Der Staatsrechtsprofessor Rainer J. Schweizer fordert Korrekturen am Nachrichtendienstgesetz. Dieses nehme keine Rücksicht auf die Rolle der Medien in der Demokratie.
Herr Schweizer, das Nachrichtendienstgesetz steht vor der Verabschiedung durch das Parlament. Sie sagen, dass das Gesetz auch kritische Folgen für die Medien hat. Welche?
Ich will nichts dramatisieren. In der öffentlichen Debatte ist allerdings zu wenig zur Sprache gekommen, dass wir vor einem grundlegenden Systemwechsel stehen. Das Gesetz weist dem Nachrichtendienst viele neue Aufgaben zu und gibt ihm Instrumente, die bisher der Kriminalpolizei vorbehalten waren oder ganz neu sind. Gleichzeitig ist der Schutz der Medien in keiner Form verankert. Zum Beispiel schreibt Artikel 14 für die Aufzeichnung öffentlicher Veranstaltungen nur die Achtung der Privatsphäre vor, nicht aber jene der Medienfreiheit. Auch für geheime Datenbeschaffungen wie Abhöraktionen oder die Kabelaufklärung wird nicht festgelegt, dass die Medienfreiheit und das Redaktionsgeheimnis zu respektieren sind.
Bei der Kabelaufklärung handelt es sich um das Abfangen grenzüberschreitender elektronischer Kommunikation. Der Nachrichtendienst könnte also unter Umständen E-Mails von Journalisten mitlesen.
Ja, und womöglich bei Telefongesprächen innerhalb der Schweiz mithören. Wenn Sie einen Kollegen oder einen Informanten in der Westschweiz anrufen, ist es gut möglich, dass das Gespräch über eine Leitung in Deutschland oder Frankreich übertragen wird. Mindestens vierzig Prozent der Schweizer Telefongespräche werden über das Ausland geleitet.
Grundsätzlich sind nicht die Medien, sondern Terroristen und andere Kriminelle Ziele des Nachrichtendienstes. Was wäre denn ein mögliches Szenario, bei dem die Kommunikation von Journalisten von Interesse für den Nachrichtendienst wäre?
Befasst sich ein Journalist mit einem bestimmten Fall von Finanzkriminalität, und macht der Nachrichtendienst das auch, begegnen sich diese. So gibt es viele Schnittstellen. Und dass Journalisten, etwa solche kleiner, parteipolitisch abseits stehender Blätter, Ziele des Nachrichtendienstes wurden, ist kein Geheimnis.
Gezielte Abhöraktionen sowie Aufträge zur Kabelaufklärung werden richterlich genehmigt werden müssen. Genügt dies zum Schutz von Medienfreiheit und der Privatsphäre der Bürger nicht?
Den Entscheid fällt ein einzelner Verwaltungsrichter in einem geheimen Verfahren. Er hat nur den Antrag des Nachrichtendienstes zur Verfügung, eine Gegenmeinung fehlt ihm. Nötig wäre ein kontradiktorisches Verfahren. Die USA haben inzwischen zumindest einen Anwalt der Betroffenen eingeführt, der deren Interessen wahrnimmt, ohne dass diese davon erfahren. Eine ähnliche Lösung fehlt im Nachrichtendienstgesetz. Zudem ist klar: Wird in die Privatsphäre oder bei Journalisten in die Medienfreiheit eingegriffen, sind dies nach der Europäischen Menschenrechtskonvention zivilrechtliche Angelegenheiten, für die ein ordentliches Gerichtsverfahren zwingend wäre.
Der Nachrichtendienst kann einen potenziellen Terroristen aber nun mal nicht im Voraus über eine Überwachung informieren.
Klar, und dies ist auch nicht nötig. Bei der Strafverfolgung ist es schliesslich auch möglich, schwierigste Fälle etwa der organisierten Kriminalität zu lösen, ohne die Parteirechte zu beschneiden. Die Information kann auch und soll im Nachhinein erfolgen. Das Gesetz sieht eine beschränkte nachträgliche Mitteilung an die überwachte Person von geheimen, gerichtlich genehmigten Beschaffungen im Inland vor. Beim Einsatz von Informanten oder von Trojanern im Ausland oder bei einer Kabelaufklärung gibt es aber keine Mitteilung. Wer gar nie erfährt, dass er überwacht wurde, kann sich nicht wehren.
Das Gesetz sieht zumindest ein Auskunftsrecht vor. Jedermann kann Auskunft darüber verlangen, ob er in den Datenbanken des Nachrichtendienstes verzeichnet ist.
Die Überschrift dieses Artikels ist eigentlich irreführend. Der Nachrichtendienst erteilt grundsätzlich keine Auskunft. Ein Person hat nur das Recht, eine unabhängige, geheime Überprüfung zu verlangen. Ausnahme: Ist nichts gespeichert, kann der Nachrichtendienst das gelegentlich mitteilen. Das Bedenklichste dabei ist für mich, dass bei Auskunftsbegehren explizit jeder Rechtsschutz ausgeschlossen wird. Das nimmt Zehntausenden von Menschen jede Möglichkeit, sich zu wehren.
Eine Frage ist, ob der Nachrichtendienst die Medien bedrängen kann. Eine andere ist, ob die Medien umgekehrt den Nachrichtendienst kontrollieren können. Wie fällt hier Ihr Urteil aus?
Gerade der Fall NSA zeigt, wie wichtig unabhängige Medien sind, um die Exzesse der Nachrichtendienste aufzudecken. Auf die Rolle der Medien in der Demokratie wird jedoch im Gesetz in keiner Weise Rücksicht genommen. Wir schaffen da eine geheime Staatsgewalt, die sich weitgehend der demokratischen Kontrolle durch die Öffentlichkeit entzieht. Wenn die Staatsanwaltschaft ermittelt, wird sie ihre Vorwürfe gegen eine Person früher oder später in einem öffentlichen Verfahren darlegen müssen. Ich will damit nicht sagen, man müsse den Namen eines Terroristen veröffentlichen. Wieso bestimmte Massnahmen in einer bestimmten Situation angeordnet wurden, muss aber nachträglich überprüfbar bleiben.
Das Nachrichtendienstgesetz befindet sich bereits in der Differenzbereinigung. Zur Debatte stehen unter anderem noch der Ausschluss des Nachrichtendienstes vom Öffentlichkeitsgrundsatz sowie die Schaffung einer unabhängigen Aufsicht. Wie wichtig sind diese beiden Punkte?
Ausgesprochen wichtig. Der Ständerat hat mit der Schaffung einer unabhängigen Aufsichtsinstanz dieser Gesetzgebung eine entscheidende Wende gegeben. Nun muss noch sichergestellt werden, dass die Geschäftsprüfungsdelegation als parlamentarisches Kontrollorgan auf Verlangen hin durch die unabhängige Kontrollbehörde vollumfänglich informiert wird. Dies wird sehr viel bringen. Dass der Ständerat die Tätigkeiten des Nachrichtendienstes generell vom Öffentlichkeitsgesetz ausnehmen will, ist sachlich nicht zu begründen und nimmt vor allem den Medien eine wichtige Möglichkeit, zumindest einen allgemeinen Einblick in die Praktiken des Nachrichtendienstes zu erhalten. Dies muss der Nationalrat unbedingt korrigieren.
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