Von Stefan Hohler, Tages-Anzeiger
Gilt eine unanständige Geste als sexuelle Belästigung? Nein, sagt die Bezirksrichterin und sprach einen 30-jährigen Türken frei.
Der Fall ist banal und alltäglich, die juristische Begründung aber äusserst spitzfindig. Ein 30-jähriger Sicherheitsangestellter war im vergangenen März mit seinem Auto in Wiedikon unterwegs. Dabei soll er vor einem Rotlicht eine wartende Autofahrerin auf der Nebenspur sexuell belästigt haben. Laut Strafbefehl des Stadtrichters öffnete er das Seitenfenster seines Autos und vollführte gegenüber der Frau «Handbewegungen wie beispielsweise mehrmaliges Führen seiner Faust gegen seinen Mund und durch Schlagen der offenen Handfläche auf seine Faust.»
Dabei geriet der Mann ausgerechnet an die Ehefrau eines Polizisten. Sie notierte sich das Nummernschild und erzählte den Vorfall ihrem Mann. Nur eine halbe Stunde später rief der Polizist den Türken an und beorderte ihn auf den Posten. Gegen den Türken wurde in der Folge ein Verfahren wegen sexueller Belästigung eröffnet. Der Stadtrichter bestrafte den Beschuldigten mit einer Busse von 300 Franken, inklusive Schreib- und Spruchgebühren, wodurch sich die Summe beinahe verdoppelte.
Nicht die Frau gemeint
Gegen diese Busse erhob der Beschuldigte Einsprache. Gestern wurde der Fall vor der Einzelrichterin des Bezirksgerichts Zürich behandelt. Der Türke, der mit einem Partner zusammenlebt, stritt die sexuelle Belästigung ab. Er kenne die Frau nicht, habe sie zum ersten Mal gesehen und mit ihr keine Probleme gehabt. Es müsse ein Missverständnis vorliegen. Vielmehr habe er einem Autofahrer hinter der Frau mit dem angeblichen «Eins-blasen-Zeichen» nur mitteilen wollen, ob er besoffen sei. Denn dieser Fahrer habe ihm vor der Ampel den Weg abgeschnitten, worauf er ihn überholen musste. Der Überholte habe auf das «Eins-blasen-Zeichen» mit einem Lachen reagiert, die Frau dagegen habe den Kopf geschüttelt und ihm den Mittelfinger gezeigt. Im Weiteren bestritt der Beschuldigte, dass er die zweite obszöne Handbewegung, das Zeichen für «Ficken», gemacht habe.
Doppelter Freispruch
Die Einzelrichterin sprach den Mann doppelt frei. Eine sexuelle Belästigung liegt laut Strafgesetzbuch vor, wenn sie in Worten oder Taten verübt wird; Bewegungen fallen nicht darunter. Zudem stehe Aussage gegen Aussage. Zwar seien diejenigen der Frau glaubwürdig, aber auch die Argumente des Beschuldigten seien nachvollziehbar. Der 30-Jährige verliess erleichtert den Gerichtssaal. Ein Eintrag in seinem Leumundszeugnis und erst noch einer wegen sexueller Belästigung wäre dem Sicherheitsmann sicher ungelegen gekommen.
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