiken auch noch vor dem eigenen Geheimdienst schützen müssen. Dieser droht mittels NDG im Irrsinn, die Nadel im Heuhaufen zu finden, ausser Rand und Band zu laufen. Ein Blick zu den deutschen Nachbarn mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz BfV sowie dem Bundesnachrichtendienst BND dürfte genügen, um einen Vorgeschmack davon zu erhalten, was uns hier blühen mag, wenn wir das Geheimdienstgesetz passieren lassen.
Welche potentiellen Partner wollen Sie angehen und wo rechnen Sie sich grosse Chancen aus?
Analysiert man die Vernehmlassungsantworten zum NDG, fallen weitere Gruppen auf, die sich ablehnend zum NDG geäussert haben: etwa der Schweizerische Gewerbeverband SGV, der IT-Verband Swico oder zumindest einige deren Mitglieder; selbst die Economiesuisse oder die FDP haben sich kritisch in zumindest einigen Punkten gezeigt. Am meisten setzen wir auf zivilgesellschaftliche Gruppen, welche sich für Grund- und Menschenrechte, Konsumentenschutzrechte usw. einsetzen; dann auf Unternehmen, die im Bereich der IT-Security aktiv sind, Zugangs-, Service- oder Hosting-Provider sowie andere Firmen, welche wichtige, mithin kritische Infrastrukturen betreiben. Darüber hinaus ist aber auch bei bürgerlichen Jungparteien Potenzial sichtbar, der Totalüberwachung eine Absage zu erteilen. Beim BÜPF-Gesetz zumal klappt das, wie auf der parteiübergreifenden Plattform stopbüpf.ch sichtbar ist.
Dies sind aber zumeist nur relativ kleine Parteien. Wie sieht es bei den grossen Namen aus?
Was die üblichen, grossen Parteien betrifft, so setzen wir auf kritische Mitglieder dieser Organisationen. Diese mögen ihre Elite darüber aufklären, dass dem eigenen Parteiprogramm in aller Regel jeweils freiheitliche Aspekte zu entnehmen sind. Am wichtigsten aber ist: wir vertrauen auf engagierte Menschen aller gesellschaftlichen Schichten, die sich um unsere Demokratie und Freiheit besorgen und die in der Summe einen bedeutenden Beitrag dazu leisten können, das Referendum erfolgreich mit uns allen zu stemmen. Auch die möchten wir auf der Strasse und mit gesonderten Aktionen erreichen.
Könnten sie sich auch Unterstützer aus der Mitte und dem rechten Lager vorstellen, wenn ja wen?
Ja: ganz ähnlich wie bei der sogenannten "Freiheitskampagne" gegen die Einführung von biometrischen Ausweisen in der Schweiz, welche dank einer "Querfront" von links bis rechts speditiv und erfolgreich das Referendum ergriffen hat, ist auch beim NDG die Erwartung da, dass sich einige bürgerlich gesinnte Menschen auf Errungenschaften wie Privatsphäre und individuelle Freiheitsrechte, fernab rein materieller Privilegien, besinnen.
Wie verlaufen Ihrer Meinung nach die Fronten?
Beim NDG geht es um keine Frage von "links" oder "rechts": es geht viel eher um "oben" gegen "unten", um Regierende gegen Regierte, um Herrschende gegen Beherrschte oder Staat gegen Bevölkerung. Wie frei nach Snowden im Zusammenhang mit der NSA für die USA auch für die Schweiz feststellbar, verhält sich der mittels NDG aufgerüstete NDB zu unserer Verfassung wie eine Hintertüre in unserer Demokratie. Ein allwissender Geheimdienst ist nicht nur fähig, unter Kontrolle zu haben, was Menschen denken und planen, sondern entsprechend auch die Herrschenden darüber zu orientieren, wie sie gegen die Bevölkerung gegensteuern und sie manipulieren können. Oder schlimmer noch: er kann selber ins gesellschaftliche Leben eingreifen, wie bis Ende der 1980er Jahre in der Schweiz auch rege passiert, als wir zuletzt einen Geheimdienst hatten, der weitreichende Macht genoss. Der Geheimdienst hielt minutiös den Tagesablauf vieler Menschen fest und beeinflusste auf Grund ihrer vermuteten Gesinnung einige Lebensläufe: so konnten einige Personen an Hochschulen nicht aufsteigen oder andere Menschen blieben notorisch arbeitslos.
Welchen Zeitrahmen visieren Sie für das Referendum an?
Die Referendumsfrist für das Geheimdienstgesetz läuft seit dem 6. Oktober 2015 und dauert 100 Tage: Entsprechend läuft das Referendum bis spätestens zum 13. Januar 2016.
Was ist Ihrer Meinung nach die grösste Gefahr?
Es müssen alle Menschen, Organisationen und politische Richtungen realisieren, dass das NDG eine Farce für die Schweiz ist und unsere Demokratie im Innersten angreift.
Wie sehen Ihre nächsten Schritte aus?
Im CCC-CH bereiten wir uns verschiedentlich vor: wir organisieren eigene Sammelgruppen, suchen geeignete Sammelorte und unterhalten zudem über die Digitale Gesellschaft sowie anderen Kanälen den Kontakt zu Personen und Organisationen, die sich dem Widerstand gegen das Geheimdienstgesetz verschrieben haben. Für voraussichtlich Samstag, den 7. November ist zudem eine schweizweite Demonstration hin zum Bundesplatz in Bern geplant, um die Bevölkerung für das Thema an einem Tag konkret zu sensibilisieren, weitere Aktivisten zu gewinnen und die Gelegenheit zu nutzen, auch da Unterschriften zu sammeln und lautstark auf die Hauptkritikpunkte der Vorlage hinzuweisen.
Gibt es noch weiter Kritikpunkte?
Ein zweiter wichtiger Kritikpunkt stellt der simple Umstand dar, dass alles das, was für die Strafverfolgungsbehörden via BÜPF erlaubt ist, auch für den NDB gilt: entweder komfortabel und direkt über eigene Regelungen oder dann imperativ und indirekt über den Dienst ÜPF. Der Geheimdienst wird entsprechend auch auf die Vorratsdaten, die sich der Dienst ÜPF verschafft, zugreifen können, ob die Speicherfrist dafür wie heute bei sechs Monaten liegt oder auf 12 Monate erweitert wird.
Was genau ist da Problem dabei?
Wir erhalten in der Schweiz also einen Geheimdienst, der bedeutend mächtiger ist als die Strafverfolgungsbehörden oder gar die Bundesanwaltschaft, welche schon jetzt invasiv in die Privatsphäre eingreifen kann, wie im Fall der FIFA oder bei "Mafia"-Fällen gezeigt. Es muss betont werden, dass der Geheimdienst im präventiven Bereich tätig ist, also keine klaren Hinweise oder gar Beweise benötigt, um in die Privatsphäre von Bürgern einzubrechen oder Geschäftsgeheimnisse von Firmen zu durchforsten. Der NDB erhält auch das Recht, auf allerlei staatliche Datenbanken, wie solche der AHV oder IV zuzugreifen. Ein wichtiger dritter Komplex der Kritik betrifft den Bereich der staatlichen Schadsoftware, gemeinhin als "Staatstrojaner" bekannt, sowie der sogenannte "Cyberwar". Die Schadsoftware, welche sich der NDB gesetzlich sichert, kann nicht "bloss" Kommunikation abhören, bevor sie potenziell (ausgangs) verschlüsselt oder nachdem sie (eingangs) entschlüsselt wird, nein: sie kann zudem speziell zu Zwecken der Datenmanipulation und des Störens von Kommunikationen eingesetzt werden. Damit können "Beweise" fabriziert und der freie Informationsfluss gestört werden.
Welche Gefahren sehen Sie am Horizont?
Mit dem Gesetzt erhält der Geheimdienst auch die "Kompetenz" in fremde Rechner und Netzwerke einzudringen und sich damit in digitale "Kriegsspiele" zu verwickeln, ganz nach dem Vorbild des von Snowden enthüllten Überwachungskomplexes der Five Eyes (FVEY) um GCHQ, NSA & Co. Damit hat der NDB ein vitales Interesse daran, dass Sicherheitslücken von Systemen nicht geschlossen werden. Er trägt hierbei zur Unsicherheit der IT in der Schweiz und weltweit bei. Der Bund müsste sich unserer Ansicht nach um Risikominimierungen in Sachen IT-Sicherheit für alle bemühen, wenn nicht direkt selber, so doch indirekt über Systeme der Bildung, Forschung und Entwicklung. Stattdessen passiert das Gegenteil: um an Exploits heranzukommen, die helfen, unbekannte Sicherheitslücken auszunutzen, muss sich der NDB krimineller Netzwerke bedienen, die sich in Schwarzmärkten organisieren. Damit finanziert der Bund Kreise mit, die er eigentlich bekämpfen soll. Dass hierzu Steuergelder eingesetzt werden, muss als Randbemerkung taxiert werden. Die Implikationen, die entstehen, wenn ein Staat selber als Investor krimineller Strukturen auftritt, muss zumindest staatsrechtliche Fragen aufwerfen, von Ethik und Moral ganz zu schweigen. Dass ein Staat zudem gesetzliche Normen erhält, um Daten zu manipulieren und Kommunikationen zu stören, ein Staat also als eigentlicher Störfriede gesetzlich verankert wird, schafft grosses Misstrauen in den Apparat, der uns eigentlich schützen soll und wirft allermindestens demokratietheoretische sowie menschenrechtliche Fragen auf.
Warum reichen Ihnen die zugesicherten Kontrollmechanismen nicht aus?
Weil es sich beim NDB um einen Geheimdienst handelt, der prinzipiell wegen der Geheimhaltung von Auftrag und Ausführung nicht kontrollierbar ist. Es ist weder der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) noch einem zusätzlichen Kontrollgremium zuzutrauen, dass diese in der Lage sind, zu verstehen, wie die Massenüberwachung in der Ausführung funktioniert, welche Daten genau gesammelt wurden oder was die Auswirkungen von Angriffen auf Computer und Netzwerk-Infrastrukturen im Internet sind. Zudem hat ein Geheimdienst eine sehr wichtige Kernkompetenz: die des blanken Lügens, oder in milderen Fällen der Vorenthaltung von Informationen und Wissen. Darüber hinaus gibt es keinen Grund davon auszugehen, dass private und geschäftliche Daten, welche der NDB gesammelt hat, bei diesem sicher vor Enthüllungen sind.
Gab es in der Vergangenheit denn schon Probleme bei der Überwachung?
2012 musste die GPDel feststellen, dass der NDB weder Bewusstsein für IT-Sicherheit noch ein Risikomanagement hatte; dies allerdings erst nachdem ein Mitarbeiter, gerüstet mit Festplatten, das NDB-Hauptquarier in Bern verliess und die Daten lapidar zum Verkauf anbot. Dass es auch dem US-amerikanischen Staat in vielen Fällen nicht gelingt, klassifizierte Informationen geheim zu halten, spricht Bände. Die Schweiz sollte sich ganz allgemein dem Prinzip der Datensparsamkeit verschreiben und es unterlassen, einen Datenmoloch zu kreieren. Ein solcher wird nicht nur geneigt sein, sondern als Währung haben, unsere Daten anderen sogenannten "Partnerdiensten" anzubieten. In informellen Runden werden Kerndaten unserer Kommunikation, Geheimnisse des privaten, familiären oder geschäftlichen Lebens gegen andere Daten, welche der Geheimdienst haben will, "getauscht" werden. Wissen ist Macht. Wie wir wissen, bedeutet das Teilen von Wissen nicht weniger, sondern mehr Wissen und weil das Wissen von Geheimdiensten nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist, handelt es sich um Herrschaftswissen. Das untergräbt unsere Demokratie.
Warum sehen Sie die Demokratie in Gefahr?
Es kann von keinem Rechtsstaat die Rede sein, wenn wir uns zutiefst undemokratische Institutionen leisten, welche keine Transparenz haben und niemandem Rechenschaft pflichtig sind. Selbst gegenüber den Regierenden können diese Dienste informationelle Dunkelheit walten lassen. Nehmen wir auch hier die warnenden Berichte des deutschen NSA-Untersuchungsausschusses NSAUA als leuchtendes Negativbeispiel der ausufernden Datensammelwut und Überwachungsgier von Geheimdiensten, bei dem der deutsche Bundesnachrichtendienst BND willentlich alle vorgesehenen Kontrollinstanzen hinters Licht geführt hat.
Wie soll Ihrer Meinung nach der Nachrichtendienst die Sicherheit der Bürger gewährleisten?
Wer sagt, dass ein Geheimdienst die Sicherheit der Bürger gewährleisten kann? Dazu gibt es bisher keinerlei Beweise. Dass Geheimdienste hingegen Unsicherheit schüren, ist spätestens seit Edward Snowden bewiesen. Der Geheimdienst NDB gehört bereits mit den heutigen Möglichkeiten restlos abgeschafft und die Gelder einerseits in zielgerichtete Ermittlungen, andererseits in Bildungs-, Forschungs- und Entwicklungsprogrammen investiert.
Wie begründen Sie diese Meinung?
Wir haben keine Verfassungsgrundlage für präventive Überwachung. In einem Rechtsstaat und in einer Demokratie, die auf Vertrauen basiert, ist das auch die Regel. Für Fälle, wo klare Hinweise auf Gefahren bestehen, kann die Bundesanwaltschaft eingeschaltet werden. Es ist nicht tolerierbar, dass die Schweiz mit Steuergeldern eine Blackbox unterhält, welche Hunderte von Millionen Franken jährlich verschlingt, um intransparent, unkooperativ und ohne Verdachtsgrundlage in der Privatsphäre von uns allen grenzüberschreitend herumzuschnüffeln. Es ist bezogen auf die IT zudem skandalös, dass die Schweiz gesetzliche Grundlagen schafft, um unsere IT-Sicherheit und die des mithin befreundeten Auslands zu untergraben, bei gleichzeitiger Finanzierung krimineller Kreise, welche exklusiven Zugang zu Wissen um Sicherheitslücken, Exploits und Schadsoftware gewähren.
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