Aushorchen nur mit Bewilligung

11. Juli 2015

Claudio Zanetti, Tages-Anzeiger

Sicherheit darf nie Selbstzweck sein, sonst werden wir zu Wächtern unseres eigenen Gefängnisses.

Der Zürcher Regierungsrat verpasste bei der Vorstellung seiner Legislaturziele vergangene Woche eine Gelegenheit zur Aufklärung der Bevölkerung. Diese hätte garantiert lieber von offizieller Seite als aufgrund einer Indiskretion aus den Medien erfahren, dass die Kantonspolizei bei der italienischen Firma Hacking Team für eine halbe Million Franken Überwachungssoftware bestellt hat, die sich auch unter autoritären Regimes grosser Beliebtheit beim Ausspionieren der Bevölkerung erfreut.

Daraus wird vorerst nichts. Die Mailänder Hackerspezialisten wurden nämlich selber Opfer von Hackern, und dabei geriet auch der sogenannte Quellcode des bestellten und bezahlten Staatstrojaners in die falschen Hände. Die Software ist wertlos, das Geld wahrscheinlich futsch. Das Gute an der Geschichte: Die gleiche Verwaltung, die uns weismachen will, dass E-Voting sicher sei, lieferte gerade einen weiteren Beweis, dass im Internet nichts sicher ist.

Sicherheitsdirektor Mario Fehr und Kripo-Chefin Christiane Lentjes Meili wiegeln ab. Es sei alles mit rechten Dingen zugegangen. Solche Beschaffungen seien nie öffentlich. Wirklich? Dann sollen die beiden doch bitte erklären, warum es den Kantonsrat nicht interessieren sollte, wenn unsere Staatsmacht es dem Sudan, Chile und Russland gleichtut und sich heimlich Mittel beschafft, die es ihr ermöglichen, auf rechtlich höchst zweifelhafter Basis, in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger einzudringen. Immerhin debattiert das Parlament jeweils leidenschaftlich, wenn es um Fragen nach dem Einsatz von Wasserwerfern, Gummischrot oder Tasern geht.

Dass in der Frage «Freiheit oder Sicherheit» Zielkonflikte unvermeidlich sind, liegt in der Natur der Sache. Zwar ist grundsätzlich Benjamin Franklin zuzustimmen, wonach, wer Sicherheit über Freiheit stellt, am Ende beides verliert, doch braucht es auch die Bereitschaft, dem Staat jene Rechte und Mittel zu geben, die er braucht, um unsere Freiheit zu schützen. Sicherheit darf nie Selbstzweck sein. Sonst werden wir, wie es Friedrich Dürrenmatt einst formulierte, tatsächlich zu Wächtern des Gefängnisses, in dem wir selber einsitzen.

Natürlich gehen auch Kriminelle mit der Zeit. Natürlich nutzen auch sie die technischen Möglichkeiten, die uns allen das Leben erleichtern. Es ist darum nur logisch, dass auch die Polizei über die Mittel verfügen muss, die zur Erfüllung ihres Auftrags notwendig sind. Diesen Auftrag kann und darf sie sich allerdings nicht selber geben. Das ist Sache der Gesellschaft. Was letztlich zulässig sein soll und was nicht, lässt sich nur in einer ständigen Debatte annähernd klären. Es ist darum unverständlich, dass sich der Sicherheitsdirektor und die Kantonspolizei diesem Diskurs mit der Bevölkerung, auf deren Vertrauen sie angewiesen sind, entziehen wollten.

Den Volksentscheid abwarten

Es ist nämlich so, dass das Stimmvolk demnächst über zwei Gesetze befinden muss, die in diesem Zusammenhang massgeblich sind: Soeben haben die eidgenössischen Räte das Nachrichtendienstgesetz durchberaten. Dieses regelt den Einsatz von Staatstrojanern und bringt ein etwas strengeres Bewilligungsverfahren. Es bleibt allerdings fraglich, ob sich ein Geheimdienst auf diese Weise überhaupt kontrollieren lässt. Umstritten ist auch das Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf), das unter anderem «im Rahmen eines Strafverfahrens des Bundes oder eines Kantons» zur Anwendung gelangen soll. Mario Fehr und «seine» Kapo waren also der Zeit voraus, was in diesem Fall nicht positiv zu werten ist.

Ist es zu viel verlangt, dass Behörden einen Volksentscheid abwarten sollen, bevor sie sich aufs Glatteis begeben und dabei einbrechen? Nach dem Entscheid des Souveräns ist für Demokraten klar, was gilt.

 

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