BGE Gerichtsstandskonflikt

10. Juli 2012

Bun­des­ge­richt

Tri­bu­nal fédéral

Tri­bu­na­le fe­dera­le

Tri­bu­nal fe­deral

{T 0/2}

1B_258/2012

Ur­teil vom 10. Ju­li 2012

I. öf­fent­lich-recht­li­che Ab­tei­lung

Be­set­zung

Bun­des­rich­ter Fon­jal­laz, Prä­si­dent,

Bun­des­rich­ter Ae­mi­seg­ger, Mer­k­li, Kar­len, Eu­se­bio,

Ge­richts­schrei­ber Ue­ber­sax.

Ver­fah­rens­be­tei­lig­te

X.________, Be­schwer­de­füh­rer, ver­tre­ten durch Rechts­an­walt Emil Ro­bert Mei­er,

ge­gen

Staats­an­walt­schaft IV des Kan­tons Zü­rich, Mol­ken­stras­se 15/17, Post­fach, 8026 Zü­rich,

Staats­an­walt­schaft Zü­rich-Lim­mat, Stauf­fa­cher­stras­se 55, Post­fach, 8026 Zü­rich.

Ge­gen­stand

Ge­richts­stands­kon­flikt,

Be­schwer­de ge­gen den Ent­scheid vom 24. April 2012 der Ober­staats­an­walt­schaft des Kan­tons Zü­rich.

Sach­ver­halt:

A.

A.a Die Staats­an­walt­schaft Zü­rich-Lim­mat lei­te­te ein Straf­ver­fah­ren ein ge­gen X.________ we­gen häus­li­cher Ge­walt zum Nach­teil sei­ner Ehe­frau so­wie ein wei­te­res Straf­ver­fah­ren we­gen Ver­si­che­rungs- und So­zi­al­hil­fe­be­trugs zum Nach­teil ei­ner pri­va­ten Ver­si­che­rungs­ge­sell­schaft bzw. der öf­fent­li­chen So­zi­al­hil­fe. Nach­dem sich bei ei­ner Ein­ver­nah­me vom 12. April 2012 der Ver­dacht er­ge­ben hat­te, dass qua­li­fi­zier­te Ge­walt­de­lik­te (Ver­ge­wal­ti­gung bzw. qua­li­fi­zier­te Fäl­le häus­li­cher Ge­walt) vor­lie­gen könn­ten, stell­te die Staats­an­walt­schaft Zü­rich-Lim­mat glei­chen­tags ein Er­su­chen um Ver­fah­rens­über­nah­me an die Staats­an­walt­schaft IV des Kan­tons Zü­rich. Die­se lehn­te die Über­nah­me ab, so­weit es um die Straf­un­ter­su­chun­gen we­gen Hand­lun­gen ge­gen das Ver­mö­gen geht.

A.b In der Fol­ge wand­te sich die Staats­an­walt­schaft Zü­rich-Lim­mat am 19. April 2012 an die Ober­staats­an­walt­schaft des Kan­tons Zü­rich und er­such­te die­se um Klä­rung der Zu­stän­dig­keit. Am 24. April 2012 traf der Lei­ten­de Ober­staats­an­walt die fol­gen­de Ver­fü­gung:

"1. Das Ver­fah­ren be­tref­fend Häus­li­che Ge­walt ist durch die Staats­an­walt­schaft IV zu füh­ren.

2. Das Ver­fah­ren be­tref­fend Be­trug etc. ist durch die Staats­an­walt­schaft Zü­rich-Lim­mat zu füh­ren.

3. Soll­te es in bei­den Ver­fah­ren ge­mäss Zif­fer 1 und 2 zu ei­ner An­kla­ge kom­men, ist, so­fern kei­ne un­über­wind­ba­ren Hin­der­nis­se ent­ge­gen­ste­hen, ei­ne An­kla­ge zu er­he­ben. Die Ver­fah­ren sind ent­spre­chend zu ko­or­di­nie­ren."

B.

Ge­gen die­se Ver­fü­gung reich­te X.________ am 25. April 2012 beim Ober­ge­richt des Kan­tons Zü­rich Be­schwer­de ein. Die­ses lei­te­te die Be­schwer­de zu­stän­dig­keits­hal­ber an das Bun­des­ge­richt wei­ter. X.________ stellt im We­sent­li­chen die fol­gen­den An­trä­ge:

"Der an­ge­foch­te­ne Ent­scheid vom 24. April 2012 sei auf­zu­he­ben. Es sei zu be­stim­men, dass die Staats­an­walt­schaft IV des Kan­tons Zü­rich sämt­li­che ge­gen den Be­schwer­de­füh­rer ge­rich­te­te (Straf-)Ver­fah­ren zu füh­ren hat.

Even­tua­li­ter sei die Staats­an­walt­schaft Zü­rich-Lim­mat mit der Füh­rung sämt­li­cher Ver­fah­ren zu be­trau­en.

Sub­en­ven­tua­li­ter: Es sei ei­ne ein­heit­li­che Ver­fah­rens­lei­tung zu be­stim­men."

Zur Be­grün­dung wird haupt­säch­lich ein Ver­stoss ge­gen die Zu­stän­dig­keits­re­ge­lung in der Straf­pro­zess­ord­nung so­wie ei­ne Ver­let­zung des An­spruchs auf recht­li­ches Ge­hör bzw. der Pflicht zur Be­grün­dung be­hörd­li­cher Ent­schei­de gel­tend ge­macht.

C.

Die Ober­staats­an­walt­schaft des Kan­tons Zü­rich schliesst auf Ab­wei­sung der Be­schwer­de. Die Staats­an­walt­schaft IV des Kan­tons Zü­rich und die Staats­an­walt­schaft Zü­rich-Lim­mat ha­ben sich in­nert Frist nicht ver­neh­men las­sen.

D.

X.________ hat sich am 3. Ju­ni 2012 noch­mals zur Sa­che ge­äus­sert.

Er­wä­gun­gen:

1.

1.1 Nach Art. 78 Abs. 1 BGG be­ur­teilt das Bun­des­ge­richt Be­schwer­den ge­gen Ent­schei­de in Straf­sa­chen. Die­se sind un­ter an­de­rem zu­läs­sig ge­gen Ent­schei­de letz­ter kan­to­na­ler In­stan­zen (Art. 80 Abs. 1 BGG), wo­bei die Kan­to­ne als sol­che obe­re Ge­rich­te ein­set­zen, die als Rechts­mit­tel­in­stan­zen ent­schei­den, aus­ser wenn nach der Straf­pro­zess­ord­nung ein an­de­res Ge­richt als ein­zi­ge kan­to­na­le In­stanz zu­stän­dig ist (Art. 80 Abs. 2 BGG; da­zu MARC THOM­MEN, in: Nigg­li/ Ue­ber­sax/Wi­präch­ti­ger [Hrsg.], Bun­des­ge­richts­ge­setz, Kom­men­tar, 2. Auf­la­ge, 2011, N. 14 f. zu Art. 80 BGG).

1.2 Nach Art. 40 Abs. 1 StPO ent­schei­det die Ober- oder Ge­ne­ral­staats­an­walt­schaft oder, wenn kei­ne sol­che vor­ge­se­hen ist, die Be­schwer­de­instanz ei­nes Kan­tons end­gül­tig, wenn der Ge­richts­stand un­ter Straf­be­hör­den des glei­chen Kan­tons strei­tig ist. Ge­gen den an­ge­foch­te­nen Ent­scheid steht da­mit ge­mäss Art. 380 StPO kein Rechts­mit­tel nach der Straf­pro­zess­ord­nung, ins­be­son­de­re nicht die Be­schwer­de nach Art. 393 ff. StPO, of­fen (ERICH KUHN, in: Nigg­li/Heer/Wi­präch­ti­ger [Hrsg.], Schwei­ze­ri­sche Straf­pro­zess­ord­nung, Kom­men­tar, 2011, N. 9 zu Art. 40 StPO), wes­halb er kan­to­nal letzt­in­stanz­lich ist. Art. 40 Abs. 1 StPO bil­det ei­nen Aus­nah­me­tat­be­stand ge­mäss Art. 80 Abs. 2 BGG, der vom Er­for­der­nis der dop­pel­ten In­stanz dis­pen­siert. Das Ober­ge­richt hat die Sa­che da­her zu Recht an das Bun­des­ge­richt wei­ter ge­lei­tet zur Prü­fung der Zu­stän­dig­keits­fra­ge und ge­ge­be­nen­falls zum Ent­scheid in der Sa­che (vgl. Art. 39 Abs. 1 StPO).

1.3 Frei­lich be­steht zwi­schen Art. 40 Abs. 1 StPO und Art. 80 Abs. 2 BGG in­so­fern ein Wi­der­spruch, als das Bun­des­ge­richts­ge­setz für die Be­schwer­de an das Bun­des­ge­richt ei­ne rich­ter­li­che Vor­in­stanz vor­aus­setzt, wäh­rend die Straf­pro­zess­ord­nung die An­ru­fung ei­nes über der Ober­staats­an­walt­schaft ste­hen­den kan­to­na­len Ge­richts ge­ra­de aus­schliesst.

1.3.1 Das wirft die Fra­ge auf, ob die Be­schwer­de in Straf­sa­chen an das Bun­des­ge­richt dar­an schei­tert, dass es eben kei­ne rich­ter­li­che Vor­in­stanz gibt. Dies ent­sprä­che je­doch nicht der Ab­sicht des Ge­setz­ge­bers, hält doch die ent­spre­chen­de Bot­schaft des Bun­des­ra­tes vom 21. De­zem­ber 2005 zur Straf­pro­zess­ord­nung aus­drück­lich fest, dass ge­gen die ge­mäss Art. 380 StPO als end­gül­tig oder nicht an­fecht­bar be­zeich­ne­ten Ent­schei­de die Be­schwer­de in Straf­sa­chen nach Art. 78 BGG zur Ver­fü­gung ste­he (BBl 2006 1307 zu Art. 388 des Ent­wurfs zur StPO; vgl. auch MAR­TIN ZIEG­LER, in: Nigg­li/Heer/Wi­präch­ti­ger [Hrsg.], Schwei­ze­ri­sche Straf­pro­zess­ord­nung, Kom­men­tar, 2011, N. 4 zu Art. 380 StPO).

1.3.2 In der Li­te­ra­tur wird zwar auch aus­ge­führt, der Grund für den Rechts­mit­tel­aus­schluss in der Straf­pro­zess­ord­nung lie­ge dar­in, dass das Ver­fah­ren in den frag­li­chen Fäl­len einst­wei­len sei­nen Fort­gang neh­men und der ver­fah­rens­lei­ten­de Ent­scheid erst in Ver­bin­dung mit dem End­ent­scheid an­ge­foch­ten wer­den kön­nen soll (VIK­TOR LIE­BER, in: Do­natsch/Hans­ja­kob/Lie­ber, Kom­men­tar zur Schwei­ze­ri­schen Straf­pro­zess­ord­nung [StPO], 2010, N. 2 zu Art. 380 StPO). Bei der Fra­ge der sach­li­chen Zu­stän­dig­keit für die Straf­un­ter­su­chung macht ei­ne sol­che Ver­schie­bung der An­fecht­bar­keit auf den End­ent­scheid kei­nen Sinn, er­scheint es doch ge­ra­de un­er­läss­lich, über die Zu­stän­dig­keit vor­weg de­fi­ni­tiv zu be­fin­den, be­vor die Straf­un­ter­su­chung durch­ge­führt wird. Zu­stän­dig­keits­ent­schei­de gel­ten denn auch für die Be­schwer­de an das Bun­des­ge­richt als selbst­stän­dig an­fecht­bar (vgl. Art. 92 BGG so­wie E. 1.4 un­ten). Mit der Re­ge­lung von Art. 92 BGG be­zweck­te der Ge­setz­ge­ber ge­ra­de, dass das Bun­des­ge­richt über Strei­tig­kei­ten über die Zu­stän­dig­keit und Aus­stands­be­geh­ren be­fin­det, oh­ne dass da­für das En­de des Ver­fah­rens bzw. Der End­ent­scheid in der Sa­che ab­zu­war­ten sind.

1.3.3 Die ge­setz­li­che Re­ge­lung ist so­mit un­voll­stän­dig. Die­sem Um­stand ist durch ei­ne ver­fas­sungs­kon­for­me, har­mo­ni­sie­ren­de Aus­ge­stal­tung der Ge­set­zes­ord­nung Rech­nung zu tra­gen. Weg­lei­tend muss da­für sein, dass ei­ner­seits ein Rechts­mit­tel zu­läs­sig sein muss, an­de­rer­seits die Fra­ge der sach­li­chen Zu­stän­dig­keit für die Straf­ver­fol­gung rasch ge­klärt wird. Bei die­ser Sach­la­ge ist da­von aus­zu­ge­hen, dass dem Ge­setz­ge­ber bei Art. 80 Abs. 2 BGG ein Ver­se­hen un­ter­lau­fen ist. Die in Art. 80 BGG hin­sicht­lich der Vor­in­stan­zen um­schrie­be­ne Zu­läs­sig­keit der Be­schwer­de in Straf­sa­chen ist da­hin­ge­hend zu er­gän­zen, dass auch selbst­stän­dig er­öff­ne­te Zwi­schen­ent­schei­de der Ober- bzw. Ge­ne­ral­staats­an­walt­schaft über die in­ner­kan­to­na­le Zu­stän­dig­keit der Straf­be­hör­den di­rekt beim Bun­des­ge­richt an­ge­foch­ten wer­den kön­nen.

1.4 Beim an­ge­foch­te­nen Ent­scheid han­delt es sich mit­hin um ei­nen selbst­stän­dig er­öff­ne­ten Zwi­schen­ent­scheid über die Zu­stän­dig­keit, ge­gen den nach Art. 92 BGG die Be­schwer­de an das Bun­des­ge­richt of­fen steht. Da­mit ist die Be­schwer­de in Straf­sa­chen an das Bun­des­ge­richt zu­läs­sig (so auch FIN­GER­HUTH/LIE­BER, in: Do­natsch/Hans­ja­kob/Lie­ber, Kom­men­tar zur Schwei­ze­ri­schen Straf­pro­zess­ord­nung [StPO], 2010, N. 3 zu Art. 40 StPO; NI­K­LAUS SCHMID, Schwei­ze­ri­sche Straf­pro­zess­ord­nung, Pra­xis­kom­men­tar, 2009, N. 8 zu Art. 40 StPO).

1.5 Der Be­schwer­de­füh­rer ist ge­mäss Art. 81 Abs. 1 BGG zur Be­schwer­de le­gi­ti­miert. Ei­ne Mög­lich­keit zur Teil­nah­me am Ver­fah­ren vor der Ober­staats­an­walt­schaft hat­te er trotz ent­spre­chen­der grund­sätz­li­cher Mög­lich­keit der An­fech­tung der Zu­stän­dig­keit (vgl. Art. 41 StPO) nicht, da der ent­spre­chen­de Kom­pe­tenz­kon­flikt bis da­hin ein­zig un­ter den be­tei­lig­ten Staats­an­walt­schaf­ten aus­ge­tra­gen wur­de (lit. a). Als be­schul­dig­te Per­son ver­fügt er so­dann über ein recht­lich ge­schütz­tes In­ter­es­se an der Auf­he­bung oder Än­de­rung des an­ge­foch­te­nen Ent­scheids (lit. b).

2.

2.1 Der Be­schwer­de­füh­rer rügt ei­nen Ver­stoss ge­gen den An­spruch auf recht­li­ches Ge­hör (Art. 29 Abs. 2 BV), weil der an­ge­foch­te­ne Ent­scheid prak­tisch über­haupt nicht, aber je­den­falls nicht ge­nü­gend be­grün­det sei. Die Ober­staats­an­walt­schaft macht gel­tend, ei­ne aus­führ­li­che Be­grün­dung in ih­rer Ver­nehm­las­sung an das Bun­des­ge­richt nach­ge­lie­fert zu ha­ben, wo­mit der all­fäl­li­ge Man­gel ge­heilt sei. Der Be­schwer­de­füh­rer wen­det da­ge­gen wie­der­um ein, ei­ne sol­che Hei­lung sei nur schon dar­um aus­ge­schlos­sen, weil die Ober­staats­an­walt­schaft selbst be­haup­te, beim Zu­stän­dig­keits­ent­scheid über ein ge­wis­ses Er­mes­sen zu ver­fü­gen; es kön­ne da­her nicht von ei­ner voll­stän­di­gen Ko­gni­ti­on des Bun­des­ge­richts bei der Über­prü­fung des Kom­pe­ten­zent­scheids aus­ge­gan­gen wer­den, was aber Vor­aus­set­zung ei­ner Hei­lung wä­re.

2.2 Wie es sich da­mit ver­hält, kann of­fen blei­ben, da der Ent­scheid schon aus an­de­rem Grun­de auf­zu­he­ben und an die Ober­staats­an­walt­schaft zu­rück­zu­wei­sen ist.

3.

3.1 Nach Art. 39 StPO prü­fen die Straf­be­hör­den ih­re Zu­stän­dig­keit von Am­tes we­gen und lei­ten ei­nen Fall wenn nö­tig der zu­stän­di­gen Stel­le wei­ter. Die sach­li­che Zu­stän­dig­keit ist in Art. 29 f. StPO, die ört­li­che in Art. 31 ff. StPO ge­re­gelt. Im vor­lie­gen­den Fall stellt sich pri­mär die Fra­ge der sach­li­chen Zu­stän­dig­keit, da die ört­li­che an sich un­strit­tig ist, nach­dem al­le De­lik­te in der Stadt Zü­rich be­gan­gen wur­den und bei­de be­tei­lig­ten Staats­an­walt­schaf­ten zur Be­ar­bei­tung von Ver­fah­ren auf dem Ge­biet der Stadt Zü­rich zu­stän­dig sind. Ge­mäss Art. 29 Abs. 1 lit. a StPO wer­den Straf­ta­ten ge­mein­sam ver­folgt und be­ur­teilt, wenn ei­ne be­schul­dig­te Per­son meh­re­re Straf­ta­ten ver­übt hat. Nach Art. 30 StPO kön­nen die Staats­an­walt­schaft und die Ge­rich­te Straf­ver­fah­ren aus sach­li­chen Grün­den tren­nen oder ver­ei­nen.

3.2 Art. 29 StPO ent­hält, ge­mäss der aus­drück­li­chen Mar­gi­na­lie der Be­stim­mung, den Grund­satz der Ver­fah­rens­ein­heit. Die­ses Prin­zip bil­det seit lan­gem ein We­sens­merk­mal des schwei­ze­ri­schen Straf- und Straf­ver­fah­rens­rechts (vgl. Auch Art. 49 StGB). Es be­sagt un­ter an­de­rem, nicht zu­letzt un­ter dem Ge­sichts­punkt der sach­li­chen Zu­stän­dig­keit, dass meh­re­re Straf­ta­ten ei­ner ein­zel­nen Per­son in der Re­gel in ei­nem ein­zi­gen Ver­fah­ren ver­folgt und be­ur­teilt wer­den (URS BAR­TEZ­KO, in: Nigg­li/Heer/Wi­präch­ti­ger [Hrsg.], Schwei­ze­ri­sche Straf­pro­zess­ord­nung, Kom­men­tar, 2011, N. 1 zu Art. 29 StPO; FIN­GER­HUTH/LIE­BER, a.a.O., N. 1 zu Art. 29 StPO; SCHMID, a.a.O., N. 1 zu Art. 29 StPO). Der Grund­satz der Ver­fah­rens­ein­heit be­zweckt die Ver­hin­de­rung sich wi­der­spre­chen­der Ur­tei­le und dient der Pro­zess­öko­no­mie (BGE 138 IV 29). Ei­ne Ver­fah­ren­st­ren­nung ist ge­mäss Art. 30 StPO nur bei Vor­lie­gen sach­li­cher Grün­de zu­läs­sig und muss die Aus­nah­me blei­ben. Die sach­li­chen Grün­de müs­sen ob­jek­tiv sein. Die Ver­fah­ren­st­ren­nung soll da­bei vor al­lem der Ver­fah­rens­be­schleu­ni­gung die­nen bzw. ei­ne un­nö­ti­ge Ver­zö­ge­rung ver­mei­den hel­fen (vgl. in die­sem Sin­ne das Ur­teil 1B_684/2011 vom 21. De­zem­ber 2011). In der Li­te­ra­tur wer­den als sach­li­che Grün­de et­wa die be­vor­ste­hen­de Ver­jäh­rung ein­zel­ner Straf­ta­ten oder die Un­er­reich­bar­keit ein­zel­ner be­schul­dig­ter Per­so­nen ge­nannt. Al­le Bei­spie­le be­zie­hen sich auf Cha­rak­te­ris­ti­ka des Ver­fah­rens, des Tä­ters oder der Tat, nicht aber auf or­ga­ni­sa­to­ri­sche As­pek­te auf Sei­ten der Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den (vgl. BAR­TEZ­KO, a.a.O., N. 1 ff. zu Art. 30 StPO; FIN­GER­HUTH/LIE­BER, a.a.O., N. 1 ff. zu Art. 30 StPO; SCHMID, a.a.O., N. 2 zu Art. 30 StPO).

3.3 Ge­mäss Art. 14 StPO be­stim­men die Kan­to­ne ih­re Straf­be­hör­den und ins­be­son­de­re de­ren Or­ga­ni­sa­ti­on und Be­fug­nis­se. Nach § 93 des zür­che­ri­schen Ge­set­zes vom 10. Mai 2010 über die Ge­richts- und Be­hör­den­or­ga­ni­sa­ti­on im Zi­vil- und Straf­pro­zess (GOG) be­ste­hen die Staats­an­walt­schaf­ten im Kan­ton Zü­rich aus All­ge­mei­nen und Be­son­de­ren Staats­an­walt­schaf­ten. Ge­mäss § 9 der zür­che­ri­schen Ver­ord­nung vom 27. Ok­to­ber 2004 über die Or­ga­ni­sa­ti­on der Ober­staats­an­walt­schaft und der Staats­an­walt­schaf­ten tei­len sich die All­ge­mei­nen Staats­an­walt­schaf­ten die Zu­stän­dig­keit nach geo­gra­fi­schen Ge­sichts­punk­ten. Da­zu zählt die Staats­an­walt­schaft Zü­rich-Lim­mat mit Zu­stän­dig­keit für be­stimm­te Stadt­krei­se in der Stadt Zü­rich und für den Zü­rich­see. Nach § 10 der­sel­ben Ver­ord­nung wer­den zur Be­ar­bei­tung be­son­de­rer Ge­schäf­te je­weils für das gan­ze Kan­tons­ge­biet vier Be­son­de­re Staats­an­walt­schaf­ten zu­stän­dig er­klärt, wor­un­ter die Staats­an­walt­schaft IV für Ge­walt­de­lik­te. Die sach­li­che Zu­stän­dig­keit die­ser Staats­an­walt­schaf­ten wird in Zif­fer 4.1 der Wei­sun­gen der Ober­staats­an­walt­schaft für das Vor­ver­fah­ren (WOS­TA; in der hier an­wend­ba­ren Fas­sung vom 1. Ja­nu­ar 2012 auf www.​sta​atsa​nwal​tsch​afte​n.​zh.​ch/​Str​afve​rfah​ren/​Erlasse) kon­kre­ti­siert. Nach Zif­fer 4.​1.​5.​4 fal­len na­ment­lich qua­li­fi­zier­te Fäl­le von häus­li­cher Ge­walt in die Zu­stän­dig­keit der Staats­an­walt­schaft IV.

3.4 Die­se Kom­pe­tenz­ord­nung der Staats­an­walt­schaf­ten im Kan­ton Zü­rich ist an sich nicht zu be­an­stan­den und mit Bun­des­recht grund­sätz­lich ver­ein­bar. Es fragt sich je­doch, was gilt, wenn wie hier dem­sel­ben Be­schul­dig­ten meh­re­re De­lik­te vor­ge­wor­fen wer­den, wel­che in die Zu­stän­dig­keit ver­schie­de­ner Staats­an­walt­schaf­ten fal­len. Ein Ver­gleich mit der Re­ge­lung über die ört­li­che Zu­stän­dig­keit un­ter­streicht in­so­fern die Be­deu­tung des Prin­zips der Ver­fah­rens­ein­heit. So sind die Ver­fah­ren bei Be­ge­hung meh­re­rer De­lik­te am sel­ben Ort durch die­sel­be Per­son ge­nau­so zu ver­ei­nen (vgl. Art. 31 Abs. 3 StPO) wie bei der ge­mein­sa­men Be­ge­hung von Straf­ta­ten durch meh­re­re Per­so­nen (vgl. Art. 33 StPO) oder bei der Ver­übung meh­re­rer De­lik­te an ver­schie­de­nen Or­ten (vgl. Art. 34 StPO).

3.5 Die Ober­staats­an­walt­schaft recht­fer­tigt die Auf­tei­lung der Ver­fah­ren im vor­lie­gen­den Fall mit der Spe­zia­li­sie­rung der Zür­cher Staats­an­walt­schaf­ten in ein­zel­nen Fach­ge­bie­ten, die zum Zwe­cke der Pro­zess­öko­no­mie ge­schaf­fen wur­de. Die Ab­tren­nung der Ver­fah­ren we­gen häus­li­cher Ge­walt ei­ner­seits und we­gen der Be­trugs­de­lik­te an­de­rer­seits sei da­mit sach­lich be­grün­det. Dem An­lie­gen der ein­heit­li­chen An­wen­dung der ma­te­ri­el­len Straf­zu­mes­sungs­grün­de und der ein­heit­li­chen Ver­tei­di­gung wer­de in­so­fern Rech­nung ge­tra­gen, als die bei­den Ver­fah­ren ko­or­di­niert wer­den müss­ten und je­den­falls nur ei­ne An­kla­ge zu er­he­ben sei.

3.6 Selbst wenn tat­säch­lich nur ei­ne An­kla­ge er­ho­ben wür­de, ver­möch­te dies nichts dar­an zu än­dern, dass sich der Be­schwer­de­füh­rer ei­ner Straf­un­ter­su­chung in zwei Ver­fah­ren mit ver­schie­de­nen Staats­an­walt­schaf­ten so­wie Mit­ar­bei­ten­den der­sel­ben ge­gen­über se­hen wür­de. Die Spe­zia­li­sie­rung darf je­doch nicht da­zu füh­ren, dass bei meh­re­ren De­lik­ten der Grund­satz der Ver­fah­rens­ein­heit die Aus­nah­me und die Ver­fah­ren­st­ren­nung die Re­gel wird. Dies wür­de dem Sinn des Ge­set­zes zu­wi­der lau­fen. In­so­fern gibt es ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Ober­staats­an­walt­schaft an­ge­sichts der kla­ren ge­setz­li­chen Re­ge­lung in Art. 29 StPO nur ein be­schränk­tes Er­mes­sen der kan­to­na­len Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den. Sind meh­re­re Straf­ta­ten zu ver­fol­gen, so ist in der Re­gel viel­mehr zu ge­währ­leis­ten, dass nur ein Straf­ver­fah­ren mit ei­ner ein­heit­li­chen Un­ter­su­chung durch­ge­führt wird. Da­von ab­zu­wei­chen recht­fer­tigt sich ein­zig, wenn es sach­li­che Ar­gu­men­te (im Sin­ne von Art. 30 StPO) da­für gibt. Das schliesst frei­lich nicht aus, dass sich bei meh­re­ren De­lik­ten die Zu­stän­dig­keit der Staats­an­walt­schaft nach de­ren Spe­zia­li­sie­rung für ei­ne be­stimm­te Straf­tat rich­tet, et­wa für die­je­ni­ge mit der höchs­ten Straf­dro­hung. Die Zu­stän­dig­keit für die an­de­ren De­lik­te hat dies­falls je­doch der sol­cher­mas­sen be­stimm­ten Kom­pe­tenz für das Haupt­de­likt zu fol­gen. Denk­bar sind al­ler­dings auch an­de­re Kri­te­ri­en wie der Vor­rang des Tat­orts oder der Vor­rang der Erst­be­fas­sung. Be­steht in ei­nem Ver­fah­ren das Be­dürf­nis, Fach­leu­te aus an­de­ren Or­ga­ni­sa­ti­ons­ein­hei­ten der Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den bei­zu­zie­hen, so kann dies die zu­stän­di­ge Staats­an­walt­schaft oh­ne Wei­te­res tun.

3.7 In­dem der an­ge­foch­te­ne Ent­scheid das Straf­ver­fah­ren be­tref­fend häus­li­che Ge­walt der Staats­an­walt­schaft IV und das­je­ni­ge be­tref­fend Be­trug usw. Der Staats­an­walt­schaft Zü­rich-Lim­mat zu­weist, ver­stösst er ge­gen Bun­des­recht. Der frag­li­che Kom­pe­tenz­kon­flikt ist in dem Sin­ne zu lö­sen, dass nur ei­ne Staats­an­walt­schaft für al­le De­lik­te zu­stän­dig er­klärt wird, die dem Be­schwer­de­füh­rer vor­ge­wor­fen wer­den. Es liegt nicht am Bun­des­ge­richt, zu be­stim­men, wel­che der bei­den Staats­an­walt­schaf­ten die Straf­un­ter­su­chung durch­füh­ren soll. Ge­ra­de da­für ver­fügt die Ober­staats­an­walt­schaft über ein ge­wis­ses Er­mes­sen, in­dem sie et­wa eher auf die Spe­zia­li­sie­rung für das of­fen­bar im Vor­der­grund ste­hen­de De­likt der häus­li­chen Ge­walt mit in­te­gra­ler Zu­stän­dig­keit der Staats­an­walt­schaft IV ab­stel­len oder der Erst­be­fas­sung durch die Staats­an­walt­schaft Zü­rich-Lim­mat den Vor­rang ge­ben kann. Die Sa­che ist mit­hin an die Ober­staats­an­walt­schaft zu­rück­zu­wei­sen zu neu­em Ent­scheid über die Zu­stän­dig­keit für das Straf­ver­fah­ren.

4.

Die Be­schwer­de er­weist sich als be­grün­det und ist gut­zu­heis­sen. Der an­ge­foch­te­ne Ent­scheid ist auf­zu­he­ben. Die Sa­che geht zu­rück an die Ober­staats­an­walt­schaft zu neu­em Ent­scheid über die Zu­stän­dig­keit für das Straf­ver­fah­ren im Sin­ne der Er­wä­gun­gen. Bei die­sem Ver­fah­rens­aus­gang sind kei­ne Kos­ten zu er­he­ben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Hin­ge­gen hat der Kan­ton Zü­rich den Be­schwer­de­füh­rer für das bun­des­ge­richt­li­che Ver­fah­ren an­ge­mes­sen zu ent­schä­di­gen (Art. 68 BGG).

Dem­nach er­kennt das Bun­des­ge­richt:

1.

Die Be­schwer­de wird gut­ge­heis­sen und der Ent­scheid der Ober­staats­an­walt­schaft des Kan­tons Zü­rich vom 24. April 2012 auf­ge­ho­ben. Die Sa­che wird an die Ober­staats­an­walt­schaft des Kan­tons Zü­rich zu­rück­ge­wie­sen zu neu­em Ent­scheid über die Zu­stän­dig­keit im Sin­ne der Er­wä­gun­gen.

2.

Es wer­den kei­ne Kos­ten er­ho­ben.

3.

Der Kan­ton Zü­rich hat den Be­schwer­de­füh­rer für das bun­des­ge­richt­li­che Ver­fah­ren mit Fr. 2'000.-- zu ent­schä­di­gen.

4.

Die­ses Ur­teil wird dem Be­schwer­de­füh­rer, der Staats­an­walt­schaft IV des Kan­tons Zü­rich, der Staats­an­walt­schaft Zü­rich-Lim­mat so­wie der Ober­staats­an­walt­schaft und dem Ober­ge­richt des Kan­tons Zü­rich, III. Straf­kam­mer, schrift­lich mit­ge­teilt.

Lau­sanne, 10. Ju­li 2012

Im Na­men der I. öf­fent­lich-recht­li­chen Ab­tei­lung

des Schwei­ze­ri­schen Bun­des­ge­richts

Der Prä­si­dent: Fon­jal­laz

Der Ge­richts­schrei­ber: Ue­ber­sax

 

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