Henry Habegger, Schweiz am Sonntag
Kantonspolizei liess sich auch den Trojaner Finfisher der berüchtigten britisch-deutschen Gamma-Gruppe vorführen
Eine Aktennotiz aus Italien zeigt, dass auch eine Berner Firma im Rennen war. Und dass die Zürcher angeblich früher schon einen Trojaner hatten.
Akribisch haben die Hacker aus Mailand ihren ersten Auftritt in Zürich protokolliert. «Sehr nett und herzlich» sei der zuständige Projektleiter bei der Kantonspolizei, schrieben die Mailänder etwa in ein Protokoll eines Treffens vom 30. Oktober 2013.
Die «Schweiz am Sonntag» fand das Protokoll in den unzähligen Unterlagen der Mailänder Firma Hacking Team, die von Hackern ins Internet gestellt worden waren. Sie ermöglichen einen genaueren Einblick in den Beschaffungsprozess der Zürcher Kantonspolizei, in dessen Verlauf diese sich für knapp eine halbe Million Franken die Spähsoftware der Italiener zulegte.
Das protokollierte Treffen war das erste zwischen der Kantonspolizei Zürich und Vertretern von Hacking Team. Die Italiener führten dort ihre Hacking-Software vor, präsentierten deren Potenzial und nannten Preisvorstellungen.
Der Projektleiter der Kantonspolizei zeigte sich dabei gesprächig gegenüber den Italienern. Im Vertrauen verriet er ihnen, dass er insgesamt vier Trojaner-Lieferanten eingeladen hatte, ihre Ware zu präsentieren. In ihr internes Protokoll notierten die Mailänder, wer sonst noch im Rennen war:
Gamma Group, ein höchst umstrittener britisch-deutscher Hersteller von Spionage-Software mit Hauptsitz in England und Ableger in München. Die Gamma-Trojaner wurden wie jene von Hacking Team an eine ganze Reihe von autoritären Regimen geliefert und für Menschenrechtsverletzungen missbraucht. Gamma gehört dem in Beirut wohnhaften Briten Louthean Nelson, der auch in der Schweiz auftauchte: Als Direktor der Elaman AG in Amriswil TG, die vorher in Chur domiziliert war. Die Elaman gehört zur Gamma-Gruppe.
Gamma Sales aus Ittigen bei Bern. Gehört zur Gamma-Gruppe, verkauft deren Produkte aus der Schweiz heraus. Im Februar 2014 nannte sich Gamma Sales in Finfisher AG um. Finfisher heisst die bekannteste Spionage-Software der Gamma Group. Hacking Team ging davon aus, dass Gamma Sales ihr Hauptkonkurrent war, weil «ihr Chef seit Jahren ein bekannter Mann ist in der Branche und der Hauptsitz in der Schweiz ist». Diese Firma war es, die kürzlich beim Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) mit Exportgesuchen für rund ein Dutzend Trojaner-Projekte auflief.
In der Gamma Sales sass 2013 noch der deutsche Olaf Kreuzer, ein Rechtsanwalt, der derzeit in Sofia (Bulgarien) wohnt. Dieser trat Ende der 90er-Jahre als Anwalt eines Stuttgarter Kaufmanns auf, der dem libyschen Diktator Gaddafi Teile einer Giftgasfabrik verkauft haben soll. Gegen den Kaufmann wurde auch wegen «geheimdienstlicher Agententätigkeit» für den syrischen Geheimdienst ermittelt. Allerdings zeigte sich, dass der BND die Hände im Spiel hatte.
Neotronic. Die Firma kommt laut Protokoll aus Neapel, war aber bereits aus dem Rennen, als die Italiener ihre Trojaner in Zürich vorstellten. Die Neotronic-Lösung war nicht leistungsfähig genug und vor allem auf «passive» Überwachung ausgelegt.
Die Italiener rechneten sich gemäss der Aktennotiz gute Chancen aus, glaubten aber, sie seien «ein paar Prozent» teurer im Vergleich zum Hauptrivalen Gamma Sales aus Ittigen. Das schlossen sie daraus, dass die Zürcher «bei der Nennung des Preises alle überraschte Gesichter machten». Der Preis, den die Italiener damals nannten, betrug übrigens 250,000 Euro. Also nur etwa die Hälfte der schliesslich bezahlten Summe.
Gestützt auf Angaben des Kapo-Projektleiters notierte der Italiener auch, dass die Schweizer bereits früher einen Trojaner hatten: «Sie sind in der Vergangenheit erwischt worden, als sie Digitask ‹Deutschland› benutzten. Danach haben sie die Aktivität für einige Jahre eingestellt. Seit 2011 arbeiten sie mit dem Schweizer Gesetzgeber, um eine neue gesetzliche Basis zu finden», steht in der Aktennotiz.
Bekannt ist, dass der Trojaner der deutschen Firma Digitask in der Vergangenheit in der Schweiz wiederholt zum Einsatz kam. In welchem Umfang Bund und einige Kantone genau zu diesem Mittel griffen, ist unklar.
Der Sprecher des Zürcher Sicherheitsdirektors Mario Fehr (SP) wollte diese Woche keine Fragen zum Thema beantworten. Begründung: laufende Verfahren, also die Juso-Anzeige gegen Fehr, und die juristischen Schritte der Kapo Zürich in Italien.
Anwesend bei der Präsentation waren laut Protokoll neben drei Vertretern von Hacking Team auch drei Beamte der Kantonspolizei. Pikant am Ganzen: Auch ein Vertreter der Zürcher Staatsanwaltschaft war dabei. Allerdings wirkte er gelangweilt: Der Staatsanwalt, der in Anzug und Einstecktuch erschienen sei, «konzentrierte sich während der Präsentation auf sein iPhone und machte sich nur wenige Notizen». In der Pause sei er dann grusslos verschwunden, steht im Protokoll.
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